Verbrennungen führen oft zu Narben im Kopfbereich. Hilfe versprechen Blutplättchen aus dem Labor. Während hier noch viel Forschungsarbeit geleistet werden muss, sind Biomasken bereits auf dem Sprung zur Praxis.
Der US-Soldat Todd M. Nelson war unterwegs auf Patrouille in Kabul, als sich neben seinem Konvoi ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Die Schockwelle zerdrückte sein Gesicht, sie zerstörte Wangen, Stirn, Kinn und Nase. Dennoch hatte Nelson Glück im Unglück. "Noch vor einem Jahrzehnt wäre seine Überlebenschance äußerst gering gewesen", kommentieren Militärärzte. Nach vier Jahren und 43 Operationen führt er heute wieder ein vergleichsweise normales Leben, auch wenn die Narben schmerzen und viele Hautpartien vergleichsweise dünn sind und sein Gesicht eher maskenhaft wirkt. Molekulare Kollateralschäden Todd M. Nelsons Patientengeschichte ist kein Einzelfall. Wie die US-Army berichtet, sind bei jedem zweiten Soldaten, der im Kampfeinsatz verletzt wird, Verbrennungen verschiedenen Schweregrads beteiligt. Auch zivile Unfallopfer haben beispielsweise nach Verkehrsunfällen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Die Therapien sind in der Medizin landläufig bekannt: Nachdem erste Hilfe geleistet wurde, gilt es, Maßnahmen gegen Sepsis beziehungsweise Multiorganversagen zu treffen. Chirurgen entfernen totes Gewebe. Das allein klingt wenig innovativ. Kollege Computer hilft auch hier weiter: Mehrere Kliniken aus den USA und aus Europa setzen mittlerweile die Software BurnCase 3D ein, um Verbrennungen zu dokumentieren und die Behandlung zu optimieren. Aus diversen Daten berechnet das System Parameter wie die Größe der tatsächlich verbrannten Hautoberfläche, die benötigte Flüssigkeitsmenge oder den ABSI-Score (Abbreviated burn severity index). Methoden aus dem ersten Weltkrieg Früher oder später geraten Ärzte trotz Hightech jedoch auf den Boden der Tatsachen. Bei Verbrennungsopfern wie Todd M. Nelson gilt die Transplantation von Haut als einzige Chance, sollte körpereigenes Gewebe stark zerstört worden sein. Grundlegende Techniken stammen aus dem ersten Weltkrieg: Walter Ernest O'Neil Yeo (1890 - 1960), ebenfalls Soldat, profitierte als einer der ersten Patienten nach schweren Gesichtsverletzungen von der plastischen Chirurgie. Auch heute noch entfernen Kollegen zuerst geschädigte Bereiche. Dann sind Transplantationen möglich. Manchmal erzielen Ärzte kosmetisch befriedigende Resultate. In anderen Fällen kommt es zu starker, entstellender Narbenbildung. Neue Chance mit der Biomaske Um genau das zu verhindern, kam bei Nelson ein neuartiges Medizinprodukt zum Einsatz. Colonel Robert G. Hale, US Army Institute for Surgical Research, hat zusammen mit Eileen Moss eine Hightech-Maske entwickelt. Diese besteht aus einer starren, äußeren Hülle und ist mit elastischen Polymeren gefüttert, passend zur individuellen Anatomie des Patienten. Chirurgen verfolgen mit der Biomaske körpereigene Heilungsprozesse quasi in Echtzeit: Integrierte Mikrosensoren überwachen, wie sich geschädigte Hautpartien verändern und geben Arzneistoffe nach Bedarf ab. Kommt es an einer Stelle zur Infektion, werden nur dort Antibiotika verabreicht. Heilt wiederum eine andere Region schlecht, können Stammzellen dort gezielt aufgebracht werden. Mechanische Kräfte minimieren außerdem eine mögliche Narbenbildung. "Wir denken, die Biomaske wird schon bald das ultimative Werkzeug zur Behandlung von Verbrennungen werden", sagt Eileen Moss. Patienten profitierten von "schnelleren und bessere Ergebnissen". Nach ersten Erfolgen rechnet Hale und Moss mit der kommerziellen Einführung ihrer Biomaske innerhalb von fünf Jahren – und geben verwundeten Soldaten beziehungsweise Zivilisten neue Hoffnung. Forschung am Blutgerinnsel Thomas Barker, Wissenschaftler am Georgia Institute of Technology, setzt noch auf ganz andere Strategien. Er untersuchte die Patientengeschichten militärischer und ziviler Unfallopfer. Bei Todd M. Nelson etwa vergingen sechs Stunden, bis er an einem medizinischen Stützpunkt versorgt werden konnte – wertvolle Zeit, in der Gewebe unwiderruflich Schaden nehmen. Barkers Idee: Blutungen umgehend stoppen und Gefäße schnell versiegeln, damit weniger Narben entstehen. Blutgerinnsel, die kurz nach einem Unfall entstehen, kontrollieren den weiteren Heilungsverlauf ganz entscheidend. Barker: "Wir versuchen, das initial gebildete Blutgerinnsel zu modifizieren." Entsteht eine kontrollierbare, dreidimensionale Matrix, so die Hoffnung, könnten sich Gewebe besser regenerieren. Blutplättchen aus der Retorte Zusammen mit Kollegen entwickelte er künstliche Blutplättchen auf Basis eines Hydrogels, also eines Polymers, das Wasser gebunden hat. Im Körper verhalte es sich inert, wie der Forscher beim Jahrestreffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) berichtet. Kommt es zu Verletzungen, aktiviert der Körper sein eigenes Blutgerinnungssystem – und die künstlichen Partikel gleich mit. Entsprechende Tests an Endothelzellen und an Nagetieren haben dies bestätigt. Fibrinogen, Vorläufer von Fibrin, polymerisiert unter dem Einfluss von Thrombin zu komplexen Strukturen. Hydrogel-Teilchen im Blut, ihr Durchmesser liegt bei einem Mikrometer, werden ebenfalls aktiviert. Dies geschieht über einen Antikörper, der an synthetische Blutplättchen gebunden wurde. Er hat eine hohe Affinität zu Fibrin, aber nur eine geringe Neigung, den Vorläufer zu binden. Sollte Thrombin-aktiviertes Fibrin vorhanden sein, ändert das synthetische Konstrukt seine Struktur. Entsprechende Bindungsdomänen sind bekannt. "Die Idee ist, Biomaterialien für Kampfeinsätze zu entwickeln, die selbst "erkennen", wo es zu einer Blutung kommt und die den körpereigenen Gerinnungsprozess beschleunigen", erklärt Barker. "Gleichzeitig unterstützt das Material biochemische und biophysikalische Prozesse der Strukturbildung von Blutgerinnseln, um nachfolgende Heilungsprozesse zu fördern." Sobald die Blutung gestoppt wurde, helfen körpereigene Botenstoffe innerhalb des dreidimensionalen Gerüsts, um den erwünschten Heilungsprozess zu initiieren. Ein weiteres Protein aus dem Labor könnte diese Vorgänge ankurbeln. Einsatz in Krieg und Frieden Zwar stehen Tests an Menschen noch aus. Forschungseinrichtungen der US Army haben aber schon große Pläne: Man könnte Soldaten die Substanz als Autoinjektor mitgeben, quasi für die Hosentasche, um sie im Falle eines Falles selbst in ihren Blutkreislauf zu verabreichen. Ein Kästchen, nicht größer als ein Smartphone, wäre ausreichend und stabil genug. Kommt es zu Verletzungen, reicht ein Knopfdruck, um synthetische Blutplättchen in das Abdomen zu spritzen. Erst einmal im Blutkreislauf angelangt, verschließen Hydrogel-Partikel verletzte Kapillaren, bis die weitere Versorgung im Lazarett möglich ist. Forscher sehen ihre Innovation aber nicht nur auf Schlachtfeldern zum Einsatz kommen. Unfallopfer oder Patienten mit krankheitsbedingten, inneren Blutungen könnten ebenfalls profitieren. Hier spekulieren Ärzte auf viral ausgelöste hämorrhagische Fieber, die unter anderem aufgrund starker Blutungen mit einer hohen Letalität verbunden sind.