Auf der Agenda des Militärs steht primär das Töten des Gegners. Aber aus den Forschungslaboren der Camouflage-Träger kommt auch einiges, was in der zivilen Medizin nützlich sein kann: Turbo-Tamponaden, High-Tech-Prothesen und neue Impfstoffe. Ein Überblick.
Während Wissenschaftler um jeden Cent aus öffentlichen Mitteln ringen, wird die US-Regierung in diesem Jahr 633 Milliarden Dollar in ihren Militärhaushalt stecken. Auf direktem Wege gelangt ein Teil des Geldes auch in medizinische Institutionen wie das United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID) oder die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA). Deren äußerst eigennützige Beweggründe: Wie gelingt es, Gefahren von der Truppe abzuwenden oder Genesungsvorgänge verwundeter Soldaten zu beschleunigen? Wundversorgung to go Häufig erleiden Soldaten beim Kampfeinsatz innere Verletzungen und damit verbunden starke Blutungen. Sanitäter können vor Ort recht wenig tun. Bis zum Transport in ein Lazarett vergehen teilweise mehrere Stunden – und jede Hilfe kommt zu spät. Jetzt verspricht der "DARPA Wound Stasis System Foam" neue Hoffnung: Sanitäter spritzen den innovativen Schaum noch am Schlachtfeld in die Bauchhöhle. Hightech-Polymere verfestigen sich rasch und stoppen ähnlich einer Tamponade weitere Blutungen. Im Tiermodell verringerte sich – je nach Verletzung – der Blutverlust auf bis zu ein Sechstel des ursprünglichen Werts. Nach drei Stunden lag die Überlebensrate bei 72 Prozent im Vergleich zu mageren acht Prozent ohne Wound Stasis System Foam. Ein weiterer Pluspunkt: Im OP entfernen Chirurgen den Kunststoff mit wenigen Handgriffen als zusammenhängenden Block. Große Zeitverluste wären also nicht zu befürchten. Nach diesem Erfolg sollen weitere Tests folgen. Intelligente Hilfen aus der Bionik Speziell bei Verletzungen von Gliedmaßen sind Amputationen oft unausweichlich. Bereits seit mehreren Jahren arbeitet die DARPA deshalb an einer Armprothese, die über das Gehirn zu steuern ist. Für "Proto2" stehen immerhin 55 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Ziel ist, 25 komplexe Bewegungsmuster abzubilden, was einem echten Arm mit 30 grundlegenden Bewegungsabläufen schon sehr nahe kommt. Forscher arbeiten zurzeit vor allem an besseren Motoren und kleineren Batterien. Auch die Elektroden sollen weiter optimiert werden. Von der innovativen Prothese würden nicht nur Soldaten profitieren. Weitaus mehr zivile Unfallopfer warten auf die Serienreife von "Proto2". Das ist bei Exoskeletten schon fast gelungen. Ursprünglich entwickelt, um Militärs das Tragen schwerer Lasten zu ermöglichen, helfen sie teilweise schon bei der Reha von Menschen mit Lähmungen. LS3 – bei Fuß! Ein anderes Assistenzsystem hat die DARPA zusammen mit dem Marine Corps Warfighting Laboratory erschaffen: LS3, der "hundeartige" Roboter auf vier Pfoten. In Virginias Wäldern erprobten Elektroniker die "Kreatur" auf Herz und Nieren. Auf Weisung ihres "Herrchens" oder "Frauchens" können entsprechende Geräte künftig selbst Entscheidungen treffen: Minen erkennen und bergen, aber vielleicht schon in wenigen Jahren Menschen mit körperlichen Einschränkungen unterstützen. "BigDog", ein "Artgenosse" von LS3, bewegt auch schwere Lasten und wäre mit seinem martialischen "Gebiss" für so manchen Einbrecher der pure Alptraum. Wilde Viren Militärs haben aber längst nicht nur Elektronik und Mechanik im Visier. In zahlreichen Einsatzgebieten lauern mikroskopische Feinde, beispielsweise Marburg- oder Ebola-Viren. Sie zerstören vor allen Kapillaren des Gefäßsystems, und Patienten sterben an lebensbedrohlichen Blutungen. Kausale Therapien oder Impfungen hat die pharmazeutische Industrie nicht zu bieten – und hier kommt das United States Army Medical Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID) ins Spiel. Bereits seit mehr als zehn Jahren arbeiteten Virologen an Immunisierungsstrategien bei Ebola. Im Tiermodell erwiesen sich Adenoviren als geeignet. Andere Forschergruppen des USAMRIID setzen mit Erfolg auf Vesicular stomatitis-Viren. Synthetische Nukleinsäuren sind eine weitere Option. Sogenannte Antisense-RNAs haben komplementäre Sequenzen zum viralen Erbgut. Nach der Basenpaarung bauen Enzyme das doppelsträngige, aus zellulärer Sicht ungewöhnliche Konstrukt ab. Bei Rhesusaffen und Makaken gelang es über Antisense-RNAs, die Überlebensrate nach einer Ebolainfektion deutlich zu erhöhen. Angesichts der hohen Mortalität, abhängig vom viralen Genotyp bis zu 90 Prozent, haben diese Nukleinsäuren zum Beispiel als Notfallarzneimittel in der Forschung auch ohne breit angelegte, klinische Studien ihre Berechtigung. Hantaviren greifen an Hantaan-Viren (HTNV) und die eng verwandten Puumala-Viren (PUUV), sie gehören alle in die Gattung der Hantaviren, lösen ebenfalls hämorrhagische Fiebererkrankungen aus. Hinzu kommen Nierenversagen oder Lungenentzündungen. In Mitteleuropa ist die Rötelmaus ein Hauptvektor, während in den USA Hirschmäuse die zentrale Rolle spielen. Um sich zu infizieren, reicht bereits aufgewirbelter, trockener Kot im Waldboden aus – für die Armee ein ernstzunehmendes Problem. Forschern am USAMRIID berichten jetzt von Ergebnissen aus Phase-1-Studien. Neun Freiwillige erhielten dabei DNA-Vakzine gegen einen Virus oder gegen beide Erreger. Sie klagten nach der Impfung lediglich über geringfügige Beschwerden. Im Blut fanden Ärzte bei 30 (HTNV) beziehungsweise 44 Prozent (PUUV) Antikörper, immerhin ein erster Schritt. Die Kombinationsimpfung zeigte in bei 50 Prozent der Probanden gewünschte Effekte. Gegen Andes-Viren, eine weitere Spezies aus der großen Hantavirus-Familie, haben Forscher polyklonale Antikörper entwickelt und erfolgreich im Tiermodell als Postexpositionsprophylaxe getestet. Keine Chance für Terroristen Virologische Forschungseinrichtungen der Armee haben jedoch meist ganz andere Schwerpunkte: Was tun beim Einsatz biologischer Kampfstoffe? Einst von den Alliierten als Waffe („Agent N“) gegen Hitlerdeutschland entwickelt, sieht das Szenario heute anders aus. Milzbrand-Erreger (Anthrax) richten sich in den Händen von Terroristen plötzlich gegen die USA. Entsprechende Sporen sind gegen Umwelteinflüsse extrem stabil und lassen sich gut lagern. Auch sterben viele Infizierte trotz Therapie an Lungenmilzbrand. Kommerziell erhältliche Vakzine, etwa aus den USA oder aus Russland, führen wiederum zu teils heftigen lokalen und systemischen Reaktionen. Publikationen belegen, dass es bei einem Prozent aller Geimpften zu schwerwiegenden Folgen kommt. Auch besteht die Sorge, dass veränderte Oberflächenstrukturen trotz Immunisierung nicht erkannt würden. Eine mögliche Strategie: Neue Antigene führten als Konjugat mit Membranproteinen von Neisseria meningitidis bei Tiermodellen zur Immunität gegen Bacillus anthracis. Im therapeutischen Bereich verglichen die Forscher verschiedene Medikamente mit in-vitro-Testsystemen. Gegen nicht sporenbildende Genotypen des Milzbranderregers wirkt Meropenem, ein Carbapenem, besonders effektiv. Dann folgen die Antibiotika Moxifloxacin und Ciprofloxacin. Bei sporenbildenden Formen brachten Ciprofloxacin, Moxifloxacin, Linezolid und Meropenem gute Erfolge. Doxycyclin reduzierte die Bakterien sogar noch stärker. Friedlich forschen Das Fazit aus diversen Projekten: Innovationen kosten Geld, ohne Frage. Von medizinischen Forschungsergebnissen militärischen Ursprungs profitiert zwar die gesamte Bevölkerung. Bleibt als Frage offen, warum Steuergelder nicht eher in universitäre oder außeruniversitäre, jedenfalls zivile Forschungseinrichtungen fließen könnten – als konkreter Beitrag zum Weltfrieden.