Die regelmäßige Einnahme von Aspirin soll vor Krebs schützen. Aber warum? Forscher der Uni Jena haben einen neuen Mechanismus entdeckt, der die Proteinkinase B hemmt und neue Ansätze in der Krebstherapie eröffnet.
In den letzten Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die nahelegen, dass die tägliche Einnahme von Acetylsalicylsäure (ASS) der Krebsentstehung und Metastasierung vorbeugt. Die Erfolge der täglichen Einnahme scheinen sehr vielversprechend – von einer Reduktion der Krebssterblichkeit um 37 Prozent ist die Rede und einer Reduktion der Bildung von Fernmetastasen um 36 Prozent. Soll nun also jeder vorbeugend Aspirin schlucken? Wohl eher nicht, denn neben den bekannten und nicht zu vernachlässigenden Nebenwirkungen, gibt es auch Studien, die nicht zu dem gleichen Ergebnis kommen. So zeigte die Auswertung der Women’s Health Study, in der 40.000 Teilnehmerinnen über zehn Jahre jeden zweiten Tag ASS einnahmen und die Physicians Health Study mit 22.000 Männern, die das Medikament über fünf Jahren jeden zweiten Tag einnahmen, kein verringertes Risiko für Krebs und die Krebssterblichkeit. Neuer Wirkmechanismus von ASS entdeckt Noch immer ist der molekulare Mechanismus, der für die krebsvorbeugende Wirkung von ASS verantwortlich sein könnte, nicht ausreichend geklärt. Im letzten Jahr gab es Veröffentlichungen, die positive Effekte von ASS über die Aktivierung des Enzyms AMPK (AMP-activated protein kinase) erklären. AMPK reguliert in den Zellen den Energiestoffwechsel – eine erhöhte Konzentration von AMPK reduziert in der Folge die Zellteilungen. Einen anderen Mechanismus haben nun Forscher der Uniklinik Jena entdeckt. Ihre Forschungen setzen am der Proteinkinase B an. Die Proteinkinase B ist ein zentraler Regulator im zellulären Geschehen. Einflussnahme auf Zellwachstum, Zellproliferation und Zelldifferenzierung sind nur einige Beispiele für die wichtige Rolle dieses Enzyms. "Auch in Tumorzellen, die sich unkontrolliert vermehren, ist die Proteinkinase B maßgeblich am Wachstum beteiligt", erklärt Dr. Andreas Koeberle vom Institut für Pharmazeutische und Medizinische Chemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Aus diesem Grund ist es interessant zu verstehen, wie dieses Schlüssel-Enzym selbst reguliert wird. Dr. Koeberle und Kollegen aus dem Arbeitskreis um Prof. Dr. Oliver Werz vom Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie haben in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus Tübingen und Tokio nun einen gänzlich neuen Regulationsmechanismus entdeckt, der über ein Speicherlipid in der Zellmembran funktioniert. Dieses Speicherlipid ist nicht unbekannt – es handelt sich um Arachidonsäure – nicht in freier, sondern in Phosphatidylcholin gebundener Form (Arachidonyl-Phosphatidylcholin). Wirkt Aspirin auf das Speicherlipid? Dr. Koeberle möchte nicht ausschließen, dass die vor Krebs schützende Wirkung, die beispielsweise für Aspirin, bei kontinuierlicher Einnahme gezeigt wurde, nicht nur auf der verringerten Bildung von Eikosanoiden beruht. Es könnte auch sein, dass in der Zelle vorliegende freie Arachidonsäure durch die COX-Hemmung nicht weiter umgesetzt, sondern wieder in die Speicherform überführt wird. "Dadurch würde einerseits eine Entzündungsreaktion abgeschwächt, andererseits die Proteinkinase B gehemmt und im Zusammenspiel einer potentiellen Krebsentstehung entgegengewirkt", erklärt er. Das soll nun experimentell untersucht werden. Ebenso möchten die Wissenschaftler untersuchen, ob das in der gesunden Zelle vorliegende Gleichgewicht zwischen der membrangebundenen und der freien Arachidonsäure durch Medikamente beeinflusst werden kann, um der Krebsentstehung entgegenzuwirken. Mögliche Angriffspunkte wären daher Phospholipasen oder Acyltransferasen, also der Enzyme, welche die Freisetzung bzw. den Einbau katalysieren. Bisher beruht diese Vorstellung jedoch nur auf Hypothesen. Aspirin als Dauermedikation verordnen - oder besser nicht? Welche Konsequenzen ergeben sich aus den neuesten Forschungen konkret für den Patienten? Von der eigenmächtigen langfristigen Einnahme von ASS wird auf jeden Fall abgeraten. Auch für Menschen ohne bekanntermaßen erhöhtes Krebsrisiko eignet sich die Einnahme nicht. In jedem Einzelfall muss auch das Risiko für Nebenwirkungen, insbesondere Blutungen im Verdauungstakt, gegen die möglichen, aber eben nicht sicher bewiesenen, positiven Effekte abgewogen werden. Kritiker der Studien betonen, dass der Nachbeobachtungszeitraum in allen Studien zu kurz sei, um Rückschlüsse auf einen Zeitraum von 20 Jahren zu ziehen. Zudem waren die meisten Studien nicht explizit darauf angelegt, die Auswirkungen auf die Krebshäufigkeit zu untersuchen, sondern wurden retrospektiv daraufhin ausgewertet. Damit ist aber unklar, ob bzw. wie viele der Studienteilnehmer in den Gruppen beispielsweise erhöhtes Krebsrisiko aufwiesen. Zusammenfassend lässt sich wohl sagen, dass es gute Hinweise auf eine positive Wirkung von ASS auf die Krebshäufigkeit gibt, es aber noch weiterer Studien bedarf, um konkrete Therapieempfehlungen auszusprechen.