DocCheck wollte es von Ihnen wissen: Steht die Apothekenwelt wirklich am Abgrund? Und welche Wege – außer dem berühmt-berüchtigten Schritt nach vorne – gäbe es, um dem Untergang doch noch zu entrinnen? Zahlreiche User sagten uns ihre Meinung: offen, ehrlich und schonungslos.
"Das über 125-jähriges Gesundheitswesen mit den großartigen, innovativen, medizinisch-wissenschaftlichen Fortschritten bedarf für die Zukunft einer grundsätzlichen Wende, vor allem in Hinblick auf die demographische Entwicklung und die zunehmende Lebenserwartung", stellt Wolfgang Pohlschmidt klar. Der Apotheker, Jahrgang 1938, bemängelt fehlende Fortschritte in Politik und Verwaltung. "Laien diktieren den praktizierenden Heilberufen die Beratung, Behandlung und Betreuung durch Einsparvorschriften" – mit fatalen Folgen: Durch Rabattverträge sank die Compliance, und Apotheker wurden immer mehr zu Erfüllungsgehilfen der Krankenversicherungen. Vom Heilberufler zum Kassenknecht Ganz klar: Recherchen zu Rabattverträgen fressen Zeit, die letztlich bei der Beratung fehlt. Patienten tagtäglich zu erklären, warum sie plötzlich Präparat A nicht mehr bekommen, dafür aber Präparat B, kann auch nicht der tiefere Sinn eines Pharmaziestudium oder einer PTA-Ausbildung sein. "Wir sollten aufzählen und dokumentieren, was Apotheken als unbezahlte Leistung für die Kassen alles erledigen", fordert ein Apotheker aus Bremen. "Diese Arbeit sollte mit einem Wert taxiert werden, also Arbeitszeit und Arbeitskraft der Apotheke": eine Berechnungsgrundlage für Dienstleistungspauschalen, die Kassen dann zu entrichten hätten. Bekannte Rezeptgebühren sind eigentlich für die pharmazeutische Beratung gedacht – und nicht als Obolus, um Rabattverträge durchzudrücken. "Wenn das alles nichts fruchtet, könnten Apotheken für einen begrenzten Zeitraum beitragspflichtige Rezepte als Privatrezepte behandeln und Patienten bitten, sich das Geld von ihren Krankenkassen zurückzuholen", so der Bremer Kollege weiter. "Dann werden sie sehr schnell merken, wie teuer diese Arbeit ist." Experten am Ruder Pohlschmidt sieht darin weniger zeitlich befristete Maßnahmen, sondern vielmehr eine grundlegend neue Strategie. Er fordert, das Gesundheitssystem zum "selbständigen, eigenverantwortlichen Wirtschaftsbereich" zu machen. Dabei soll eine "Gesundheitskommission mit mindestens 49 Prozent Praktikern der Heilberufe sowie Vertretern aus Politik, privaten Krankenversicherungen, medizinisch-pharmazeutischer Industrie und unabhängigen Bürgern" wichtige Weichenstellungen treffen, hinsichtlich Berufsordnungen, Taxen und Honorierungen. Patienten wären alle in einer einzigen Kasse versichert. Sie müssten generell in Vorleistung gehen, bekämen die Kosten aber erstattet. "Individuelle Rechnung und Bezahlung regen Erziehung und Bildung zu gesunder Lebenskultur an, was PKV und Gesundheitsministerien gern mit den eingesparten GKV-Zuschüssen fördern können", so Pohlschmidt weiter. Konkurrenz für Kassen Harald Trachmann wird noch deutlicher. Er bringt eine "Apo-Kasse" als Kooperation deutscher Apotheken mit in- oder ausländischen Versicherern ins Gespräch. "Bis wir eine eigene Organisation aufgebaut hätten und sich diese wirtschaftlich tragen würde, falls das je geschähe, würde viel Zeit vergehen, und Krankenkassen würden diesen Vorschlag auch nicht ernst nehmen. Ich denke deshalb an englische oder amerikanische Versicherungen, die auf den Kontinent schielen und gerne expandieren wollen." Mit so manchem Anbieter ließen sich entsprechende Abkommen paraphieren. Diese Konkurrenz würden deutsche Krankenkassen sehr wohl fürchten. Trachmann bewertet sein Modell nicht nur als kostengünstig, sondern auch als seriös und patientennah: "Stellen Sie sich vor, dass wir vor Ort zum Beispiel Krankenpflegeartikel genehmigen oder Zuzahlungen regeln könnten." Bei der Auswahl von Fertigpräparaten wären Ausschreibungen nicht mehr erforderlich, vielmehr könnten Apotheker Medikamente nach pharmazeutischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten auswählen – natürlich nicht zum Nulltarif. Öffentliche Apotheke? Nein, danke! Umwälzende Ideen im Vergleich zum status quo. "Wenn die Tatsachen dahingehend verändert werden, dass nicht mehr der Kunde, sondern dessen Krankenkasse zum Partner wird und der Apotheker sich bei jedem Geschäftsvorgang zwingend fragen muss, wie und womit er am wenigsten Kosten verursacht, braucht sich niemand über die Folgen wundern", so Bertram Roos. Sein Berufsstand findet mittlerweile "in der Jugend keinen Nachwuchs mehr". Laut ABDA-Statistik studieren zwar mehr Abiturienten Pharmazie als noch vor ein paar Jahren. Umfragen haben jedoch gezeigt, dass viele in die universitäre oder industrielle Forschung wollen – oder in den Staatsdienst. Öffentliche Apotheken haben augenscheinlich keine Attraktivität mehr. Roos: "Die Geringschätzung wird gekrönt durch die Verweigerung einer ehrenvollen Entschädigung für Nacht- und Notdienste." Seit Monaten speist das Bundesministerium für Gesundheit Kollegen mit Versprechungen ab, Geld hat noch niemand gesehen. Selbst wenn alles nach Plan läuft, gilt das Apothekennotdienstsicherstellungsgesetz erst nach Bekanntgabe, aber nicht rückwirkend. "Stattdessen setzt man auf das Internet", so Roos weiter. Mit der neuen Apothekenbetriebsordnung wird individuelle, persönliche Beratung zur Pflicht – in der Offizin. Versandapotheken können sich laut BMG damit begnügen, eine Telefonnummer zu erfassen und ihrer Sendung schriftliche Informationsangebote beizulegen. Roos: "Auf in die APOkalypse! Sie verhindern? Geht nicht mehr!" Neue, motivierte Apotheker kämen frühestens in fünf Jahren von den Unis. Ende mit Schrecken Bis dahin schließen Jahr für Jahr 300 bis 400 Apotheken, während im gleichen Zeitraum 200 bis 300 Apotheken neu eröffnen: ein Konkurrenzkampf, der florierende Standorte fördert. Ländliche Gebiete und Inhaber mit geringem Umsatz gehen aber zu Grunde. Laut Dr. Frank Diener, Treuhand Hannover, spaltet sich der Markt immer stärker auf. 57 Prozent aller Apotheken haben in 2012 ein deutliches Umsatzplus erwirtschaftet, während 43 Prozent über teilweise stark rückläufige Umsätze klagen. Kollegen berichten DocCheck mehrfach, sie hätten sich "schweren Herzens" bereits von ihrem Beruf verabschiedet. Ist das Ende nahe? Kein neues Phänomen "Der Untergang von Pharmazie und Apotheken wird schon so lange beschworen, eigentlich seit ich die Wörter 'buchstabieren' kann", sagt Karin Wahl, Fachapothekerin für Offizinpharmazie. Nach ihrem Studium kam als Herausforderung die Selbständigkeit: "Es war harte Arbeit, ich habe mich reingekniet." Im Laufe der Zeit gelang es Wahl, ihre eigene Apotheke hochzuziehen. Sie wechselte zwei Mal den Standort. Schließlich zählte ihre Apotheke zu den 40 größten Baden-Württembergs. "Dabei habe ich viel Zeit verbraten und viel Lehrgeld bezahlt", lautet das Fazit. Trotz aller Belastungen nahm sich Wahl Zeit für die Berufspolitik und wurde 1999 zur ersten Präsidentin einer Landesapothekerkammer gewählt. Ihre Mission: "Seit meinen Anfängen kämpfe ich dafür, dass Apotheken professioneller werden müssen". Den Beruf professionalisieren Wahl sah das gesundheitspolitische Schlamassel kommen und plante ihre eigene Strategie. Dazu gehörten beispielsweise Seminare am Management Zentrum St. Gallen, um von ihren "heute noch im Amt befindlichen Funktionärskollegen ausgelacht zu werden", weil das ja richtig Geld kostet. Ihr Wissen teilte die Apothekerin mehrere Jahre als Dozentin an der Fachhochschule Schmalkalden mit Kollegen. Ein Versuch, nach französischem Vorbild im Hauptstudium Offizinpharmazie beziehungsweise Forschung als Schwerpunkt anzubieten, scheiterte jedoch am Widerstand der Hochschulen. Auch hätten Pharmaziestudierende kurz vor dem praktischen Jahr nur ihr zweites Staatsexamen vor Augen und seien kaum zu motivieren, zusätzliche Seminare zu belegen. Nach Approbation und Selbständigkeit kommt nicht selten ein böses Erwachen. Lernen auf die harte Tour Mittlerweile berät Wahl unter anderem Kolleginnen und Kollegen, die ihre Apotheke verkaufen wollen. Sie hat zwei zentrale Themen identifiziert: "Es ist ein Jammer, weil eben nicht genug unternehmerische Professionalität erworben wurde und weil über die Jahre nichts oder nicht genug investiert wurde. Das schafft dann Probleme am Ende eines Berufslebens." Die neue Apothekenbetriebsordnung mache "alles noch schlimmer, alleine der Punkt Barrierefreiheit schafft fast unlösbare Probleme, die der kalten Enteignung gleichkommen können, wenn für die vielen betroffenen Apotheken keine Lösungen gefunden werden." Von Weltuntergangsstimmung will Karin Wahl aber trotzdem nichts hören. "Die Apotheke und der Apothekerberuf können wunderbar betrieben werden, falls Inhaber wissen, was sie tun und eben nicht nur Profis als Heilberufler, sondern auch als Unternehmer sind. Dazu gibt es Gott sein Dank auch positive Beispiele." Andere Unternehmen würden sich die Finger abschlecken, wenn ihnen Kunden zwingend zugeführt würden, Stichwort Rezeptpflicht. Nur Kollegen und politisch Verantwortliche hätten aus dem "Schutzzaun der exklusiven Belieferung von Kunden mit Rx-Präparaten" zu lange unternehmerisch zu wenig Positives für die Zukunftssicherung des Apothekenbetriebes gemacht. Wahl: "Wahrscheinlich lernen wir Apotheker alles nur auf die harte Tour!"