Neun von zehn Menschen sind von ihm befallen: dem Herpes-simplex-Virus (HSV). Ist der Wirt einmal infiziert, verbleibt das Virus lebenslang in latentem Zustand in den Nervenzellen. Was für therapeutische Maßnahmen können also ergriffen werden?
Aktuell sind acht verschiedene humane Herpesviren bekannt, die in drei Subfamilien unterteilt werden. Verursacher für Lippenherpes ist meist Typ 1 (HSV-1), seltener, aber zunehmend häufiger auch HSV-2, das lange Zeit ausschließlich als Erreger des Herpes genitalis galt. In Deutschland lassen sich bei etwa 88 Prozent der Erwachsenen Antikörper gegen HSV-1 nachweisen. Bei 20 bis 40 Prozent der Betroffenen kommt es als Folge einer Reaktivierung des Virus zu rezidivierenden Herpesinfektionen. Das Herpesvirus ist absolut anhänglich: Ist der Wirt einmal infiziert, verbleibt das Virus trotz der gebildeten Antikörper lebenslang in latentem Zustand in den Nervenzellen. Einen Trost gibt es: jenseits des 35. Lebensjahres werden die Rezidive im Allgemeinen seltener. Wieder so eine Phase Bemerken wir ein Jucken, Schmerzen oder Brennen, ist es meist schon zu spät. Die Infektion läuft in sieben Phasen ab:
Je nach Literaturangabe werden diese Phasen teilweise auch in fünf Phasen zusammengefasst. Ernst wird es, wenn bei der Erstinfektion der Erreger aufwärts wandert und die Meningoenzephalitis herpetica auslöst. Stress lässt Bläschen blühen Ekel, Erkältung, Fieber, UV-Strahlung, Menstruation, die Auslöser von Lippenherpes sind vielfältig. Besonders bedeutsame Trigger sind jedoch Stress und Erschöpfung, dies belegen auch neuere Studien eindrucksvoll. In einer französischen Studie gaben bis zu 60 Prozent der 2056 Patienten diese beiden Faktoren als Auslöser für ihre Herpesrezidive an. Stressgeplagte haben eine doppelt so große Wahrscheinlichkeit, Lippenherpes zu bekommen, als Entspannte. Die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin sowie Cortisol steigern die virale Replikationsrate. Außerdem hemmen die Stresstransmitter die Aktivierung von Makrophagen durch Interferone und die Migration von natürlichen Killerzellen. Dadurch wird die spezifische Erkennung und Vernichtung virusinfizierter Zellen durch Zytotoxine und Apoptose reduziert. In einer Pilotstudie untersuchten die Psychologinnen Pfitzer und Clark an der Universität Tübingen die Effektivität der Hypnosetherapie bei rezidivierenden Lippenherpesinfektionen. Nach fünf Therapiesitzungen trat der Herpes signifikant seltener und weniger intensiv auf als in der Kontrollgruppe. Vermutlich liegt die Ursache für den Erfolg in der Stressreduktion durch die Hypnose. Blätter, Öle, Wurzeln als Virenkiller In der Laienpresse kursieren Dutzende von Hausmitteln. Sogar eine selbst gemachte Knoblauchpaste wird empfohlen. Ob die desinfizierenden Schwefelverbindungen oder die dadurch verursachte Kusskarenz den Erfolg bringen soll, wird nicht erwähnt. Auch Zahnpasta ist fraglich. Sie trocknet zwar aus und kann mild desinfizierend wirken, aber eine virustatische Wirkung ist sicherlich nicht nachweisbar. Die Krusten können sich zwar früher lösen, dadurch kann aber auch die Besiedelung mit anderen Keimen begünstigt werden. Melissenblätterextrakt Bei antiviralen Screenings mit Pflanzenextrakten wurden über tausend Pflanzen mit antiviralen Eigenschaften identifiziert. Phenolische Verbindungen wie Saponine, Anthranoide wie Hypericin und Aloe-Emodin, Flavonoide wie Quercetin, Phenolcarbonsäuren wie Rosmarinsäure und Gerbstoffe sind nur eine kleine Auswahl. In einer weiteren randomisierten Studie von Koytchev, Alken und Dundarov wurden 66 Patienten mit mindestens vier Herpesepisoden jährlich mit einer Creme mit Melissenblätterextrakt (Lomaherpan ®) behandelt. Die Probanden mussten viermal täglich für fünf Tage cremen. Die Autoren bescheinigen der Zubereitung eine signifikante Wirksamkeit. Weitere Studien von Wölbling et al. zeigten, dass die Melissencreme die Abheilungszeit der Herpesepisode verkürzt und die rezidivfreien Intervalle signifikant verlängert. Teebaumöl An einer randomisierten, placebokontrollierten Studie mit 20 herpesgeplagten Patienten wurde die Wirkung von Teebaumöl untersucht. In der Verumgruppe wurde ein 6%iges Teebaumölgel verwendet, der Rest erhielt eine Placebozubereitung. Bis zum Eintreten der Re-Epithelisierungsphase vergingen in der Ölgruppe neun und in der Placebogruppe 12,5 Tage. Wegen der geringen Patientenzahl kann sicherlich nicht von einer Signifikanz gesprochen werden. Außerdem ist fraglich, ob die Studie den Stempel "placebokontrolliert" tragen kann. Teebaumöl ist derart geruchsintensiv, dass das Placebogel sicherlich sofort identifiziert werden kann. Auch das relativ hohe Allergierisiko von Teebaumöl macht es sicherlich nicht zu einem Herpeshit. Rhabarber und Salbei gegen Aciclovir In einer randomisierten Substanzvergleichsstudie von Büechi wurde an 145 Patienten mit Lippenherpes die Wirkung von Aciclovir, Salbei-Extrakt oder Rhabarber- und Salbei-Extrakt (Phytovir ®) getestet. Eine andere Studie mit Rhabarberextrakt versus Virustatikum wurde wegen der unzureichenden Wirkung des Phytopharmakons abgebrochen. Die Studie begann mit einem Screening am virologischen Institut der Universität Zürich. Dabei zeigten Salbeiblätter und Rhabarberwurzel eine antivirale Wirkung gegen HSV-1. Rhabarber mit Anthranoiden und Gerbstoffen war potenter als Salbeiblätter mit ätherischem Öl und Gerbstoffen. Die Kombi aus Rhabarber und Salbei (je 23 mg Extrakt/g) zeigte sich in der Studie als ebenso wirksam wie die Aciclovir-Creme. Die mittlere Dauer bis zur Krustenbildung und die Zeit bis zur Heilung unterscheiden sich in den drei Gruppen nicht signifikant. Die Heilungszeit betrug bei der Salbei-Creme durchschnittlich 7,6 Tage, bei der Rhabarber-Salbei-Creme 6,7 Tage und bei der Aciclovir-Creme 6,5 Tage. Die Patienten in der Aciclovir-Gruppe zeigten eine geringere Schwellung, in der zweiten Folgevisite gaben die Rhabarber-Salbei-Probanden verglichen mit Salbei-Probanden weniger Schmerzen an. Beim Vergleich Aciclovir versus Rhabarber-Salbei zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Von der Therapie von AIDS-Patienten ist bekannt, dass die Kombination unterschiedlicher Substanzen stärker wirkt als eine Monotherapie. Virustatika Therapiestandard und im Leitfaden der ABDA zur Selbstmedikation empfohlen sind die Nukleosidanaloga Aciclovir und Penciclovir, beide rezeptfrei erhältlich. Sie hemmen die virale DNA-Polymerase und die Replikation von Herpesviren. Beide Pharmaka wirken auch dann noch, wenn das Virus bereits in die Zelle eingedrungen ist. Die Krankheitsdauer wird um etwa ein bis zwei Tage verkürzt und die Krustenbildung beschleunigt. Die Salben werden alle zwei bis vier Stunden mit einem Wattestäbchen aufgetragen. Dem Patienten solle geraten werden, sich danach gründlich die Hände zu waschen um eine Virusverschleppung zu vermeiden. Nach 10 Jahren Stagnation auf dem Markt der virustatischen Herpeskiller wurde im Jahr 2008 der langkettige, gesättigte Alkohol Docosanol zugelassen. Er ist zugelassen zur Therapie des Lippenherpes im Stadium 1 und 2. Als Wirkmechanismus wird angenommen, dass Docosanol die Fusion zwischen lipidumhüllten Viren und der Plasmamembran hemmt und so deren intrazelluläre Aufnahme und Replikation verhindert. Bei gemeinsamer Auswertung beider Studien beträgt die mittlere Zeit bis zur Heilung unter Docosanol 4,1 Tage gegenüber 4,8 Tagen unter Placebo (Differenz 17,5 Stunden). Gleiches gilt für die Begleitsymptome wie Schmerzen, Kribbeln oder Brennen, die etwa einen halben Tag früher nachlassen, so das Ergebnis einer Studie von SACKS, S.L. et al.: Das Arzneitelegramm (a-t 2008; 39: 58-9) sieht erhebliche Mängel im Studiendesign und gib ein Negativurteil ab: Statistisch lässt sich ein Unterschied zu Placebo nur in einer der beiden Einzelstudien nachweisen. Drei weitere unveröffentlichte Negativstudien begründen Zweifel, dass selbst der dokumentierte magere Nutzen Zufall sein könnte. Wir raten von Docosanol ab. Das ebenfalls als Salbe zugelassene Pyrophosphatanalogon Foscarnet-Natrium ist rezeptpflichtig. Im Rahmen eines Off-Label-use wird es auch teilweise bei Lippenherpes angewendet. In einem älteren placebokontrollierten Vergleich von Lawee t al. mit 143 Patienten hat eine 3%ige Zubereitung keinen nachweisbaren Effekt auf die Heilungsdauer. Zink oral zur Prophylaxe Auch Zinksalze wie Zinksulfat oder Zinkhistidin hemmen das Eindringen der Viren in die Wirtszellen durch dissoziiertes Zink. Sie fördern zudem die Wundheilung durch Austrocknung der Bläschen. Dieser Effekt ist nicht mit dem von Zinksalbe oder Paste zu verwechseln. Bei diesen galenischen Zubereitungen liegt das Zinksalz zwar in hoher Konzentration vor, jedoch als anorganisches Zinkoxid. Dieses wirkt physikalisch austrocknend, dissoziiert jedoch nicht und besitzt deshalb keine virustatische Eigenschaft. In einer Studie von Femiano et al. wurde untersucht, welchen Einfluss die Gabe von 2 x 22,5 mg Zinksulfat pro Tag auf die Erkrankungshäufigkeit hat. Eingeschlossen wurden Patienten, die mehr als 6 Herpesattacken pro Jahr haben. Die Probanden erhielten pro Jahr für zweimal zwei Monate die Zinkkur. Nach einem Jahr ergab sich eine Attackenreduktion um 3 Attacken, auch die Erkrankungsdauer pro Episode wurde reduziert. In Anderen Studien erwiesen sich ebenfalls Zinkgluconat und Zinklactat als wirksam gegen HSV 1 und 2. Ein orthomolekularer Ansatz ist eine orale Therapie mit Lysin. Die Aminosäure verhält sich als Antagonist zu Arginin, das das Wachstum von Herpesviren fördert. Lysin verdrängt Arginin von dem gemeinsamen Transportsystem durch die Intestinalwand. Das Virus baut fälschlicherweise Lysin in seine DNA-Strukturen ein, wodurch sein Wachstum gestoppt wird. In einer Studie von Griffith, Norins und Kagan wurde die Wirkung von 312 bis 1200 mg Lysin auf die prophylaktische Wirkung von Lippenherpes untersucht. Die Episodenhäufigkeit und –dauer wurde verkürzt. Bläschentarnung Ebenfalls als Medizinprodukt zugelassen sind wirkstofffreie Herpespflaster. Sie decken die Bläschen ab, wirken nach dem Prinzip der feuchten Wundheilung durch Okklusion. Lippenbläschen belasten den Patienten auch psychisch, was wiederum eine Neuinfektion fördert. Ein abdeckender kosmetischer Effekt könnte so zumindest theoretisch einer neuen Episode entgegenwirken.