Untersuchungen zu Vitamin D geben Anlass zum Zweifel an den durchweg positiven Wirkungen des Vitamins. Nun zeigt sich, dass Schwangere mit hohem Vit. D-Spiegel ihrem Kind ein erhöhtes Risiko für Nahrungsmittelallergien mit auf den Weg geben könnten.
Die positiven Wirkungen von Vitamin D auf den Knochenstoffwechsel und das muskuloskeletale System sind unbestritten und vielfältig belegt. In vielen anderen Stoffwechselprozessen spielt Vitamin D aber ebenfalls eine Rolle – so lassen es zumindest die genomweit über 2700 Vitamin D-Rezeptor-Bindungsstellen und mehr als 220 Gene vermuten, die direkt durch Vitamin D reguliert werden können. Doch die Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen zur Wirkung von Vitamin D im Zusammenhang mit verschiedenen Erkrankungen und Prozessen (Krebs, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Multipler Sklerose, Immun- und Infektionskrankheiten) sind extrem widersprüchlich und deuten nicht nur auf gesundheitsfördernde Wirkungen hin. Vitamin D und Allergien Eine kürzlich publizierte Studie vom HelmholtzZentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig und des Institutes für Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zeigt, dass niedrige Vitamin D-Spiegel bei Schwangeren mit einem geringeren Risiko für Nahrungsmittelallergien in den ersten beiden Lebensjahren des Kindes assoziiert sind, bzw. umgekehrt: Hohe Spiegel sind mit einem höheren Allergierisiko assoziiert. Das Forscherteam untersuchte das Blut von 622 Schwangeren und das Nabelschnurblut der 629 Kinder der LINA-Studie (Lifestyle and environmental factors and their Influence on Newborns Allergy risk). So konnten sie nachweisen, dass es sowohl bei der Schwangeren, wie auch beim Kind jahreszeitliche Schwankungen des Vitamin D-Spiegels gibt, die mit der vermehrten Sonnenexposition in den Sommermonaten zusammenhängt. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Kinder mit höheren Vitamin D-Spiegeln auch ein erhöhtes Risiko für eine Nahrungsmittelallergie haben. Gestützt wird dieses Ergebnis durch die Messung des für Nahrungsmittelallergien spezifischen IgE -Antikörpers (fx5), der ebenfalls bei den Kindern erhöht war, die höhere Vitamin D-Spiegel aufwiesen. Werden regulatorische T-Zellen durch Vitamin D unterdrückt? Die Forscher um Frau Dr. Kristin Weiße und Dr. Gunda Herberth vom UFZ fanden auch einen Hinweis auf einen möglichen Mechanismus. Sie untersuchten die Immunantwort der Kinder, besonders die Anzahl der regulatorischen T-Zellen im Nabelschnurblut. Diese Zellen, auch Tregs genannt, können eine Überreaktion des Immunsystems auf Allergene verhindern und auf diese Weise vor Allergien schützen. Bereits seit einer früheren Analyse von Proben aus der LINA-Studie wissen die Forscher, dass es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl an Tregs im Nabelschnurblut und dem Risiko für Nahrungsmittelallergien später im Leben gibt. Nun konnten sie dieses Ergebnis unterstützen: Kinder mit hohen Vitamin D-Spiegeln im Nabelschnurblut wiesen eine geringe Anzahl an regulatorischen T-Zellen auf und ein höheres Allergierisiko. Dr. Weiße erklärt: "Ein Zuviel an Vitamin D könnte die Entwicklung von regulatorischen T-Zellen unterdrücken und dadurch das Allergierisiko erhöhen". Kein Vitamin D-Präparat in der Schwangerschaft zur Allergieprävention Die Ergebnisse sind jedoch – wie Dr. Weiße selbst betont – noch mit Vorsicht zu betrachten, da es immer wieder widersprüchliche Aussagen gibt. So existieren auch Studien, in denen ein hoher Vitamin D-Spiegel vor Allergien zu schützen scheint. Eine Studie aus Japan zeigte, dass eine vermehrte Aufnahme von Vitamin D in der Schwangerschaft das Risiko für asthmatische Erkrankungen und Ekzemen verringert. Eine australische Untersuchung an Kindern zwischen sechs und 14 Jahren fand heraus, dass eine niedrige Versorgung mit Vitamin D vermehrt zu Atopie und Asthma führt. Neben dem jahreszeitlichen Einfluss und dem Breitengrad kann auch die Hautfarbe der Studienteilnehmer einen Einfluss auf die Ergebnisse haben, wie Frau Dr. Weiße herausstellt. "Dennoch sind unsere Ergebnisse in sich stimmig, denn wir haben in einem einheitlichen Probandenkollektiv Mutter-Kind-Paare untersucht, die späteren Erkrankungen erfasst und die spezifischen IgE-Antikörper analysiert. Außerdem finden wir einen möglichen mechanistischen Hinweis auf die regulatorischen T-Zellen“, betont die Erstautorin der Studie. Die negative Korrelation zwischen Vitamin D im Nabelschnurblut und Tregs im Blut des Kindes ist bei einem Wert von R = -0.168 nicht als eindeutig zu betrachten und könnte auch unabhängig voneinander aufgetreten sein. Trotzdem ist es notwendig, weitere Untersuchungen durchzuführen, um zu konkreten Empfehlungen für Schwangere zu kommen. Die UFZ-Forscher würden Schwangeren zum jetzigen Zeitpunkt eher nicht empfehlen, Vitamin D-Ergänzungspräparate im Sinne einer Allergieprävention während der Schwangerschaft einzunehmen. In der vorliegenden Studie hatten jedoch nur sieben Frauen während der Schwangerschaft Vitamin D-Präparate eingenommen. Interessant ist jedoch, dass bei etwa 50% der Schwangeren und auch beim gleichen Prozentsatz der Kinder die gemessenen Vitamin D-Spiegel unter dem von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und dem international als optimal empfohlenen Wert von 30 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) lagen. Nur etwa ein Viertel der Frauen hatte Werte oberhalb dieses Wertes – maximal bis 61ng/ml. Das liegt zwar im höheren Bereich, ist aber noch nicht als Überdosierung zu betrachten.
Allergien bei Kleinkindern können sich "verwachsen" Welche Bedeutung die Ergebnisse langfristig haben werden, bleibt noch abzuwarten. Denn einige Nahrungsmittelallergien bei Kleinkindern „verwachsen“ sich auch wieder und haben daher keine dauerhafte Bedeutung. Die LINA-Studie beobachtet die Kinder auch zukünftig, um weitere Einblicke in die Entwicklung von Allergien zu bekommen. Zudem sollten Mütter nicht die Vitamin D-Ergänzung im ersten Lebensjahr aus Angst vor möglichen Allergien aufgeben, denn die positive Wirkung für die Knochengesundheit und als Rachitisvorbeugung ist seit langer Zeit bewiesen. Schließlich wird die Entstehung von Nahrungsmittelallergien bei weitem nicht allein vom Vitamin D-Spiegel beeinflusst. Interessant wären zu diesem Themenkomplex auch folgende Betrachtungen: Wie häufig sind Nahrungsmittelallergien bei Kleinkindern in südlicheren Ländern, wo durch die verstärkte Sonneneinstrahlung im Jahresdurchschnitt mehr Vitamin D im Körper vorhanden ist? Und hatte die Einführung der Rachitisprophylaxe bei Babys in Deutschland in den 1960er Jahren einen Einfluss auf die Ausbildung von Nahrungsmittelallergien bei Kleinkindern? Eine Studie aus England hat das untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass seit der Einführung von mehr Vitamin D in der Nahrung – zuerst über Lebertran, heute über Tabletten – die Allergierate bei Kindern von annähernd null auf heute etwa 30% gestiegen ist. Vitamin D wird aufgrund zahlreicher Beobachtungsstudien schon fast als Wundermittel bei Krankheiten wie Krebs, Herzkreislaufleiden, Diabetes, Multipler Sklerose und Immundefekten gefeiert. In der Regel wurden aber nur Assoziationen und keine Kausalitäten beobachtet. Daher stellt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie klar, dass es bislang keine Evidenz aus großen Interventionsstudien gibt, die diese Thesen untermauern. Prof. Dr. Helmut Schatz, Pressesprecher der DGE, rät daher allen zu einem „bewussten Umgang mit Vitamin D-Präparaten“.