Mitte Dezember hat das Münchener Oberlandesgericht in Sachen Chefvertretung auf Honorarbasis reinen Tisch gemacht. Das Verfahren wurde zwar aus formalen Gründen eingestellt. Im jetzt veröffentlichte Urteil stehen dennoch ein paar Überraschungen.
Winterzeit – Grippezeit: Wenn der Chef von heute auf morgen selbst zum Patienten wird, kommt nicht selten ein böses Erwachen. Gerade kleinere und mittlere Apotheken benötigen schnell und flexibel Approbierte, um Inhaber zu vertreten – nicht selten auf Honorarbasis. Daran hat sich kaum jemand gestört, außer der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK). Grundlegende Normen verletzt? Eine Kollegin aus dem bayerischen Seefeld, Landkreis Starnberg, bot über ihre Homepage Chefvertretungen auf Honorarbasis an – und erntete prompt mehrere Rüffel von ihrer Kammer. Deren Jurist sieht vor allem drei zentrale Normen verletzt: die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), das Apothekengesetz (ApoG) sowie die Berufsordnung. Beim Gerichtsverfahren Anfang 2012 unterlag die Apothekerin in erster Instanz. Das Berufsgericht für Heilberufe am Landgericht München fokussierte sich auf persönliche Leitungsverpflichtungen des Apothekeninhabers gemäß Betriebserlaubnis und Apothekengesetz, § 7. Für selbständige Mitarbeiter sei es typisch, Zeit und Inhalt ihrer Dienstleistung selbst zu bestimmen – unvereinbar mit Pflichten einer Chefvertretung. Eklatante Mängel Davon ließ sich die betroffene Apothekerin nicht abschrecken. Zusammen mit Luis Fernando Ureta, einem Fachanwalt für Medizinrecht, baute sie ihre neue Verteidigungsstrategie auf. Am 12. Dezember kam es zum Showdown. Das Landesberufsgericht für die Heilberufe am Oberlandesgericht (OLG) München unter Vorsitz von Dr. Manfred Dauster sprach von "erheblichen Mängeln" – und stellte das Verfahren ein. "Schon aus formalen Gründen war der Eröffnungsbeschluss fehlerhaft. Es fehlte an der notwendigen Konkretisierung des Vorwurfs", sagt Ureta im Gespräch mit DocCheck. Beispielsweise hatte die BLAK versäumt, vorzutragen, für wen Geiger wann, wo und in welcher Form tätig war – Screenshots eines Online-Kalenders reichen eben nicht aus. Ob ihre Jobs tatsächlich Chefvertretungen waren, ergab sich aus den Schriftsätzen der Kammer nicht. Dass Kollegen angestellte Apotheker auf Honorarbasis vertreten, steht zumindest für das OLG außer Frage. Es blieb jedoch nicht bei der formalen Kritik allein. Vielmehr formulierten die Richter ein Obiter Dictum, also eine Rechtsansicht, die zur Entscheidung nicht erforderlich gewesen wäre. "Erhebliche Bedenken" "Auch wenn es nach dem bisher Ausgeführten nicht mehr darauf ankommt, ergreift das Landesberufsgericht die Gelegenheit, im Hinblick auf weitere zu erwartende Verfahren im Zusammenhang mit der Apothekervertretung darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Urteil des Berufsgerichts auch in materiell-rechtlicher Hinsicht erheblichen Bedenken unterliegt", heißt es im Schriftsatz. Das betrifft vor allem die Weisungsgebundenheit, sollte es keinen Arbeitsvertrag geben. "Warum der Betrieb einer Apotheke eine selbstständige Vertretung von Personal unter dem Gesichtspunkt der Arbeitszeit nicht zulassen soll, leuchtet nicht ein", führt das Gericht aus. Auch bei Vertretungsverträgen wären entsprechende Passagen denkbar, um die Weisungsbefugnis zu wahren. Ureta: "Natürlich müssen Inhaber festlegen, wann ein Vertreter da sein muss, je nach Öffnungszeiten der Apotheke." In anderen Branchen hat sich dieses Vorgehen bewährt – allen voran bei Ärzten. "Auch da definiere ich Zeit, Ort und Preis einer Leistung." Allerdings werden selbständiger Vertreter – wie auch angestellte Vertreter – im Zweifel Notfallentscheidungen eigenmächtig treffen, falls Inhaber nicht erreichbar sind. Ureta: "Ein klassischer Fall: Grippewelle, drei Angestellte fehlen, und der Vertreter muss seinerseits Vertretungskräfte organisieren, um den ordnungsgemäßen Betrieb aufrechtzuerhalten oder die Apotheke notfalls schließen." Das ergäbe sich allein schon aus dem Sachzusammenhang. Darüber hinaus sollte sich die Beurteilung der Selbständigkeit eines Apothekers primär an seiner Weisungsfreiheit bezüglich pharmazeutischer und nicht kaufmännischer Tätigkeiten orientieren, so Ureta weiter. Apotheker oder Automat Die Münchener Richter befassten sich ebenfalls mit dem "Visavia-Urteil". Bereits im Jahr 2010 hatte das Bundesverwaltungsgericht Arzneimittelabgabeterminals mit verschreibungspflichtigen und apothekenpflichtigen Präparaten einen Riegel vorgeschoben. Unter anderem seien Weisungsrechte des Apothekenleiters gegenüber Mitarbeitern externer Servicecenter nicht ausreichend, hieß es damals. Auch hier stand das Argument, Inhaber müssten ihre Apotheke persönlich leiten, im Mittelpunkt. Münchener Richter sahen hier keine Parallelen: Die Versorgung von Kunden über Multimedia-Terminals sei nicht auf den besonderen Fall der Vertretung laut ApBetrO durch einen anderen Apotheker übertragbar, schrieben sie im Urteil. "Relative Rechtssicherheit" Bleiben noch die häufig zitierten § 7 ApoG beziehungsweise § 2 ApBetrO: Aus Wortlaut und Kontext ergibt sich, dass entsprechende Vorschriften an Apothekeninhaber adressiert sind, nicht jedoch – wie im vorliegenden Fall – an Vertreter. Chefs haben für Leitung und Stellvertretung Sorge zu tragen – Kollegen, die auf Honorarbasis tätig werden, können über diesen Weg nicht belangt werden. Beihilfe oder Anstiftung sind im Berufsrecht nicht vorgesehen. "Mit dem Urteil haben Apotheker, die freiberuflich Chefvertretungen anbieten, eine relative Rechtssicherheit, mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Sache damit erledigt", so die Einschätzung von Luis Fernando Ureta. "Um absolute Rechtssicherheit zu haben, bräuchten wir eine Gesetzesänderung oder eine Ergänzung zur Apothekenbetriebsordnung." Auch fehlten Entscheidungen eines Bundesgerichts, welche für andere Instanzen bindend wären. Laut Ureta hat das Urteil jedoch "mit Sicherheit Signalwirkung". Der Rechtsanwalt erwartet nicht, dass andere Apothekerkammern den Klageweg suchen würden. Diese zeigten – Bayern ausgenommen – in der Vergangenheit ohnehin ein eher geringes Interesse am Thema. Inhaber am Pranger? Allerdings schreiben die Münchener Richter, mit ihrem Urteil sei "keine Entscheidung verbunden, ob und in welcher Weise sich der Inhaber einer Erlaubnis nach § 7 ApoG berufspflichtwidrig verhält", wenn er sich durch freiberufliche Kollegen vertreten lässt. "Wenn eine Kammer sagt, wir bewerten dies als berufsrechtlichen Verstoß, dann wären Inhaber jetzt die ersten Adressaten", sagt Ureta. "Es erscheint mir allerdings sehr unwahrscheinlich, dass die Kammer gegen Apothekenleiter vorgeht." Kollegen diskutieren ganz offen, entsprechende Maßnahmen träfen auch Inhaber mit berufspolitischen Führungspositionen – Pandoras Büchse wäre geöffnet. Heiter weiter? Ansonsten bliebe der BLAK noch, ein Parallelverfahren gegen andere Personen, die Inhaber auf Honorarbasis vertreten, anzustrengen und ihren Anklagesatz zu konkretisieren. Nach der klaren Ansage vom OLG rechnet Luis Fernando Ureta eher nicht damit. Ein bayerisches Landgericht würde als zuständiges Berufsgericht den Hinweis aus München kaum missachten, nur um vor der höheren Instanz zu scheitern.