Wo die Medizin hausiert, ist der Tod nicht weit. Bereits früh nehmen Studenten Leichname auseinander und sehen Patienten auf dem OP-Tisch versterben. Kann man sich an den täglichen Tod gewöhnen? Und werden die Ärzte von Morgen ausreichend auf diese Konfrontation vorbereitet?
"Letztes Jahr machte ich eine Famulatur in der Notaufnahme und begleitete den diensthabenden Notarzt bei einem seiner Nachtdienste", erinnert sich Sonja aus Hannover an eine einschneidende Erfahrung mit dem Tod eines Patienten. "Der Mann war schwer krank, hatte Herz- und Leberversagen und eine Patientenverfügung. Die Familie war aufgrund der infausten Prognose gegen eine Wiederbelebung und entschied sich für die Einstellung aller lebenserhaltenden Maßnahmen", erklärt die junge Medizinstudentin die Umstände dieses besonderen Einsatzes. "Wir stellten alle Geräte aus und warteten stundenlang auf den Tod. Der Patient hatte Schnappatmung und seltene Herzschläge. Es war einfach nur furchtbar", berichtet sie von ihren Erinnerungen an diesen besonderen Einsatz. Ganz klar: Obgleich die moderne Medizin heute viele Krankheiten heilen kann und der Gesellschaft zu einem längeren Leben verhilft, bleiben sterbende Patienten eine unschöne Realität. Da der Tod aber immer noch zu den großen Tabuthemen zählt, werden viele Ärzte von Morgen erst im Medizinstudium damit konfrontiert und fühlen sich oft überwältigt und unvorbereitet. So ging es zum Beispiel auch Sonja: "Nach diesem Einsatz wollte ich eigentlich meine Famulatur abbrechen. Der Arzt und der Assistent schienen das alles eher locker zu nehmen und machten sogar Sprüche. Ich hingegen hatte Alpträume und zweifelte sogar an meiner Studienwahl." Jenseits medizinischer Fakten Hat sich Sonja nur angestellt? Sollte sie besser einen anderen Beruf ergreifen? Oder war sie einfach nur schlecht vorbereitet? Ihr Kommilitone Dennis hat eine Antwort parat: "Wir lernen theoretische Physik, Symptome und chirurgische Operationstechniken, aber menschliche Aspekte und der Umgang mit den eigenen Ängsten und Emotionen bleiben total auf der Strecke." Dass er mit seiner Ansicht durchaus richtig liegt, beweist ein kritischer Blick auf den Studienplan. Als eigenständige Themen tauchen der Tod und die Sterbebegleitung eigentlich nur in Zusammenhang mit der Palliativmedizin auf. Und die wird erst gegen Ende des Studiums meist in Form eines kurzen Blockkurses unterrichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Studierenden also mehr oder weniger auf sich allein gestellt und müssen sehen, wie sie mit ihren Erlebnissen am besten umgehen sollen. Hierbei hilft es besonders, wenn man Freunde und Familie hat, die sich von schrecklichen Geschichten nicht abschrecken lassen und stattdessen ein offenes Ohr mitbringen: "Mein erster Tag im Präpsaal war die reinste Katastrophe", berichtet Heike aus Hannover. "Der Leichnam unserer Gruppe sah meinem kürzlich verstorbenem Opa sehr ähnlich und es viel mir sehr schwer, dem toten Körper mit einem Skalpell näher zu kommen. Nach den Kursen habe ich viel mit meiner Mutter darüber gesprochen, die als Ärztin arbeitet. Das hat mir sehr geholfen." Ventil gegen den seelischen Überdruck Glücklicherweise ist inzwischen auch der Lehrkörper auf diese inhaltliche Lücke des Studienplans aufmerksam geworden und bemüht sich nun über Modellprojekte um einen nachhaltigen Lösungsansatz. So gibt es in München ein Projekt mit dem Titel "Spiritual Care", bei dem die Medizinstudierenden neben klassischen fachlichen Themen auch über den Tod sprechen. Dieser ist nun einmal unweigerlich mit dem Arztberuf verbunden und damit wirklich jeden Tag präsent. Dass einen sterbende Patienten und heftige Schicksale nicht kalt lassen, ist nur menschlich. "Irgendwann habe ich zwar gelernt, den Menschen während einer OP größtenteils auszublenden. Aber an den Tod werde ich mich wohl niemals gewöhnen können", gestand mir ganz ehrlich ein junger Notarzt von der Medizinischen Hochschule Hannover. Projekte wie "Spiritual Care" greifen genau jene Gedanken in didaktisch aufbereiteter Form auf und geben den Studierenden damit einen Raum, ihren Gedanken zum Tabuthema "Tod" freien Lauf zu lassen. Und dieser Gesprächsfreiraum ist gleichzeitig eine erste Maßnahme der Präventionsarbeit zum Schutz der künftigen Ärzte. So ist die Suizidalitätsrate sowohl unter bereits praktizierenden Medizinern als auch Medizinstudierenden alarmierend erhöht. Im Rückschluss ein eindeutiges Zeichen dafür, dass das Thema Tod mächtig unter den Nägeln brennt. Das Projekt Spiritual Care ist also ein wichtiger Schritt in Richtung Psychohygiene und Selbstfürsorge im Medizinstudium. Dennoch bleibt noch eine große Lücke, und bis diese wirksam gefüllt worden ist, bleibt jede Todeserfahrung eine persönliche Herausforderung. Konfrontation mit den eigenen Gefühlen Und diese Herausforderung ergibt sich immer wieder von neuem, wenn man als junger Student plötzlich mit der unschönen Realität konfrontiert wird. So hospitierte ich vor einiger Zeit in der chirurgischen Klinik der MHH, als der Hubschrauber Christoph 5 einen angeschossenen Jungen an die Zentrale Notaufnahme übergab. Alles ging ganz schnell und erst im OP berichtete ein Oberarzt von den Hintergründen: Ein Familienvater hatte Stiefkinder und Partnerin erschossen und der kleine Patient vor mir auf dem Tisch kämpfte immer noch um sein Leben. Nach dieser Mitteilung ist mir ziemlich schnell schlecht geworden, sodass ich den OP-Saal verlassen musste. Am nächsten Tag habe ich viel über meine Gedanken und die Angst um die eigene Familie gesprochen. Mit Ärzten und auch mit meinen Eltern. Dass reger Austausch und die Kommunikation der eigenen Gefühle helfen können, zeigt auch das Projekt "30 junge Menschen". Dieses Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt und bringt seit Mai 2012 junge Menschen mit Sterbenden und deren Angehörigen zusammen. Im gemeinsamen Diskurs tauschen sich beide Seiten offen und einfühlsam über ihre persönlichen Erfahrungen aus und lernen dabei viel über Situationen am Lebensende und auch über sich selbst. Durch ausführliche Beschreibungen der Gespräche leisten die jungen Menschen einen wichtigen Beitrag dafür, die beiden Themen Tod und Sterben aus der Tabu-Ecke zu ziehen. Denn so schwer es fällt und so weh es eigentlich immer tut: Der Tod gehört zum Leben dazu. Der Newcomer unter der Querschnittfächern Macht man sich diese Tatsache bewusst, verwundert es umso mehr, dass dem Fach Palliativmedizin erst seit kurzem ein größerer Stellenwert im Medizinstudium zugesprochen wird. Während Studenten und Ärzte den Umgang mit Sterbenden und ihren Familien früher mit sich selbst ausmachen mussten, ist eine bestandene Klausur in Palliativmedizin heute Voraussetzung für den Studienabschluss. "Erst hatte ich keine Lust, mich über eine Woche lang mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen", erinnert sich eine Kommilitonin aus Hannover, "aber schon während der ersten Gruppenarbeit habe ich gemerkt, dass es [...] wichtig ist, die teils schlimmen Situationen und belastenden Gefühle beim Namen zu nennen". Gegenstand dieser Diskusionen und Gesprächsrunden sind überwiegend Fallbeispiele, aber auch Gesetzestexte über Maßnahmen am Lebensende und Hirntoddiagnostik spielen eine große Rolle. Darüberhinaus lernen die Studierenden im Rahmen der Veranstaltung auch etwas über Forschungsmöglichkeiten im Fachgebiet Palliativmedizin kennen und verlieren nachhaltig die Scheu vor dem Tabuthema Tod.