Jahr für Jahr erleiden in Deutschland 250.000 Menschen einen Leistenbruch. Chirurgen haben sich intensiv mit dem Thema befasst. Sie diskutieren, ob generell operiert werden sollte und – falls ja – welche minimalinvasive Technik die besten Resultate bringt.
Schwache Bauchwand, starker, chronischer Husten oder Schwangerschaften – ein Leistenbruch kann viele Ursachen haben. Obwohl hernienchirurgische Eingriffe mittlerweile Routine sind, klagen viele Patienten postoperativ über Schmerzen. Hinzu kommen Rezidive beziehungsweise Komplikationen. Über die Frage, ob immer zum Skalpell gegriffen werden muss, streiten Experten mit großer Leidenschaft. Sonografie statt Chirurgie Eine OP ist umgehend erforderlich, sollten Darmschlingen im Leistenkanal eingeklemmt werden. Wie die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) berichtet, könnten zahlreiche Eingriffe jedoch vermieden werden. Wichtig ist, mögliche Risiken rechtzeitig abzuschätzen. Dazu untersuchten Hamburger Ärzte rund 7.000 Hernie-Patienten. Von ihnen wurden knapp 3.200 in eine retrospektive Beobachtungsstudie aufgenommen und nach verschiedenen Typen klassifiziert. Sonografisch fanden die Autoren bei 23 Prozent den Typ A (Beulenform), bei 55 Prozent den Typ B (Röhrenform) sowie bei 22 Prozent den Typ C (Sanduhrform). Ohne Beschwerden sei eine OP bei Typ A oder B nicht zwingend erforderlich, heißt es weiter. Lediglich Typ C müsse dringend behandelt werden. Mit dieser einfachen "Triage" ließen sich pro Jahr fast 30.000 Eingriffe vermeiden. Im besten Falle würden Patienten wieder nach Hause geschickt – mit dem Ratschlag, zwölf Monate später den nächsten Routinetermin wahrzunehmen. Notfalleingriffe mussten die Autoren nach entsprechender Sichtung in keinem einzigen Fall durchführen. Abwarten oder aufschneiden? Die Veröffentlichung führte in Fachkreisen zu kontroversen Debatten. Allein aus Hernientypen wie der "Beule" oder der "Röhre" ein vermindertes Risiko möglicher Komplikationen abzuleiten und nur bei "Sanduhr"-Formen zum Skalpell zu greifen, erschien vielen Kollegen doch etwas gewagt. Auch löst nur eine chirurgische Intervention das Problem – konservative Therapien unterstützen allenfalls, können aber in so manchen Fall die Lebensqualität nur geringfügig verbessern. Falls Chirurgen abwarten, riskieren sie nicht nur eine Inkarzeration. Möglicherweise gestalten sich spätere Eingriffe durch Verwachsungen auch deutlich aufwändiger. Dem gegenüber stehen – wenn auch geringe – Risiken des Eingriffs bei multimorbiden Patienten. Zwei Techniken, ein Ziel Entscheiden sich Chirurgen zur OP, stehen unter anderem zwei minimalinvasive Verfahren zur Auswahl: die transabdominale präperitoneale Netzimplantation (TAPP) sowie die total-extraperitoneale Plastik (TEP). Bei der TAPP-Technik eröffnen Chirurgen die Bauchhöhle und lösen den Bruchsack aus der Bruchpforte. Zur Stabilisation dient ein Kunststoffnetz, das mit Clips oder Fibrinkleber fixiert wird. Im Gegensatz dazu erfolgt bei einer TEP der Zugang unterhalb der Bauchhöhle. Ein Operateur legt den Bruchsack endoskopisch frei und verlagert diesen zurück in die Bauchhöhle. Auch hier kommt Kunststoffgewebe zum Einsatz. Dieses wird nur durch den Druck des Bauchinnenraums und den Gegendruck der Muskeln fixiert. Mehrere wissenschaftliche Arbeiten haben jetzt die Frage untersucht, inwieweit minimalinvasive TAPP- und TEP-Verfahren hinsichtlich des Ergebnisses vergleichbar sind. TAPP klar im Vorteil… Ärzte werteten Daten der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Laparo- und Thorakoskopische Chirurgie aus. Insgesamt wurden 4.552 Personen mit Leistenbruch in eine prospektive Kohortenstudie aufgenommen, 3.457 erhielten eine TEP sowie 1.095 eine TAPP. Dabei hatten Patienten unter TEP eine signifikant höhere Rate an Komplikationen während des Eingriffs (1,9 Prozent bei TEP versus 0,9 Prozent bei TAPP) beziehungsweise danach (2,3 Prozent versus 0,8 Prozent). Allerdings mussten Patienten mit TAPP postoperativ länger im Krankenhaus bleiben (2,9 Tage bei TAPP versus 2,3 Tage bei TEP). Die Operationszeiten selbst waren unter TEP geringfügig länger. Ärzte mussten während des Eingriffs verschieden oft von minimal invasiven zu offenen Verfahren wechseln. Diese sogenannte Konversion war unter TEP bei 1,0 Prozent aller Patienten erforderlich – im Vergleich zu 0,2 Prozent unter TAPP. Darauf schlussfolgern die Autoren, die TAPP-Technik sei bei Patienten mit einseitigem Leistenbruch besser als die TEP-Methode. …oder doch gleichwertig zu TEP? Die Ergebnisse erstaunen, da zahlreiche ältere Studien beiden Verfahren nahezu gleiche Qualitäten bescheinigt hatten. In Deutschland liefert das Register Herniamed jetzt weitere Daten. Bis Ende September 2012 hatten Kollegen Daten zu mehr als 50.000 Hernien-OPs online gemeldet, inklusive 4.583 TEP- und 8.220 TAPP-OPs bei einseitigen Leistenhernien. Die Ergebnisse sollen maximal zehn Jahre nachverfolgt werden. Anders als bei der Schweizer Kohortenstudie zeigten sich hier keine signifikanten Unterschiede bei intraoperativen Komplikationen (1,5 Prozent bei TEP versus 1,65 Prozent bei TAPP). Interessant ist allerdings die deutlich höhere Rate an postoperativen Komplikationen unter TAPP (4,35 Prozent versus 1,8 Prozent bei TEP). Dieser Unterschied ergibt sich primär durch häufiger auftretende Serome (TAPP 3,38 Prozent versus TEP 0,52 Prozent). Ärzte würden der Verringerung von Kavitäten noch zu wenig Aufmerksamkeit widmen, kommentieren die Autoren ihre Zahlen. Sie fordern eine stärkere Orientierung an Leitlinien der International Endohernia Society. Die Zahl an Reoperationen war wiederum vergleichbar (TAPP 0,98 Prozent versus TEP 0,81 Prozent). Aus der Perspektive intraoperativer oder postoperativer Risiken bestehe jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen TAPP und TEP, so das Fazit. Langfristig ohne Leiden Nahezu zeitgleich untersuchten Kollegen aus Indien mit einer kleinen prospektiven, randomisierten Studie, wie es um die langfristigen Ergebnisse von TAPP und TEP bestellt ist. Sie wiesen 160 Patienten mit Leistenhernie randomisiert einer TAPP- oder TEP-Gruppe zu. Nach der OP sollten sie Schmerzen auf der visuellen Analogskala bewerten. Ihre Lebensqualität wurde über Fragebögen des Typs "SF-36v2™ Health Survey Scoring Demonstration" im Zeitraum von Tagen bis Monaten erfasst. Nach TAPP klagten Betroffene zwar akut über stärkere Beschwerden. Langfristig unterschieden sich die Resultate weder hinsichtlich der Beschwerden noch hinsichtlich ihrer Verbesserung der Lebensqualität. Auch die Zeit, bis normale Tätigkeiten in Beruf und Freizeit wieder verrichtet werden konnten, erwies sich als vergleichbar. In beiden Fällen bestand ein enger Zusammenhang zwischen präoperativen und postoperativen Beschwerden. Keine Frage der Methode Ob TAPP oder TEP – die Datenlage zeigt unterschiedliche Facetten beider Techniken. Letztlich bleibt ein Parameter außen vor: die Erfahrung des Operateurs. Deshalb bietet Herniamed ein mehrstufiges Zertifizierungsverfahren an - vom Prädikat "qualitätsgesicherte Hernienchirurgie" bis zum Kompetenz- oder Referenzzentrum für Hernienchirurgie.