Für eine fortgeschrittene Leberzirrhose bleibt in vielen Fällen oft nur ein Ausweg: Der Organersatz. Möglicherweise sind Genforscher jetzt auf eine Alternative gestoßen: Ein Kontrollelement, das die Regeneration von Hepatozyten steuert und so für neues Lebergewebe sorgt.
Eigentlich ist es das Organ mit der höchstentwickelten Fähigkeit, sich selbst zu reparieren, wenn einmal etwas kaputt geht. Selbst wenn mehr als die Hälfte ihrer Zellen den Dienst eingestellt haben, schafft es die Leber, die fehlende Zellmasse wieder zu ersetzen. Bei Mäusen, die zwei Drittel dieses Organs verloren haben, geschieht das innerhalb von zwei Wochen. Sehr sorgfältig reguliert das Organ im Normalfall ein Gleichgewicht zwischen Neugeburt und Tod von Hepatozyten. Dennoch ist die Leberzirrhose keine ganz seltene Krankheit. Rund eine Million Deutsche, so schätzen Epidemiologen, leiden darunter. Als letzter Ausweg, der einzige, der zur „Heilung“ führt, bleibt oft nur die Transplantation.
Dort aber gibt es bekanntermaßen nicht erst seit kurzem einen Engpass. 2012 standen knapp 1100 Transplantationen rund 1700 Patienten auf der Warteliste gegenüber. Von den „neuen Lebern“ im neuen Körper funktionierten aber auch dabei nur rund 55 Prozent. Dringend warten daher chronisch Leberkranke auf eine neue Möglichkeit, ihre Leber wieder in einen Normalzustand zu bringen. Zumindest am fernen Horizont könnte jetzt eine neue Lösung in Sicht sein, wenn sich Daten aus Tübingen und Hannover mit weiteren Studien bestätigen. Dort entdeckten Forscher um Lars Zender ein Gen, das bei der Regeneration von Hepatozyten wohl eine entscheidende Rolle spielt. „MKK4“ scheint die Proliferation von Leberzellen zu kontrollieren und - angeschaltet - zu unterdrücken. Hindert man den Gen-Schalter an seiner Arbeit, so erfolgt die Reparatur geschädigter Mäuselebern wesentlich schneller und effektiver. Direkt im lebenden Mausmodell mit subakuter oder chronischer Leberschädigung brachten die Wissenschaftler hunderte verschiedener sogenannter „kurzer hairpin RNA‘s (shRNA) ein und nutzten damit den Mechanismus der RNA-Interferenz. Findet die RNA ihr Ziel mit der entsprechenden Sequenz, kann sie die Aktivität des Gens unterdrücken. Die Forscher schauten nach, welche Hepatozytenpopulation es dann am effektivsten schaffte, die Leber wiederherzustellen und sequenzierten die DNA. In ihren Versuchen, die sie in der Fachzeitschrift „Cell“ publizierten, überlebten die schwer erkrankten Tiere nur, wenn sie mit der injizierten RNA die Aktivität des MKK4-Gens abschalteten. Im normalen Stoffwechsel steuert dieses Gen eine Signal-Kaskade, das „c-Jun N-terminale Kinase-Signaling“, die für wichtige Zellfunktionen wie Proliferation und Überleben verantwortlich ist. So ist es nicht überraschend, dass Hepatozyten ohne funktionierendes MKK4 auch vor einer bestimmten Art des zellulären Selbstmords, der Fas-abhängigen Apoptose geschützt sind. Mutationen des Gens finden sich auch in hepatozellulären Karzinomen.
Was bedeutet das nun für die medizinische Praxis? Nach den bisherigen Befunden ist ein MKK-Ausfall wohl nicht ausreichend, um aus einer normalen Zelle einen Tumor zu machen. Ein geeigneter Hemmstoff könnte aber sehr wohl eine mögliche Therapie bei akutem Leberversagen sein. Denn wenn ausreichend schnell Ersatz-Hepatozyten für ausgefallene Zellen zur Verfügung stehen, könnte man damit den Tod anderer Organe aufgrund fehlender Versorgung durch die Leber verhindern. Möglicherweise funktioniert das - wie im letzten Jahr bereits in vitro gezeigt - mit Antisense-Oligonukleotiden. Aber auch ein kleiner molekularer Blocker könnte das Gen ebenso wirksam an seiner Funktion hindern.
Bei einer chronischen Leberkrankheit wäre ein Zell-Transplantation eine weitere mögliche Alternative. Selbst unter günstigen Bedingungen können aber Hepatozyten aus der Kulturschale nach mehr als drei bis vier Tagen nicht mehr in eine geschädigte Leber einer Maus einwachsen. Anders ist das bei Zellen, die kein funktionierendes MKK4-Gen besitzen: Sie sind in der Lage, auch nach knapp zwei Wochen noch die Leber zu regenerieren. Vorausgesetzt, humane Zellen haben ähnliche Fähigkeiten, eröffnet dieser Befund Möglichkeiten, wie sie aus der regenerativen Medizin bei anderen Organen bekannt sind. Neue Hepatozyten ließen sich dann aus differenzierten pluripotenten Stammzellen gewinnen, skizzieren die amerikanischen Leber-Experten Holger Willenbring und Markus Grompe in einem Cell-Editorial optimistisch mögliche Zukunftsaussichten. Unter optimalen Bedingungen vermehren sich diese dann bis zu einer Zellzahl, mit der sie die Ärzte der kranken Leber zurückgeben können. „Wir erhoffen uns durch diese Entdeckung neue Therapiemöglichkeiten zur Steigerung der Leberregeneration,“ bewertet Lars Zender die Ergebnisse seiner Experimente, „so dass der Patient bis zur Transplantation stabilisiert werden oder gegebenenfalls auf die Transplantation verzichtet werden kann."
Bis diese Vision Wirklichkeit wird, werden aber wohl noch einige Jahre vergehen. Immer mehr könnten sich jedoch die Bemühungen um neue Therapien für Lebererkrankungen zu einem Wettlauf mit der Zeit entwickeln. Denn die Zahl der Todesfälle nach Leberzirrhose haben sich in den letzten Jahren in Deutschland verdoppelt. Dafür ist vor allem der Alkoholmissbrauch verantwortlich, der etwa im Jahr 2011 für fast 9000 Menschen zum Tod führte. Weitere häufige Ursachen: Infektionen mit den Hepatitisviren B, C oder D oder aber falsche Ernährung, die zu einem metabolischen Syndrom und im weiteren zu einer Fettleber führt. Auch die Gen-Ausstattung bestimmt mit, wie groß das Risiko ist, eine Zirrhose zu entwickeln. Eine solche ist in der Mehrheit der Fälle auch die Ursache für einen Lebertumor. Ließe sie sich verhindern, würde auch die Zahl der Transplantationen aufgrund eines hepatozellulären Karzinoms sinken. Immerhin zeigten Forscher schon vor einigen Jahren, dass sich selbst eine ausgewachsene Zirrhose wieder zurückbilden kann. Wenn die Ergebnisse aus Tübingen und Hannover und ihre Konsequenzen auch für den Menschen gelten, könnte die Option „Reparatur statt Ersatz“ einen neuen Schub bekommen. Lars Zender, 2013 mit dem deutschen Krebspreis der Deutschen Krebsgesellschaft ausgezeichnet, hält die Suche nach Genen für enorm wichtig, um neue Angriffspunkte für Therapien nicht nur bei der Leber zu finden. Die große Bedeutung des Gens MKK4 war dabei für die Forscher selbst überraschend: „Rückblickend auf unsere bisherigen Studien hätten wir nicht vermutet, dass MKK4 einen solch starken Einfluss auf die Regeneration der Leber hätte.“