Das Herz gebrochen, im sprichwörtlichen Sinne: Seelische Belastung können sich als Stress-Kardiomyopathie oder als koronare Herzkrankheit manifestieren. Jetzt ist interdisziplinäres Arbeiten gefragt – ein Fall für die Psychokardiologie.
Thoraxschmerzen, Übelkeit und Atemnot: Bei der älteren Notfallpatientin deutete viel auf einen Myokardinfarkt hin. Umso überraschter waren Kollegen, als sie weder Thromben noch Stenosen fanden. Seelische Probleme – einige Monate zuvor war ihr Mann gestorben – hatten zu kurzfristigen, reversiblen Kontraktionsstörungen des linken Ventrikels geführt. Nach wenigen Stunden waren die Symptome abgeklungen. Tückische Tintenfischfalle Kein Einzelfall: In der medizinischen Literatur häufen sich Berichte über sogenannte Tako-Tsubo-Kardiomyopathien nach extremen Belastungssituationen. Mittlerweile gilt diese Stress-Kardiomyopathie, auch Broken-Heart-Syndrom genannt, als klar umrissenes Krankheitsbild. Häufig sind Frauen zwischen 62 und 75 Jahren betroffen. Je nach Land liegt der Anteil bei 1,0 bis 2,6 Prozent aller Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Tako-Tsubo steht für eine Tintenfischfalle mit engem Hals und bauchigem Korpus. Die Form erinnert an sonografische Aufnahmen des Herzens von Patienten. Typisch ist die ballonartig geformte Herzspitze. Ein paar Details: Beim Tako-Tsubo-Typ kommt es zur apikalen Akinesie und zur basalen Hyperkinesie, bei der reversen Form beobachten Ärzte eine basale Akinesie und eine apikale Hyperkinesie, und beim midventrikulären Typ wurde eine basale und apikale Hyperkinesie beschrieben. Im Blutbild sind Marker wie Kreatinkinase oder Troponin nur leicht erhöht. Kardiologen raten zur intensivmedizinischen Überwachung inklusive Symptomkontrolle, wobei sich viele Patienten rasch erholen und nach überstandener Krise eine exzellente Langzeitprognose haben. Stress im Blut Wie es zur Tako-Tsubo-Kardiomyopathie kommt, haben Forscher noch nicht vollständig entschlüsselt, doch es gibt plausible Hypothesen. Im Blut von Patienten fanden Ärzte deutlich erhöhte Spiegel von Stresshormonen, allen voran Adrenalin und Noradrenalin. Als mögliches Indiz gilt eine ältere Fallbeschreibung, die mehrfach bestätigt wurde: Patienten mit einem Phäochromozytom zeigen in der Tat "Tako-Tsubo-ähnliche" Symptome. Dieser Tumor produziert unter anderem Adrenalin und Noradrenalin. Trauer, Angst, Stress, Wut aber auch freudige Ereignisse wie ein Lottogewinn haben ähnliche Folgen für das Herz. So beobachteten Kardiologen nach Naturkatastrophen oder Terroranschlägen einen deutlichen Anstieg von Tako-Tsubo-Kardiomyopathien. Im Herzen selbst ist die Dichte von β-Adrenozeptoren besonders hoch, was eine inadäquat starke Reaktion auf Katecholamine erklären könnte. Die Rezeptoren sind an G-Proteine (Gs sowie Gi) gekoppelt. Nachdem Gi mit Toxinen inaktiviert wurde, verschwanden im Tiermodell die Symptome, allerdings starben Mäuse als Folge dieser Rezeptorblockade. Der Calcium-Sensitizer Levosimendan zeigt ähnliche Effekte, ohne Einfluss auf die Mortalität. Herzen im Schraubstock Während Tako-Tsubo-Kardiomyopathien in vielen Fällen für Patienten ohne Folgen bleiben, können seelische Leiden auch zu deutlich schlimmeren Leiden führen. Koronare Herzkrankheiten (KHK) oder ein Myokardinfarkte treten bei depressiven Menschen weitaus häufiger auf als bei Vergleichsgruppen mit ähnlichen kardiovaskulären Vorerkrankungen, aber ohne seelische Befindlichkeitsstörungen. Metaanalysen mit mehr als 100.000 Personen aus bevölkerungsbasierten Studien ergeben ein relatives Risiko von 1.60 bis 1.90. Angst und Depression erhöhen bei vorgeschädigten Patienten auch die Gefahr, an einer KHK zu versterben. Aus medizinischer Sicht stehen psychiatrische Vorerkrankungen damit auf einer Stufe mit Typ-2-Diabetes, Rauchen, Hypercholesterinämie und Hypertonie. Übergewichtige, depressive Patienten (BMI > 30) haben ein dreifach höheres KHK-Risiko im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne seelisches Leiden. Ärzte raten deshalb, neben der kardiologischen Anamnese gezielt nach psychiatrischen Erkrankungen zu suchen und entsprechende Therapien einzuleiten. Allerdings gilt auch der Umkehrschluss: Patienten mit KHK haben häufiger seelischen Befindlichkeitsstörungen. Wie eine Studie mit 135 Koronararterien-Bypass-Patienten gezeigt hat, litten diese postoperativ oft an Depression und Angst, unabhängig vom Erfolg der OP. Biochemisches Dauerfeuer Forscher versuchen jetzt, einen Zusammenhang zwischen den Krankheitsbildern herzustellen. Depressive Patienten achten weniger auf ihre Gesundheit. Sie rauchen im Schnitt häufiger, ernähren sich ungesünder, konsumieren mehr Alkohol und treiben seltener Sport. Darüber hinaus spielen biochemische Pathomechanismen mit negativen Folgen für Herz und Gefäße eine wichtige Rolle. Stress aktiviert die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, was über den Corticotropin Releasing Factor und das Adreneocorticotrope Hormon zur vermehrten Ausschüttung von Cortisol führt. Im Blut von KHK-Patienten sind darüber hinaus zahlreiche immunologisch aktive Moleküle nachweisbar: Akute-Phase-Proteine sowie proinflammatorische Zytokine aktivieren Thrombozyten, und die Gerinnungsneigung steigt. Kardiologen haben ebenfalls Anhaltspunkte gefunden, dass es zu endothelialen Dysfunktionen als Vorstufen einer späteren Arteriosklerose kommt. Gleichzeitig beeinflusst Stress das autonome Nervensystem, was sich fatal auf die Regulierung der Herzfrequenz auswirkt. Der Herzmuskel passt sich bei äußerer Belastung schlechter an, Puls und Herzfrequenz steigen. Empfehlungen für die Praxis Angesichts dieser Datenlage bleibt als Ratschlag, bei KHK-Patienten in Erfahrung bringen, ob eine depressive Symptomatik vorliegt. Für erste Hinweise reichen schon einfache Fragen zu möglicher Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit oder Hoffnungslosigkeit sowie zum – gegebenenfalls fehlenden – Interesse an Aktivitäten und sozialen Kontakten. Jetzt hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V ein entsprechendes Positionspapier aktualisiert. Mit dem höchsten Evidenzgrad A und dem höchsten Empfehlungsgrad I raten die Autoren, psychosoziale Faktoren bei der Einschätzung von KHK-Risiken zu berücksichtigen. Auch sollten Patienten mit Herz-OPs von interdisziplinären Teams betreut werden, die psychische Belastungsstörungen mit behandeln. Als I-B-Empfehlung nennt die Fachgesellschaft, relevante Erkrankungen wie eine Depression als Primärprävention der KHK zu behandeln. Patienten mit entsprechender Komorbidität sollten nach akuten Koronarereignissen mit Antidepressiva, vorzugsweise mit SSRI, behandelt werden.