Ob Leichen mit ungeklärter Identität oder Straftäter unbekannten Alters: Zahnmediziner leisten wichtige Beiträge bei Ermittlungen. Röntgenbilder bekommen dabei immer häufiger Konkurrenz durch biochemische und physikalische Verfahren.
Schrecklicher Fund im See: Angler entdecken eine stark verweste Leiche. Aufgrund der langen Liegezeit sind kaum noch Angaben zum Äußeren möglich. Ohne umfangreiche Rekonstruktion haben Ermittler auch kein Phantombild, das sie an Medienvertreter weitergeben könnten. Bleibt als Plan B, Alter und Herkunft des Unbekannten zu bestimmen – mit Unterstützung forensischer Zahnmediziner. Andere Länder – andere Behandlungsverfahren Schädel und Zähne sind in diesem Fall gut erhalten, ein Pluspunkt für das Untersuchungsteam. Jetzt geht es in die Details: Materialien früherer Zahnbehandlungen zeigen, ob der Tote aus Deutschland selbst oder aus anderen Ländern mit ähnlich hohem Standard kam. Beim Leichenfund stoßen Kollegen auf sehr alte, zahnmedizinisch behandelte Kavitäten, was eine Jugend außerhalb Westeuropas wahrscheinlich macht. Vergleichsweise neue Füllungen enthalten jedoch bekannte Materialien, die von gesetzlichen Kassen hier zu Lande nicht übernommen werden – in Summe wichtige Puzzleteile. Ein Orthopantomogramm ist Pflicht, liefert aber ohne Vergleichsmaterial kaum neue Erkenntnisse. Mit modernen Verfahren entlocken Experten den Zähnen aber weitere Informationen, die zur Aufklärung beitragen. Verräterische Isotope Dazu etwas Physik: In der Natur kommen chemische Elemente häufig in Form verschiedener Isotope vor. Sie haben im Kern die gleiche Zahl an Protonen, aber unterschiedlich viele Neutronen. Nach Verdampfung via Laser ist eine Trennung aufgrund ihrer Massendifferenz mit hoch auflösenden Massenspektrometern möglich. Isotopenmuster gelten als Fingerabdruck der Umgebung: Menschen nehmen je nach regionaler Ernährung und Geologie abweichende Verhältnisse diverser Atomarten auf. Wer beispielsweise hauptsächlich Mais, Reis oder Weizen isst, hat ein unterschiedliches Verhältnis der Kohlenstoffisotope 13C zu 12C in Geweben. Auch Wasser spielt eine wichtige Rolle, sowohl über das Verhältnis der Wasserstoffisotope 2H zu 1H als auch der Sauerstoffisotope 18O zu 16O: Leichtere Isotope gehen eher in Wasserdampf über, während schwerere Varianten mehr in der flüssigen Phase bleiben beziehungsweise kondensieren. Diese Signatur ist vom Klima, sprich von Temperatur und Niederschlagsmenge, abhängig und erlaubt damit eine regionale Verortung. Über das Verhältnis der beiden Stickstoffisotope 15N und 14N finden Physiker Hinweise auf Proteine in der Nahrung. Aus geologischer Sicht ist das Verhältnis der Strontiumisotope 87Sr zu 86Sr interessant. Strontium hat ähnliche Eigenschaften wie Calcium und wird in Zähne beziehungsweise Knochen eingelagert – eine interessante Vergleichsmöglichkeit: Je nach Wachstums- und Stoffwechselrate läuft dieser Prozess in diversen Geweben unterschiedlich schnell. Während Zähne im jungen Erwachsenenalter voll entwickelt sind, erneuern sich Knochen ständig. Damit können forensische Wissenschaftler beispielsweise ermitteln, wo ein Mensch aufgewachsen ist und wo die letzten Lebensjahre verbracht wurden. Verschiedene Bleiisotope aus Zähnen oder Knochen wiederum geben Hinweise auf anthropogen verursachte Verschmutzungen sowie auf geologische Formationen. Reiserouten postum ermittelt Mit diesem Spektrum an Methoden gelang es in vielen Fällen, die geographische Herkunft nicht identifizierter Leichen einzugrenzen sowie bei gewaltsam verstorbenen Neugeborenen zu klären, in welchem Land ihre Mutter lebt. Der unbekannte Tote vom Baggersee wurde im Staatsgebiet des ehemaligen Jugoslawiens geboren und hielt sich bis zu seiner Ermordung mehr als drei Jahre in Deutschland auf, ergaben detaillierte Analysen. Auf dem Speisezettel standen proteinreiche Lebensmittel, sprich ein hoher Fisch- und Fleischanteil. Mit Sauerstoffisotopen grenzten Wissenschaftler sogar seinen letzten Aufenthaltsort ein. Sie halten das norddeutsche Flachland für wahrscheinlich. Archäologen greifen ebenfalls gern auf diese Methode zurück. Vor Jahren fanden sie beispielsweise über Zähne, Knochen und Darmstücke heraus, dass "Ötzi", der Tote vom Hauslabjoch, aus dem heutigen Südtirol stammte. Dein Alter – (k)ein Geheimnis Forensische Zahnmediziner tragen auch dazu bei, das Alter von Lebenden oder Toten zu bestimmen. Steht ein Drogendealer vor Gericht, Identität unbekannt, verrät das jugendliche Aussehen noch lange nicht sein wahres Geburtsdatum. Richter müssen klären, ob sie Verbrecher gegebenenfalls nach Jugendstrafrecht ahnden. Auch wünschen sich Migranten aus Entwicklungsländern, ihr Alter wenigstens annähernd zu erfahren. Amtliche Aufzeichnungen gibt es in Krisengebieten meist nicht. Ergänzend zum Reifegrad verschiedener Handknochen beziehungsweise des Schlüsselbeins beurteilen Sachverständige verschiedene Zähne hinsichtlich Entwicklung und Abnutzung im Röntgenbild. Einfache Faustformeln, dass Milchzähne spätestens mit 13 komplett verschwunden sind oder dass Menschen mit vier Weisheitszähnen wenigstens 18 bis 20 Jahre alt sind, gelten als zu ungenau. Dafür hat sich eine biochemische Methode etabliert. Aminosäuren im Spiegel Der Trick: Unser Körper baut Proteine aus L-Aminosäuren auf. L und D beschreiben bei Molekülen mit nur einem Chiralitätszentrum Bild und Spiegelbild im Raum. Diese Notation geht auf Emil Fischer (1852-1919) zurück, einen deutschen Chemiker, der sich intensiv mit Zuckern und Peptiden befasste. Soviel zur Theorie – in der Praxis wandeln sich L-Aminosäuren durch chemische Alterung mit bekannter Zeitkonstante in die D-Form um. Je mehr Jahre ein Mensch auf dem Buckel hat, desto höher ist auch der Prozentsatz an D-Aminosäuren. Zähne sind aufgrund ihrer geringen Stoffwechselaktivität für die Methode prädestiniert. Im Gegensatz zu anderen Geweben ersetzt unser Körper Proteine des Dentins nämlich kaum – lediglich an der Grenze zur Pulpa tut sich etwas. Auch mit dem Tod endet diese sogenannte Racemisierung nicht. Ein zusätzlicher Pluspunkt: Dentin erweist sich post mortem als recht stabil.
Heiße Spuren mit Asparaginsäure In der Praxis ist L-Asparaginsäure aus Zähnen der Schlüssel zur Altersbestimmung, da sich in kurzen Zeitspannen bereits nennenswerte Mengen des Moleküls in ihr Spiegelbild umwandeln. Zur praktischen Durchführung: Kollegen benötigen einen extrahierten Zahn, der im Wurzelbereich gesundes enthält. Das sind häufig dritte Molaren, die ohnehin entfernt werden müssen. Dentin aus den ersten Molaren würde aufgrund geringerer Temperaturschwankungen genauere Resultate liefern, steht aber nur selten zur Verfügung. Eine Extraktion ohne Zustimmung des Patienten ist im Zuge von Strafverfahren so oder so nicht legitim. Allerdings haben Patienten selbst oft das größte Interesse, ihr Alter in Erfahrung zu bringen – etwa im Zuge von Rentenverfahren. Aus dem Zahn wird Wurzeldentin extrahiert und präpariert. Salzsäure spaltet das Protein in einzelne Aminosäuren. Nach entsprechender Probenvorbereitung erfolgt die Messung im Gaschromatographen. Daraus ergibt sich direkt das Verhältnis von L- zu D-Asparaginsäure und damit auch das Lebensalter – mit einer Genauigkeit von plus minus zwei bis vier Jahren. Momentan gilt die Aminosäure-Racemisierung als genauestes Verfahren bei Erwachsenen.