Den Ausdruck "personalisierte Medizin" hat jeder Medizinstudent schon einmal aufgeschnappt. Doch worum handelt es sich dabei eigentlich genau? Und inwieweit hat dieses vermeintliche Zukunftskonzept schon seinen Weg in die Curricula gefunden?
Die personalisierte Medizin stellt einen zunehmenden Trend in der modernen Medizin dar. Sie zielt darauf ab, ein individuelles Therapiekonzept zu schaffen, indem spezifische Faktoren und Gegebenheiten eines Patienten in dessen Behandlung mit einfließen. Durch eine genaue Abstimmung von Art und Dauer der Behandlung sollen sich Heilungschancen und Lebensqualität des Betroffenen im Vergleich zur Standardbehandlung nach Diagnosen signifikant verbessern. Auch Hilfe und Sicherheit für Ärzte bei der Entscheidung ihres Vorgehens soll hierdurch gefördert werden. Insgesamt scheint das gesamte Konzept dermaßen vielversprechend und zukunftsträchtig zu sein, dass global agierende Firmen dieses bereits als "Kernelement ihrer Geschäftsstrategie" bezeichnen. Neue diagnostische Möglichkeiten Charakteristika eines Patienten wie Alter und Komorbiditäten bei dessen Therapie zu beachten ist unumgänglich und an und für sich kein neues Konzept. Neuer ist allerdings, dass durch moderne Diagnostik erhobene Patienteninformationen Einzug in das gewählte Therapiekonzept erlangen, etwa durch die Molekulardiagnostik. Man spricht bei der Erfassung von genetischen, molekularen und zellulären Parametern zu diesem Zweck auch von "Biomarkern". Anhand der erhobenen Daten soll erkannt werden, welches Behandlungskonzept welchem Patienten am ehesten nahezulegen ist. Es gilt zum Beispiel herauszufinden, wie wirksam ein Medikament voraussichtlich sein wird, ob es verträglich ist und in welcher Dosierung es gegeben werden sollte. Eine Übersicht von aktuell "personalisiert" einsetzbaren Medikamenten lässt sich hier finden. Anwendungsbeispiel HIV-Behandlung Eine therapiebegleitende Diagnostik ist beispielsweise bei der Anordnung von Wirkstoffen bei der Behandlung von HIV obligat, hier wird auf CCR5-trope Viren getestet. Eine Testung auf das Philadelphia-Chromosom findet bei Akuter Lymphatischer Leukämie statt. Auch bei Brustkrebs (Testung auf HER2 Protein) und Magenkrebs (Testung auf KRAS Wildtyp-Gen) kann diese sogenannte "Companion-Diagnostik" therapiebegleitend erfolgen. Sie umfasst die Erhebung von Laborwerten, molekular-pathologische Gewebediagnostik und bildgebende Verfahren. Insgesamt lässt sich sagen: Ob eine Behandlung mit personalisierter Medizin sinnvoll ist oder nicht, hängt stark von der Erkrankung ab und auch davon, welche Therapieoptionen und Medikamente prinzipiell zur Verfügung stehen. Schleichender Einzug in die Lehre Obwohl das Thema personalisierte Medizin in der Forschung in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, scheint nur schleichend ein Einzug in die universitäre Lehre stattzufinden. "Ich habe im Laufe meines Studiums eigentlich nie konkret etwas über personalisierte Medizin gelernt", berichtet eine Medizinstudentin im Praktischen Jahr auf Nachfrage. "Klar, hier und da schnappt man mal etwas auf und den Begriff hat man auch schon mal gehört, aber wenn ich Beispiele nennen müsste, mir fiele ehrlich gesagt auf Anhieb keines ein." "Es stellt sich vielleicht die Frage, wie explizit das wirklich gelehrt werden kann", so ein Student im achten Semester. "Viele Professoren weisen bei bestimmten Krankheitsbildern auch auf genetische Unterschiede und Auswirkungen auf die Therapie hin, wenn diese von Bedeutung sind, ohne dabei jetzt direkt von personalisierter Medizin zu sprechen. Ich denke, wenn man als Arzt selbst Krankheiten behandeln muss, bei denen das eine große Rolle spielt, lernt man besser, worauf man zu achten hat." In manchen Curricula wird aber auch expliziter von personalisierter Medizin gesprochen. Ein Heidelberger Medizinstudent berichtet: "Im Humangenetik-Kurs wurde das häufig angesprochen. Da hat es wohl auch die größte Relevanz. Ich denke, in den meisten klinischen Fächern ist es zunächst wichtig, sich auf das Standardprozedere zu konzentrieren." Ein Meer aus Daten Auch abseits der Pflichtveranstaltungen wird die Thematik aufgegriffen. Eine Studentin, die an einem Workshop zum Thema "IT in der Medizin" teilgenommen hat, erinnert sich, dass zum Beispiel die Problematik der Erhebung und Verarbeitung großer Datenmengen bei gezielter Diagnostik im Fokus stand. In der Tat erfordert die "Personalisierte Medizin" oft das Erheben enormer Datenmengen zum Zustand eines Patienten. Es stellt zum einen eine Herausforderung dar, dieser Datenmengen Herr zu werden, zum anderen kann deren Auswertung und Interpretation aber auch maßgeblich für das jeweilige therapeutische Vorgehen sein. Interessant in diesem Zusammenhang ist der Schritt zur zunehmenden elektronischen Vernetzung von Krankenhäusern und Institutionen zur Therapieoptimierung und Minimierung des bürokratischen und organisatorischen Aufwandes zum Einholen von Befunden und Patientendaten, beispielsweise mithilfe von Cloud-Diensten. Zudem könnten Programme Medizinern konkrete Behandlungspfade, auf Basis bestehender und eingeholter Daten, nahelegen - zur Unterstützung in deren Entscheidungsfindung und um möglichen Behandlungsfehlern entgegenzuwirken. Dabei stellt es eine Herausforderung dar, die Verletzung von Rechten und Privatsphäre der Patienten möglichst zu vermeiden. Finanzielle Aspekte Je gezielter Patienten behandelt werden, desto eher werden sie auf Medikamente zurückgreifen müssen, die selten und kostenintensiv sind. Für die Krankenkassen bedeutet das eine Herausforderung, für die Pharmaindustrie einen sinkenden Absatz gängiger Präparate und damit die Problematik der marktwirtschaftlichen Vertretbarkeit spezieller kostenintensiver Forschung. Man erhofft sich jedoch, durch gezieltere und besser abgestimmte Therapien, Folgebehandlungen und Komplikationen im weiteren Verlauf zu vermeiden und so im Endeffekt ein massives Einsparpotential zu erzielen. Das erinnert an die Idee langfristiger Einsparungen durch allgemeine Prävention. Ethik und Kritik Ansätze und Definitionen der personalisierten Medizin werden ebenso kritisch hinterfragt und diskutiert wie interessiert betrachtet. So weist die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beispielsweise darauf hin, dass der Begriff "personalisiert" insofern irreführend sei, als dass die Person als solches auf weitgehend unbeeinflussbare biologische Parameter reduziert wird, ohne dass Fähigkeiten wie Selbstbestimmung beachtet werden. Alternativ wird daher auch der vom Bundestag vorgeschlagene Begriff der "stratifizierten Medizin" verwendet. Kritisiert wird unter anderem die Testdurchführung bei sehr geringer Wahrscheinlichkeit auf eine Auswirkung auf das therapeutische Vorgehen, was in der Summe eine möglicherweise vermeidbare diagnostische Zusatzbelastung für Patienten und einen zusätzlichen Kostenfaktor darstellt. Hier gilt es, präzise abzuwägen, bei welchen zugrunde liegenden Wahrscheinlichkeiten und in welchen speziellen Fällen getestet werden sollte und wann man darauf verzichten kann. Wirft Fragen auf Die personalisierte Medizin sollte auch stets in all ihren Einzelheiten und ihrer Komplexität betrachtet werden. Laut einem Tagungsbericht der Kooperationstagung "Ethik der Personalisierten Medizin: Medizinische, soziale und ökonomische Aspekte" weist der Jurist Jens Kerten von der LMU München beispielweise darauf hin, dass durch genetisches Screening sogenannte "präsymptomale gesunde Kranke" diagnostiziert würden, was Fragen aufwerfe, in Hinblick auf deren Recht auf Informationen zu ihrer Genetik und deren mögliche Auswirkungen auf zukünftiges Verhalten sowie den gesellschaftlichen Umgang mit diesen Informationen, Stichwort Versicherungen. Abschließend lässt sich sagen, dass die personalisierte Medizin in Hinblick auf zukünftige Therapiekonzepte und Herangehensweisen an die Behandlung von Krankheiten äußerst interessant und vielversprechend ist und deren Einbezug in universitäre Unterrichtskonzepte und in den klinischen Alltag weiter vorangetrieben werden sollte. Wenn es gelingt, das Konzept zum Vorteil von Patienten und unter Berücksichtigung ethischer, klinischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Probleme und Fragestellungen auf breiter Ebene zu etablieren, birgt dieses Feld nicht nur neue therapeutische Möglichkeiten, sondern ein grundsätzliches Umdenken in der medizinischen Praxis.