Angst, Depression und Burnout: Arbeitnehmer leiden zunehmend unter psychischen Beschwerden. Ohne Behandlung führt ihr Weg häufig in Richtung Frührente. Deshalb suchen Ärzte, Betriebsärzte und Arbeitgeber gemeinsam nach Lösungen.
Für Angestellte werden psychische Erkrankungen ein immer größeres Problem. Wie die Deutsche Rentenversicherung Bund berichtet, leiden 41 Prozent aller Arbeitnehmer, die eine Erwerbsminderungsrente beantragen, an seelischen Probleme – nicht selten durch ihren Job. Krankenkassen wie die DAK sind alarmiert, da sich Krankschreibungen aufgrund seelischer Leiden häufen. Mittlerweile sind Depressionen, Angststörungen und Co. bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sogar schon auf dem zweiten Platz gelandet. Gratifikationskrise am Schreibtisch Warum Arbeitnehmer erkranken, kann vielfältige Gründe haben. Wissenschaftler entschlüsselten noch längst nicht alle Mechanismen, aber es gibt zumindest Erklärungsansätze wie das Modell beruflicher Gratifikationskrisen. Oftmals beginnen seelische Leiden mit großen Erwartungen hinsichtlich des Gehalts beziehungsweise der Aufstiegsmöglichkeiten. Arbeitnehmer geben alles und hoffen auf entsprechende Honorierung. Treten unrealistische Belohnungserwartungen nicht ein, kommt es zur Gratifikationskrise. Diese Theorie hatte Professor Dr. Johannes Siegrist, Düsseldorf, postuliert. Belohnungen bestehen demnach aus drei möglichen Komponenten: materieller Honorierung, immaterieller Anerkennung sowie einem sicheren Arbeitsplatz. Weitere Erklärungsansätze gehen von veränderten Rahmenbedingungen aus. Laut Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sind hier an erster Stelle steigender Zeitdruck und Leistungsdruck zu nennen, gefolgt vom ständigen Umgang mit schwierigen Menschen. Das können Kunden, Patienten oder auch Schüler sein. Probleme mit Kollegen oder Vorgesetzten kommen mit hinzu. Befragungen haben ebenfalls gezeigt, dass Patienten unter zunehmender Technisierung und hohen Erwartungen hinsichtlich ihrer Mobilität leiden. Kein Entrinnen aus dem Teufelskreislauf Ganz egal, welchen Erklärungsansatz Kollegen zu Rate ziehen: Depressionen machen die Sache nur noch schlimmer. Psychische Störungen sind mit Antriebslosigkeit verbunden, und die Leistungsfähigkeit wird drastisch eingeschränkt – an sich schlechte Voraussetzungen, um im Job zu bestehen. Patienten tun sich schwerer, Entscheidungen zu fällen und ziehen sich aus dem Team zurück. Auch ihr Verhalten gegenüber Kunden verschlechtert sich. Kollegen und Chefs haben gegenüber seelischen Leiden noch immer Vorurteile oder sind mit der Situation an sich überfordert. Sie entziehen Betroffenen wichtige Projekte, diskreditieren sie im Kreis der Mitarbeiter und denken nicht selten über eine Kündigung beziehungsweise Frühpensionierung nach. Das hat Folgen: Laut Studien aus Finnland erhalten 20 Prozent aller Patient mit depressiven Episoden (major depressive disorders) innerhalb von fünf Jahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Doch es gibt weitaus bessere Wege aus der Krise. Step by Step Kommt es bei Patienten zu einer mittelschweren Depression oder einer Burnout-Phase, sollte die Behandlung auf drei Säulen ruhen: Leitliniengerechte Pharmakotherapie und Psychotherapie sowie Schritte am Arbeitsplatz. Die ersten beiden Maßnahmen beginnen idealerweise ambulant innerhalb von zwei Wochen, mit sechs bis acht Wochen Dauer ist zu rechnen. Direkt im Anschluss kommt das Hamburger Modell ins Spiel, um Wege zurück in die berufliche Normalität zu ebnen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für eine stufenweise Wiedereingliederung, je nach Genesungsfortschritt. Der Vorschlag, am Hamburger Modell teilzunehmen, kann sowohl vom Patienten als auch vom Arzt oder von der Krankenkasse kommen. Ziel ist, die Arbeitsstunden pro Tag langsam wieder zu steigern. Das bedeutet für gesetzlich Versicherte keine finanziellen Einbußen. Sie gelten während dieser Phase als arbeitsunfähig erkrankt und erhalten weiterhin Krankengeld. Die Grundlagen sind im V. Sozialgesetzbuch, § 74 sowie im IX. Sozialgesetzbuch, § 28, nachzulesen. Wenn der Beruf gesund macht Eine sukzessive Rückkehr in den Job kann laut Privatdozentin Dr. Karin Siegrist, Düsseldorf, sogar die Genesung fördern. Extreme, langfristige Krankschreibungen (Absentismus) oder volle Berufstätigkeit trotz bestehender Grunderkrankung (Präsentismus) führen in die falsche Richtung. Ob sich der alte Arbeitsplatz für schrittweise Wiedereingliederungsmaßnahmen überhaupt eignet, kann nicht generell beantwortet werden. Vielmehr sollte der behandelnde Arzt zusammen mit dem Betriebsarzt und dem Vorgesetzten gemeinsam alle Rahmenbedingungen diskutieren. Oft nehmen an Wiedereingliederungsmaßnahmen auch Vertreter des Betriebsrats teil. Findet das Team hohe psychosoziale Belastungen, kann es sinnvoll sein, Rahmenbedingungen anzupassen oder einen anderen Job im Unternehmen zu suchen, falls möglich. Gelingt die Umsetzung, finden Patienten Wege aus dem Teufelskreislauf und profitieren von mehr Lebensqualität. Gleichzeitig verringern sich depressive Symptome. Maßnahmen nach dem Hamburger Modell lassen sich auch pharmakologisch unterstützen. Antidepressiva – immer noch ein heißes Eisen In dieser Phase sollten Ärzte vor allem Medikamente verschreiben, die ein breites Wirkspektrum haben, aber nicht sedieren. Eine ältere Arbeit in "The Lancet" untersucht verschiedene Pharmaka hinsichtlich ihrer Effektivität und Akzeptanz bei Depressionen. An erster Stelle nennt der Artikel Escitalopram und Sertralin. Unabhängig vom Wirkstoff sollten sich Ärzte und Apotheker Zeit nehmen, um intensiv zu beraten. Vorurteile, entsprechende Medikamente würden abhängig machen, halten sich bei Laien hartnäckig bis heute. Das Fazit: Sie nehmen Tabletten nicht oder nur in verringerter Dosis ein, während sich Ärzte wundern, warum ihre Behandlung nicht fruchtet. Dann wird ein anderer Arzneistoff getestet – wieder ohne Erfolg. Prophylaxe statt Therapie Zwar helfen Konzepte wie das Hamburger Modell vielen Patienten, um erfolgreich in den Beruf zurückzukehren. Personalverantwortliche sollten dennoch überlegen, welche Maßnahmen sie prophylaktisch im Betrieb ergreifen können, etwa durch Information und Schulung von Führungskräften. Speziell für Angestellte bieten Firmen in den USA mittlerweile Employee Assistance Programs (EAPs) an. Ihr Ziel: durch die Vermittlung von kurzfristigen Beratungsangeboten Mitarbeitern helfen, ihre Probleme zu meistern. In Deutschland heißt das Zauberwort "betriebliches Gesundheitsmanagement". Dessen Grundidee ist alles andere als taufrisch – bereits 1986 formulierten Repräsentanten der Weltgesundheitsorganisation WHO mit ihrer Ottawa-Charta Eckpunkte, damit Arbeit nicht krank macht. Sinnvolle Rahmenbedingungen, um eine ausgewogene Work-Life-Balance zu schaffen, gehören mit zum Konzept. Nur mit der Umsetzung sieht es schlecht aus. Viele Betriebe haben allerdings in den letzten Jahren die Bedeutung erkannt und entsprechende Programme auf den Weg gebracht. Jetzt fordern Arbeitsmediziner, Gefährdungsbeurteilungen anhand geeigneter Screeningverfahren durchzuführen. Gelänge es, Risikogruppen zu identifizieren, ließen sich prophylaktische Maßnahmen gezielter einsetzen.