Oft entscheidet der Zufall, ob Aneurysmen rechtzeitig auffallen. Dass der Routine-Blick auf die Hauptschlagader lohnt, zeigen Screening-Programme anderer Länder. Die Suche nach biologischen Zeitbomben könnte auch hierzulande bald zur Kassenleistung werden.
Der Fall der Sportjournalistin Monica Lierhaus sorgte dafür, dass der Begriff "Aneurysma" auch für viele Laien eine Bedeutung bekam. Bei einem Eingriff, der eine kleine Aussackung einer Gehirnarterie beseitigen sollte, kam es zu Komplikationen, worauf Lierhaus in ein künstliches Koma versetzt wurde, das 4 Monate andauerte. Mehr als eine Million Menschen in Deutschland haben eine markante Schwachstelle in ihrem Gefäßsystem. Die meisten wissen jedoch nichts von der tödlichen Gefahr, die vor allem zwei Regionen des Körpers betrifft. Außer der hohen Wahrscheinlichkeit, nach einer Ruptur zu sterben, haben Patienten mit zerebralen und Aortenaneurysmen nur wenig gemeinsam. Ruptur ist meist tödlich Aussackungen der Gehirnarterien, die bei einer Schädelaufnahme auftauchen, sind meistens Zufallsbefunde. Das gilt zur Zeit auch noch zum Teil für Aortenaneurysmen. Das soll sich aber entsprechend Bestrebungen deutscher Gefäßchirurgen ändern. So kämpft etwa Hans Henning Eckstein von der TU München schon seit Jahren für ein regelmäßiges Ultraschall-Screening der Hauptschlagader. "Mehrere große und gut gemachte Studien zeigen ganz klar, dass dort, wo eine Vorsorgeuntersuchung durchgeführt wird, weniger Aneurysmen platzen." Aus Sektionen schließen die Epidemiologen auf eine Häufigkeit von Aneurysmen großer Gefäße von etwa zwei bis drei Prozent. Männer sind dabei stark in der Überzahl. Anders als im Gehirn sind sie etwa fünf mal so häufig wie Frauen betroffen. Eine Ruptur überleben vier von fünf Patienten nicht. Erkennt der Arzt den fortgeschrittenen Gefäßschaden aber rechtzeitig, kann eine Reparatur mit einem Katheter unter Umständen auch ohne offene Operation dem Riss vorbeugen (DocCheck berichtete 2010 in einem Videobeitrag über "EVAR" = endovaskuläre Aneurysmenrepararur). Sie ist im Vergleich teurer, aber gemessen an der perioperativen Mortalität sicherer: Etwa 5 Prozent bei der offenen OP, gegenüber 2 Prozent bei der endovaskulären Reparatur. Screening: Mortalität um 40 Prozent geringer Ein mindestens einmaliges Aortenscreening erhalten Männer im Rentenalter inzwischen in den USA, Großbritannien, Italien, Schweden und Australien. Aus den USA und ganz besonders aus England kommen auch wichtige Studien dazu, ob der Ultraschall-Blick auf die Aorta wirklich etwas bringt. Bereits 1997 startete in England die "UK Multicenter Aneurysm Screening Study" (MASS). Sie wurde jetzt, mit 13 Jahren Nachbeobachtung, ein letztes mal ausgewertet und im "British Journal of Surgery" publiziert. Die Forscher nahmen damals die Hauptschlagadern von rund 27.000 Männern im Alter zwischen 65 und 74 unter die Lupe und verglichen das Schicksal ihrer Probanden mit einer ebenso großen Kontrollgruppe, die keine Einladung zum Screening bekam. Aneurysmen von mehr als drei Zentimeter Größe wurden regelmäßig nachuntersucht und bei Bedarf operiert. Während in der Screeninggruppe 224 Patienten an einem geplatzten Aneurysma starben, waren es in der Kontrollgruppe 381, das Risiko war somit um über 40 Prozent vermindert. MASS ist allein schon aufgrund der hohen Teilnehmerzahl und der langen Nachbeobachtung die wichtigste Studie zum Aneurysmenscreening weltweit. Da es sich bei negativem Erstbefund um ein einmaliges Screening handelte, steigt die Todesrate nach etwa acht Jahren durch neu auftretende Aneurysmen wieder an. Dennoch ist die Prävention den Berechnungen des englischen Gesundheitsdienstes NHS nach effektiv. Pro gewonnenem Lebensjahr rechnet sich eine Kampagne wie diese für die gesamte Bevölkerung bis zu einer Ausgabe von etwa 23.000 Euro. Die Kosten für den Aorten-Ultraschall liegen bei rund 8.700 Euro. OP-Empfehlung ab fünf Zentimetern Bei Männern wird ab etwa 5,5 cm Größe eine Operation des Aneurysmas notwendig. Dann übersteigt das Rupturrisiko die durchschnittliche Mortalität bei einem chirurgischen Eingriff. Stellt der Arzt ein Aneurysma mit geringerer Größe fest, heißt es für den Patienten erst einmal warten und regelmäßig zur Kontrolle. Mit zunehmender Größe umso öfter, denn massive Aneurysmen wachsen schneller, wie eine ganz aktuelle Metastudie in "JAMA" jüngst beschrieb. Für ein Drei-Zentimeter-Säckchen reicht demnach ein Drei-Jahres-Intervall, bei fünf Zentimeter sollten es dagegen nur wenige Monate sein. Bei Frauen, so die Autoren der Veröffentlichung, bestehe dagegen weiterer Forschungsbedarf, um Empfehlungen zu Screening und Follow-up treffen zu können. Für Problemfälle gelten ohnehin andere Gesetze. Bei Rauchern wächst die Ausstülpung schneller, unregelmäßig geformte Aneurysmen reißen leichter auch bei geringer Größe. Zerebrales Aneurysma: Eines unter Hundert reißt jedes Jahr Bei Gehirnaneurysmen sind die Größenverhältnisse anders und die Risiken mangels rechtzeitiger Entdeckung noch nicht so genau bekannt. Eine japanische Studie aus dem letzten Jahr untersuchte 6.700 nichtruptierte Aneurysmen und kam auf ein mittleres Rupturrisiko von 0,95 Prozent pro Jahr. Im Vergleich zu einer Größe von drei bis vier Millimetern haben solche von ein bis zweieinhalb Zentimetern ein neunmal höheres Risiko, bei mehr als 2,5 Zentimetern ist die Gefahr um das 70-fache erhöht. Auch wenn die Überlebensrate einer Subarachnoidalblutung in den letzten Jahren auf nahezu zwei Drittel stieg, trägt doch etwa die Hälfte der Überlebenden kognitive Schäden bei einem Riss davon. Zur Entstehung eines Aneurysmas trägt auch eine genetische Komponente bei. So ist das Risiko für diese Gefäßschwäche um das Fünffache erhöht, wenn auch ein Verwandter (ersten Grades) betroffen ist. Bei dieser Konstellation raten viele Experten auch zu einem Kontroll-Check. Die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) hat sich jedoch gegen ein Massen-Screening-Programm für zerebrale Aneurysmen ausgesprochen. Denn das Gefühl, mit einer "Zeitbombe" im Kopf zu leben, ist für viele Patienten nur schwer erträglich. Genau wie im Thorax ist jedoch das Risiko einer Operation bei kleinen Aussackungen höher als der unerwartete Riss.
1.) Hyperthermie nach AneurysmaClipping 2.) Herzrhythmusstörung nach herzchirurgischem Eingriff Haben Sie auch eine Frage, die Sie gerne mit Ihren Kollegen diskutieren möchten? Dann stellen Sie hier Ihre Frage - und erhalten fachkundiges Feedback von Kollegen. Software für automatische Aneurysmen-Detektion Aber der "psychologische" Faktor "Zeitbombe" spielt auch bei den Argumenten für oder gegen ein Screeningprogramm bei Aortenaneurysmen eine Rolle. Daher befassen sich etliche Forschungsprogramme mit der Entwicklung von Aneurysmen und Markern für deren fortschreitendes Wachstum. Mit 60.000 Euro wird etwa ein Projekt in Freiburg zu "Biomarkern für Scherstress und Wandspannung" gefördert. Eine chinesische Forschergruppe beschrieb vor kurzem die Rolle von Kathepsin S bei der Bildung von Aneurysmen. Entsprechende Knock-out Mäuse (zusammen mit einer Apolipoproein E -Mutation) entwickelten wesentlich weniger Brüche in der Aortenwand. Auch für die Detektion dieser Schäden gibt es vielversprechende Entwicklungsansätze. An der Universität Magdeburg haben sich schließlich Computerwissenschaftler und Neuroradiologen zusammengetan und eine Software programmiert, die in MRT- und CT-Bildern ein zerebrales Aneurysma erkennt und den Arzt darauf hinweist. Da fast alle Gehirnaneurysmen immer noch durch Zufallsbefunde entdeckt werden, könnte dieses Überwachungsprogramm zu einer besseren Früherkennung führen. Ultraschall-Screen: Fünf Minuten für ein Menschenleben Um einen Todesfall aufgrund eines Aortenaneurysmas innerhalb der nächsten 13 Jahre zu verhindern, müssen die Gesundheitsbehörden 216 Männer im Alter zwischen 60 bis 65 Jahren zum Screening einladen. Damit liegt diese Quote weit unter der anderer Präventionsprogramme. Beim Mammographie-Screening liegt diese Zahl bei über 400. Dennoch hat sich bis jetzt bis auf einige wenige Anläufe wenig für die wohl recht effektive Maßnahme getan, die auch den Arzt nicht übermäßig belasten würde: "Ganze fünf Minuten für einen simplen Check der Bauchaorta mittels Ultraschall könnten diesen Menschen das Leben retten", sagt Hans Henning Eckstein. Möglicherweise tut sich in absehbarer Zeit in der Gesundheitspolitik aber doch etwas auch auf diesem Gebiet. Neben den Anträgen an den gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) werden zurzeit HTA-(Health Technolgy Assessment) Berichte über Kosten und Nutzen des Routine-Checks erstellt. Eine Entscheidung darüber soll der G-BA noch in diesem Jahr treffen. Eine Entschärfung vieler Gefäß-Sprengsätze wäre damit zumindest in Reichweite.