Damit Kontrazeptiva wirken, sind sie für die meisten Frauen überdosiert. Neben den bekannten Nebenwirkungen hat der Eingriff in den hormonellen Regelkreis jedoch auch Einfluß auf das „Feintuning“ von Nährstoffen und kann weitere Störungen auslösen.
Etwa 6 Millionen Frauen nehmen in Deutschland regelmäßig orale Kontrazeptiva zur Empfängnisverhütung ein. Diese Hormonpräparate enthalten unterschiedliche Kombinationen von Estrogenen und Gestagenen oder im Fall der Minipille Gestagen als Monosubstanz. Neben den o.g. Kardinalnebenwirkungen können orale Kontrazeptiva zu Ödemen und Gewichtsverlust, Stimmungsschwankungen und Migräneanfällen führen. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass Kontrazeptiva zu Mikronährstoffdefiziten führen. Betroffen sind besonders Folsäure, Vitamin B2, B6, B12, Vitamin C sowie Magnesium und Zink. Es stellt sich die Frage, ob einige Nebenwirkungen durch das hormonelle Substitut oder doch eher durch ausgelöste Defizite bedingt sind. Die Werte der fettlöslichen Vitamine D, E und K bleiben durch die Hormongaben unverändert. Eine Ausnahme ist Retinol. Bereits niedrige Estrogengaben lassen den Vitamin-A- Spiegel um 40-50 % ansteigen.
Ein Estrogen induzierter B6-Mangel kann zu Störungen im Tryptophanstoffwechsel führen und die Serotoninverfügbarkeit im Zentralnervensystem negativ beeinflussen, was sich durch Nervosität, Reizbarkeit und Depressionen äußern kann. Es wird vermutet, dass orale Kontrazeptiva Vitamin B6-abhängige Enzyme wie die Tryptophanoxygenase induzieren und dadurch einen erhöhten metabolischen Verbrauch auslösen. Eine weitere Erklärung für die erniedrigten Vitamin B6-Werte könnten entzündliche Vorgänge sein. Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva steigert das C-reaktive Protein, das als nicht-spezifischer Marker für akute Entzündungsvorgänge agiert. Frauen, die die Pille verwenden, haben 3-fach höhere CRP-Werte als Nicht-Verwenderinnen. Ein Vitamin-B6-Mangel kann auch zu Libidoverlust führen, so das Ergebnis einer Studie von Wallwiener CW et al. Das Vitamin ist an der Modulation der Sexualhormone Estrogen, Progesteron und Testosteron beteiligt.
Orale Kontrazeptiva hemmen das Enzym Folsäure-Dekonjugase im Darm. Dies führt zu einer verminderten Verfügbarkeit von Folsäure. Außerdem wird die Folsäureausscheidung erhöht. Ein sich potenzierender Effekt, der zu Folsäuredefiziten führt. Die Folge ist u.a. eine Aktivierung von Homocystein. Dies steigert die Bildung von Fibrinogen und hemmt Thrombomodulin und Protein C. Die Folge ist eine gesteigerte Wirkung von Thrombin und eine Hemmung der Fibrinolyse. Ein Folsäuremangel kann bis zu 6 Monate nach Absetzen von Kontrazeptiva andauern. Der Arbeitskreis Ernährungs- und Vitaminforschung gibt an, dass bis zu 40 % erniedrigte Folsäurespiegel im Blut von Patientinnen gemessen worden sind, die orale Kontrazeptiva einnehmen.
In einer randomisierten, doppelblinden, placebo-kontrollierten Interventionsstudie von Fäth-Neubauer et al. wurde gezeigt, dass Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, ihren allgemeinen Gesundheitszustand und das psychische Wohlbefinden deutlich schlechter einschätzen als Frauen, die nicht oral verhüten. Es wurde untersucht, ob und wie stark die Supplementation von Mikronährstoffen die Lebensqualität verbessern kann und ob sich die Serotoninwerte beeinflussen lassen. Die Verum-Gruppe erhielt 90 Kapseln einer speziellen Mikronährstoffmischung aus Vitamin C (120 mg), Vitamin B 6 (6 mg), B 2 (3,2 mg), Folsäure (400 μg), B 12 (3,5 μg), Magnesium (55 mg) und Zink (5 mg). In der Studie wurden 24 gesunde Frauen über drei Monate untersucht. Ziel der Studie war es, den Nachweis zu erbringen, dass eine gezielte Co-Medikation mit einem Mikronährstoffpräparat die Selbst-Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands, insbesondere des psychischen Wohlbefindens, positiv beeinflussen kann. Außerdem wurde getestet, ob diese Selbsteinschätzung mit einer tatsächlichen Verbesserung des messbaren Vitamin- und Serotonin-Status korreliert. Die Selbsteinschätzung erfolgte hierbei mit dem Short-Form-Gesundheitsfragebogen (SF 36) - einem Messinstrument zur Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Das Ergebnis spricht klar für eine Supplementierung. Das Wohlbefinden wurde signifikant gesteigert: von 69,5 auf 80 Punkte (+15,1%) (stat. signifikante Steigerung, p<0,05). Für den Vitamin B6-Status ergab sich in der Verum-Gruppe eine signifikante Verbesserung von 37,7 μg/l auf 61,5 μg/l (+ 63,1 %). Auch der Serotoninspiegel wurde deutlich angehoben: er stieg von 95,6 μg/g auf 103,6 μg/g Kreatinin (+ 8,4%). Die Folsäure und Vitamin B12-Werte erhöhten sich in der Verum-Gruppe ebenfalls.
Bei einer Untersuchung von R. De Pirro et al. an 46 mit Kontrazeptiva behandelten Frauen wurde der Kohlenhydrat- und Vitamin-B6-Status vor und nach Vitamin-B6-Verabreichung untersucht. Bei 8 Frauen zeigte sich ein Vitamin-B6-Mangel im Gewebe. Die Zufuhr von Vitamin B6 führte bei ihnen zu einer raschen Senkung des Blutzuckers nach einem Glukosetoleranztest. Bereits 1966 wiesen Rose et al nach, dass Frauen, die orale Kontrazeptiva einnahmen, vermehrt Tryptophanmetabolite ausschieden. Durch Estrogen induzierte Vitamin-B6-Defizite verschiebt sich das Profil der Tryptophanmetabolite zugunsten der Xanthurensäure und 3- Hydroxykynurenin. Die Folge ist eine Minderung der Insulinwirkung und theoretisch eine Steigerung des Diabetesrisikos. Die Empfehlung zur Kontrazeption bei Frauen mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes mellitus sowie bei Frauen nach Schwangerschaften mit Gestationsdiabetes der AG Diabetes und Schwangerschaft der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gehen auf das Diabetesrisiko wie folgt ein: „Die Einnahme von niedrig dosierten oralen Kombinationspräparaten oder reinen Gestagenpräparaten scheint für Frauen mit Typ-1-Diabetes mellitus ohne schwerwiegende Begleiterkrankungen unbedenklich. Es sollte ein Präparat gewählt werden mit einer möglichst geringen Dosierung eines Gestagens mit geringem androgenen Effekt. Empfehlungen für Frauen mit Typ-2-Diabetes mellitus können nur auf der Grundlage von Daten bei Typ-1-Diabetes gegeben werden, da entsprechende Studien fehlen. Bei Präparaten mit neueren Gestagenen oder niedrig dosierten Gestagenen der älteren Generationen überwiegt der metabolische Effekt der Estrogene. Bei gesunden Frauen wurden nur minimale Auswirkungen auf den Glukosestoffwechsel sowie keine ungünstigen Veränderungen des Gesamtcholesterins, der HDL- und LDL-Fraktion beobachtet.
Es ist eine ewig währende Diskussion, ob eine Mikronährstoffsupplementierung sinnvoll, notwendig oder gar schädlich ist. Eine pauschale Antwort verhindert schon die Heterogenität der qualitativen und quantitativen Zusammensetzung der Präparate. Vitamin E hat sich als Flop erwiesen, Calcium und Selen sind nicht unkritisch und einige Kombinationen steigern sogar das Risiko für gewisse Erkrankungen. Wenn jedoch eine relativ gute Faktenlage dokumentiert, dass Pharmaka bestimmte Nährstoffdefizite auslösen, kann eine präventive Gabe sinnvoll sein. Dies geschieht ja auch bereits bei der Einnahme von Protonenpumpenhemmern und der Gabe von Vitamin B12 und Calcium. Beide werden in Abwesenheit von Säure nicht oder nur sehr gering resorbiert. Bei der Folsäure lohnt sich eine differenziertere Betrachtung, da einige Studien, zumindest in höheren Dosen, auch negative Aspekte postulieren. Eine zu hohe Folsäureaufnahme kann einen Vitamin B12-Mangel überdecken. Kombinationspräparate aus Folsäure und 5-Methyl-Tetrahydrofolat (5-MTHF) lösen einige pharmakologische Probleme. 5-MTHF ist die biologisch aktive Form der Folsäure. Sie entfaltet ihre Wirkung im Körper besonders effizient und maskiert einen Vitamin B12-Mangel nicht.
Möglich sind auch Wechselwirkungen mit Antiepileptika und eine Beeinträchtigung der Immunabwehr. Hohe Folsäuredosen können einen Phenobarbitalspiegel senken, Andererseits können Antiepileptika den Spiegel am Vitamin B1 senken. Eine Studie hat ergeben, dass unter einer Folsäuretherapie Mehrlingsgeburten zunehmen. Dies gilt natürlich nicht für die Gabe unter Kontrazeption, macht aber umso mehr die Rolle der Folsäure als „Fruchtbarkeitsvitamin“ deutlich. Für die Folsäuremengen, die von der DGE vorgeschlagen werden, erscheinen die Risiken nach sorgfältiger Abwägung vernachlässigbar gegenüber den gesundheitlichen Vorteilen. Auch Fachgesellschaften, wie die D.A.CH.-Liga, geben sich zurückhaltend, weil noch keine eindeutigen Ergebnisse vorliegen. Antiepileptika wie Phenobarbital, Carbamazepin, Primidon, Valproat und Phenytoin erhöhen beispielsweise das Homocystein im Plasma. Dr. Michael Thamm (RKI) forderte, die breite Anreicherung von Lebensmitteln einzuschränken, um extrem hohe Zufuhrwerte zu vermeiden. Wolle man die positive Wirkung eines Nährstoffs nutzen, ein Risiko aber nicht eingehen, müsse man ganz gezielt je nach Personenkreis, Alter und weiteren Faktoren das Vitamin zuführen, sagte auch Prof. Alfonso Lampen vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Berlin.
„Wir dürfen ein gesenktes Risiko für Neuralrohrdefekte nicht mit einem erhöhten Krebsrisiko erkaufen.“ Dr. Christian Grugel vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz lehnte eine verpflichtende Anreicherung von Lebensmitteln mit Folsäure in Deutschland ab und sprach sich für zielgruppenspezifische Maßnahmen aus. Die Aufklärung, insbesondere von Frauen im gebärfähigen Alter, müsse gefördert werden, um diese bedarfsgerecht zu versorgen. Prof. Hans K. Biesalski von der Universität Hohenheim verwies diesbezüglich auf das Verbesserungspotenzial bei der Information von und Aufklärung durch Frauenärzte. Kann Folsäure Krebs nun verhindern oder fördern? Je nach Studienlage gibt es für beide Thesen Anhaltspunkte. Das ist abhängig von der Dosis, der Einnahmedauer und der Krebsart. Nach heutiger Erkenntnis besitzt Folsäure bei „normalen“ Dosierungen, also nicht im Megabereich, eine prophylaktische Wirkung auf gewisse Tumorarten. Für Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, erscheint das Vorbeugen von Mangelerscheinungen sinnvoll. Unter Abwägung der differenten Datenlage erscheint bei der Supplementierung mit Mikronährstoffen, insbesondere Folsäure und Vitamin B 6, der Nutzwert vor dem Risiko zu überwiegen.