Menschliches Fettgewebe ist unkompliziert und unter örtlicher Betäubung zu gewinnen. Stammzellen aus dem Fettgewebe eignen sich laut einer Studie genauso gut wie Stammzellen aus dem Knochenmark, um Glioblastomzellen aufzuspüren und zu bekämpfen.
Das Glioblastom gehört zu den aggressivsten Hirntumoren. Von der WHO wird der besonders bösartige und schnell wachsende Tumor mit dem Grad IV klassifiziert. "Die größte Herausforderung bei der Behandlung von Hirntumoren stellt die Migration der Krebszellen dar. Selbst wenn wir den Tumor als solchen operativ entfernen können, sind einige der bösartigen Zellen schon ausgeschwärmt, um anderswo Schaden anzurichten“, sagt Alfredo Quinones-Hinojosa, Professor für Neurochirurgie, Onkologie und Neurowissenschaften an der Johns Hopkins Universität in Baltimore, USA. Glioblastomzellen sind darin besonders geschickt. Sie wandern durch das gesamte Gehirn und bilden neue Tumoren aus. Daher gelten sie als praktisch unheilbar. Die Standardtherapieoptionen für Patienten mit einem Glioblastom sind Chemotherapie, Bestrahlung und Operation. Doch selbst wenn alle drei Therapieoptionen kombiniert werden, leben die Patienten von der Diagnosestellung an meist nicht länger als 18 Monate. Neue Behandlungsstrategien dringend benötigt Da die Standardwaffen gegen den Krebs bei Glioblastomen nur wenig Wirkung zeigen, suchen Wissenschaftler schon seit geraumer Zeit nach anderen Möglichkeiten, dieser heimtückischen Krankheit Herr zu werden. Mit seinem Forschungsteam hat Quinones-Hinojosa nun ein neues Konzept entwickelt und in Laborversuchen bereits bestätigt, wie schwer zugängliche Krebszellen im menschlichen Gehirn in Zukunft behandelt werden könnten. Stammzellen als Medikamentenkuriere Dass menschliche Stammzellen im Kampf gegen Hirntumoren von Nutzen sein könnten, ist schon seit mehr als zehn Jahren bekannt. Neuronale Stammzellen des Menschen wandern sowohl in vitro als auch in vivo gezielt zu malignen Gliomzellen und können zytotoxische und immunmodulatorische Wirkstoffe dorthin transportieren. Ihr Potential als spezifischer Medikamentenkurier ist allerdings durch ihr schwieriges Handling während der Gewinnung und Vermehrung dieser Zellen begrenzt. Auch mesenchymale Stammzellen besitzen die Fähigkeit, beschädigte Zellen wie Krebszellen aufzuspüren. "Warum mesenchymale Stammzellen von Krebszellen angezogen werden, wissen wir noch nicht", so Quinones-Hinojosa, "aber sie scheinen eine natürliche Affinität zu fehlerhaften Zellen im Körper zu haben." Mesenchymale Stammzellen wurden im Tiermodel bereits zur Behandlung von Traumata, Parkinson, ALS und anderen Erkrankungen untersucht. Diese Stammzellen wollen Forscher nun als Spürsonden einsetzen, um Krebszellen auch in schwer zugänglichen Arealen des Gehirns ausfindig zu machen. Denn dort "verstecken" sich die ausgeschwärmten Krebszellen häufig unentdeckt, um wieder zu neuen Tumoren heranzuwachsen – mit fatalen Folgen. Standard: Mesenchymale Stammzellen aus Knochenmark Mesenchymale Stammzellen sind Vorläuferzellen des Bindegewebes. Sie werden aufgrund des hohen Stammzellanteils sowie der guten Zugänglichkeit zumeist aus dem Knochenmark des Beckenkamms, des Schienbeins oder des Oberschenkelknochens gewonnen. Dazu müssen sich die Patienten jedoch einer Vollnarkose unterziehen. Mesenchymale Stammzellen finden sich aber auch im Fettgewebe. Sie daraus zu gewinnen sei laut den Studienautoren wesentlich kostengünstiger und weniger invasiv für die Patienten, da mit örtlicher Betäubung möglich, als eine Knochenmarksgewinnung. Aber sind sie auch genauso wirksam als Krebszellsonden wie ihre Kollegen aus dem Knochenmark? Leichter zu ernten bei gleicher Wirksamkeit Um herauszufinden, ob die wesentlich einfach zu gewinnenden adipösen mesenchymalen Stammzellen als Krebszellsonden genauso gut funktionieren wie andere ihrer Art, kauften Quinones-Hinojosa und seine Kollegen humane mesenchymale Stammzellen aus Fettgewebe und Knochenmark. Zusätzlich isolierten und kultivierten die Wissenschaftler ihre eigenen Stammzelllinien aus dem Fettgewebe zweier Patienten. Dann verglichen sie die drei Zelllinien miteinander: Alle drei proliferierten, wanderten, lebten und behielten ihr Stammzellpotential gleich gut. "Das war eine wichtige Entdeckung", so Quinones-Hinojosa, "denn sie zeigte uns, dass menschliches Fettgewebe dem Knochenmark in der Krebsbekämpfung offenbar in nichts nachstehe." Die mesenchymalen Stammzellen aus Fettgewebe könnten als Lieferanten für Medikamente, Nanopartikel oder andere Behandlungsparameter zu den Krebszellen dienen. Fettabsaugen gegen den Hirntumor Wie könnte das in der Praxis aussehen? "Idealerweise würde man einem Glioblastompatienten kurz vor der Tumoroperation irgendwo am Körper etwas Fettgewebe entnehmen", so Quinones-Hinojosa. Daraus würden dann im Labor die mesenchymalen Stammzellen isoliert und mit Medikamenten bestückt werden. Sobald die Chirurgen den Hirntumor entfernt haben, könnten sie die derart präparierten Stammzellen im Gehirn des Patienten platzieren. Diese sollten dann ausschwärmen und versteckte Krebszellen aufspüren und vernichten, so Quinones-Hinojosa. Als "smart devices" (schlaue Instrumente) bezeichnet der Wissenschaftler die Zellen, die das Tor zu einer personalisierten Therapie für Glioblastom-Patienten sein könnten. Bisher arbeiteten die Forscher aber nur in vitro. Ob die mesenchymalen Stammzellen aus dem Fettgewebe auch in einem lebenden Organismus ihren Dienst erfüllen, müssen in vivo Studien erst noch zeigen. Der Proof-of-Principle ist zwar gemacht, aber "bevor das Liefersystem in klinischen Studien am Menschen getestet werden wird, werden noch Jahre vergehen", so Quinones-Hinojosa.