Aus Zeitnot vor dem Wochenende nicht den Weg zum Frauenarzt geschafft, um dir die Pille zu holen? Peinliche Erkrankung und Panik vor der Behandlung? Online-Arztportale versprechen Abhilfe. Doch ob der virtuelle Gang zum Arzt wirklich hält, was er verspricht? Wir haben uns informiert.
Im Internet tauchen in letzter Zeit immer mehr Seiten auf, die es einem ermöglichen, die eigenen Arztbesuche online abzuwickeln. Anbieter wie „DrEd.“, „Medgate“ oder „DrThom“ versprechen eine virtuelle Sprechstunde, bei der man untersucht und behandelt wird und am Ende sogar ein Rezept erhält – ohne auch nur ein Wort sprechen zu müssen oder seinem Arzt je ins Gesicht geblickt zu haben. Spezialisiert haben sich die Internet-Doktoren auf Leiden, über die viele nur ungern sprechen: Haarausfall und Erektionsprobleme bei Männern, Verhütungsmittel und Pille danach bei Frauen und Geschlechtskrankheiten, Bluthochdruck und Raucherentwöhnung bei beiden Geschlechtern. Die meisten Menschen haben Hemmungen davor, mit Krankheiten, die ihnen ausgesprochen peinlich sind, zum Arzt zu gehen. Da ist es doch soviel einfacher, nur virtuell seine Symptome zu beschreiben, das Rezept zugeschickt zu bekommen und den Vorfall nach erfolgreicher Behandlung möglichst schnell zu vergessen. Oder betrachten wir Leute, die aufgrund des stressigen Berufs kaum Zeit finden, dem Hausarzt einen Besuch abzustatten. Zwei bis drei Stunden im Wartezimmer mit anderen schniefenden und hustenden Patienten zu verbringen, nur um ein Heilmittel gegen die Erkältung verschrieben zu bekommen, ist ihnen ein Graus. Und aus solchen Situationen heraus ist ein Geschäftsmodell entstanden, das mittlerweile viele Patienten behandelt. Besonders die Generation Facebook frequentiert den virtuellen Doktor: „Sie glauben nicht, wie viele junge Männer uns Handy-Fotos von ihren Genitalwarzen mailen, weil sie sich nicht trauen zum Arzt zu gehen“, beschreibt David Meinertz, der Londoner Geschäftsführer von „DrEd“, das Phänomen. „Pro Tag haben wir zwischen 50 und 100 Patienten, bis zur Hälfte davon aus Deutschland. Seit 2005 haben wir mehr als 200.000 Patienten telemedizinisch behandelt.“
Aber wie funktioniert das Modell der Online-Ärzte genau? Wir haben den virtuellen Arzt „DrEd“ exemplarisch unter die Lupe genommen. Die Online-Praxis hat ihren Sitz in London und erhielt im Juli 2011 die Zulassung zur Patientenversorgung. Sie wurde von David Meinertz und Amit Khutti zusammen mit den deutschen Ärzten Dr. med. Jasper Mordhorst, Facharzt für Innere- und Allgemeinmedizin, und Sebastian Winckler, Facharzt für Allgemeinmedizin, gegründet. Alle vier waren zuvor in London bei einer anderen Online-Arztpraxis beschäftigt, die als Pionier der Telemedizin in England sowie Irland gilt. Um bei „DrEd“ vorbeizuschauen, muss man zunächst einer „virtuellen“ Sprechstunde Besuch abstatten. Dort beantwortet der Patient gezielte Fragen anhand eines Online-Fragebogens, der von Ärzten erstellt wurde. Diese Fragen sollen dazu dienen, den Gesundheitszustand des Patienten genau zu erfassen und beinhalten die aktuellen Beschwerden, die medizinische Vorgeschichte, die eingenommenen Medikamente und bestimmte körperliche Messwerte, wie zum Beispiel Gewicht oder Blutdruck, die der Patient selbst angeben muss. Wie genau der Patient seine tatsächlichen Werte angibt, bleibt ihm aber selbst überlassen. Es wird zwar vermerkt, dass es wichtig sei, alle Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten, da nur so von den Online-Ärzten letztlich eine Diagnose erstellt werden und die Behandlung erfolgen kann, aber inwieweit sich die Patienten daran halten, kann niemand nachprüfen. Am Ende der Sprechstunde muss man sich dann auf der Internetseite registrieren. Dabei wird eine „Online-Patientenakte“ angelegt, über die Arzt und Patient vertraulich miteinander in Kontakt treten und kommunizieren können. Diese Online-Patientenakte ist passwortgeschützt und auch nur über eine sichere Internetverbindung zu erreichen. Dennoch besteht natürlich generell die Gefahr, dass, beispielsweise über Hackerangriffe, vertrauliche Daten entwendet werden können.
Als nächstes erfolgt dann die Diagnose und Behandlungsempfehlung. Die Ärzte von DrEd bewerten die in der Sprechstunde erhaltenen Antworten und Angaben und melden sich innerhalb weniger Stunden über die Online-Patientenakte bei dem Patienten. Sie teilen dem Patienten dann mit, ob sie schon eine Diagnose stellen können oder dieser noch weitere Fragen beantworten muss. Sobald der Befund vorliegt, schlagen die virtuellen Ärzte dem Patienten eine Behandlung vor. Nur wenn sich keine eindeutige Diagnose feststellen lässt, empfehlen die Online-Ärzte dem Patienten, den Hausarzt oder einen Arzt des Vertrauens aufzusuchen. Als letzter Schritt erfolgt nach der Diagnosestellung die Behandlung und Ausstellung des Rezepts. Bis hierhin waren alle Schritte kostenlos. Entscheidet sich der Patient jetzt für eine Behandlung bei DrEd, beantwortet er einige weitere Fragen, bezahlt die Behandlung und bekommt ein Rezept gegen seine Beschwerden ausgestellt. Die Kosten belaufen sich dabei je nach Behandlung auf 9 bis 45 €. Somit ist DrEd um einiges günstiger als die konventionellen Ärzte, was für viele Patienten ein unschlagbares Argument für den Online-Arzt ist. Auch die heftig diskutierte Praxisgebühr fällt beim virtuellen Doktor nicht an. Dennoch sollte man im Hinterkopf behalten, dass eine fundierte Diagnose und ausreichende medizinische Behandlung ohne die Inspektion und körperliche Untersuchung des Patienten kaum möglich ist. Das Risiko einer Fehldiagnose liegt bei telemedizinischen Behandlungen besonders hoch. Anschließend kann der Patient entscheiden, wohin die Online-Ärzte das Rezept schicken sollen: an die Versandapotheke oder direkt an den Patienten selbst. Das Medikament trifft dann in der Regel innerhalb von 3-4 Werktagen beim Patienten ein. Auf eigenen Wunsch sendet der Online-Arzt die erhobenen Befunde auch an den Hausarzt, der somit über die virtuell angeordnete Behandlung des Patienten informiert wird.
In Deutschland ist diese Art der Online-Arzt-Sprechstunde eigentlich verboten. Verschreibungen von Medikamenten ohne Patientenkontakt verstoßen laut Gesundheitsminister Daniel Bahr gegen das Berufsrecht. Und auch das Versenden der Rezepte an Apotheken, ohne den Patienten je zu Gesicht zu bekommen zu haben, sei nicht erlaubt. Selbst Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, warnt vor den virtuellen Ärzten: „Wir sehen Angebote wie „DrEd“ äußerst skeptisch.“ Das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis sei Basis jeder Behandlung und könne nur durch persönliche Kontakte aufgebaut werden - das diene dem Schutz des Patienten. Dennoch ist laut dem Geschäftsführer von „DrEd“, David Meinertz, dieses Vorgehen legal, weil die Internetärzte ihren Sitz in Großbritannien haben und dort ist, anders als in Deutschland, eine virtuelle Behandlung erlaubt. Außerdem werde das Geschäftsmodell von der EU-Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte gedeckt. Danach muss ein deutscher Apotheker eine Verschreibung aus dem EU-Ausland anerkennen. Auch das bestätigen Bahrs Experten. Ein gesetzliches Schlupfloch macht es also möglich, dass „DrEd“ und Co. ihre Patienten virtuell behandeln dürfen. Immerhin bietet „DrEd“ aber keine Online-Sprechstunden für Minderjährige und akute Notfälle an. Doch das Alter lässt sich im Internet manipulieren und Notfälle herunterspielen. Inwiefern hier dann noch eine adäquate medizinische Behandlung erfolgen kann, ist daher fraglich.
Wie gut kann man sich auf eine Online-Beratung verlassen, wenn es um die eigene Gesundheit geht? Nicht nur, dass Patienten bei ihren Angaben schwindeln können, um ein bestimmtes Rezept ausgestellt zu bekommen, es besteht auch die Gefahr, dass sie über die Einnahme von Medikamenten nicht genügend aufgeklärt werden. Daraus können sich erhebliche Risiken für die Gesundheit ergeben. Laut Montgomery dürfte es beispielsweise für die Pille danach keine derart einfachen Lösungen geben. Frauen wüssten oft nicht, ob und wie sie die Pille einnehmen sollten. "Bestimmte Präparate haben wegen ihrer hohen Dosis erhebliche Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Übelkeit oder auch eine erhöhte Thrombosegefahr." Sich diese Medikamente einfach per Mausklick zu ordern, hält er für unverantwortlich. Es hat ja auch einen Sinn, dass bestimmte Medikamente verschreibungspflichtig und nicht frei verfügbar in jeder beliebigen Menge zu erhalten sind. Dieser Sinn wird durch die vereinfachte virtuelle Zugänglichkeit in Frage gestellt. Telemedizin – also die medizinische Behandlung bei räumlicher Trennung von Arzt und Patient – ist schon seit jeher umstritten. Einerseits stellt sie ein großes Potential dar und kann den Arzt- und Patientenalltag in vielerlei Hinsicht vereinfachen und unterstützen; z. B. ermöglicht sie die Überwachung schwerkranker Patienten von zu Hause aus. Doch andererseits birgt sie auch große Risiken. Die Bundesärztekammer unterstütze zwar die Erprobung und den Einsatz telemedizinischer Methoden, erklärt Montgomery. "Dabei muss Telemedizin aber der Patientenversorgung dienen und nicht der Erschließung neuer Absatzmärkte für die Industrie.“
Auch die schon angesprochene Möglichkeit der Fehldiagnose ist ein entscheidender Faktor, den man bei Nutzung von „DrEd“ und Co. bedenken sollte. Deutsche Ärztevertreter nennen das Online-Angebot „hochproblematisch“ und „gefährlich“. „Ferndiagnosen sind in Deutschland berufsrechtlich unzulässig, und das aus guten Gründen“, sagt beispielsweise Dirk Heinrich, Vorsitzender des Ärzteverbands NAV-Virchow-Bund. Kein Arzt könne allein aus Unterlagen patientengerecht arbeiten, meint der Mediziner: „Die Folgen können gefährliche Fehldiagnosen sein.“ DrEd-Sprecher Jens Apermann hält jedoch dagegen, dass England in Sachen Telemedizin Deutschland um Jahre voraus sei. Die hiesigen Standesorganisationen der Mediziner seien noch nicht so weit, ihre Berufsordnungen veränderten Patientenwünschen anzupassen: "Die deutschen Ärzte trauen sich das, was wir machen, nicht zu." Eine gewagte Meinung, die bei Ärzten in Deutschland wohl nicht auf viel Verständnis stößt.
Doch was hält eigentlich die Generation Facebook, wie man sie gerne nennt, von der neuen virtuellen medizinischen Beratung? Gerade junge Menschen, deren alltägliches Leben sich zu einem großen Anteil in sozialen Netzwerken im Internet abspielt, müssen doch von den Online-Ärzten überzeugt sein. Wir haben zwei Medizinstudenten zu ihrer Meinung befragt. Maximilian Groß, Medizinstudent im 6. Semester aus Regensburg, findet die neue Idee eines Online-Arztes toll: „Ich halte die Verschreibungspflicht nur bei wenigen Medikamenten, wie z. B. Antibiotika, wirklich für erforderlich. Wenn es tatsächlich darum ginge, dass man die Leute unbedingt vor allem schützen müsste, müsste man konsequenterweise auch Zigaretten und Alkohol verschreibungspflichtig machen. Quasi alle können damit doch verantwortungsvoll umgehen, und wer sich bewusst schaden will, kann das nun mal auch so. Deswegen finde ich es super, wenn man die Möglichkeit hat, sich online, nach einer medizinischen „Untersuchung“, Rezepte zu bestellen. Schade, dass die deutschen Politiker da mal wieder etwas dagegen unternehmen wollen. Man weiß nicht, ob es der klassische Abwehrreflex gegenüber neuen, unbekannten Methoden ist oder doch der Schutz alter Privilegien für Ärzte und Apotheker… Die Briten sind da einfach pragmatischer und nicht so konservativ.“ Jaquline Geiger, Münchner Medizinstudentin im 4. Semester, findet das Angebot der virtuellen Ärzte dagegen nicht in Ordnung: „Ich selbst würde einen „Onlinearzt“ nicht nutzen. Und zwar, weil ich will, dass mein Arzt mich untersuchen und mir ins Gesicht gucken kann, wenn ich ihn aufsuche. Er soll mir Blut abnehmen oder mir eine Infusion legen können, er soll Urin oder Stuhl untersuchen können und er soll mir die Hand schütteln und mir das Gefühl vermitteln, dass ich gut aufgehoben bin. Eine Diagnose kann ich nicht stellen, wenn ich die Person nicht anschauen kann. Selbst wenn mir der Patient seine Beschwerden gut und differenziert schildern kann, so ist das, was er mir erzählt, von vielerlei Einflüssen gefärbt: Angst, eventuell schon recherchiertem "Halbwissen" oder irgendwelcher Laienvorstellung. So wenige Informationen über einen Internet-Fragebogen zu erhalten, wäre mir zu heikel, um mich auf irgendwas festzulegen - und für meine Diagnose muss ich ja gerade stehen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass das Portal vor allem von Leuten genutzt werden wird, die das Vertrauen in „echte“ Ärzte verloren haben und glauben, ein neues Medium heißt, alles sei anders und viel besser. So wie das Konzept aber momentan aufgebaut ist, halte ich diese Einstellung für sehr gefährlich, denn das Risiko einer virtuellen Fehldiagnose ist nicht zu unterschätzen.“
Sonja Fischer*, eine Medizinstudentin aus München, sieht das ähnlich: „Ich selbst habe bereits solche Angebote wie DrEd genutzt. Ich wollte mir einen Eindruck verschaffen, wie gut solche Online-Ärzte wirklich funktionieren. Da ich seit kurzem unter einem starken Akneanfall litt und der nächste Termin bei meinem Hautarzt erst in 3 Wochen möglich gewesen wäre, habe ich mich dazu entschieden, die virtuelle Praxis einmal auszuprobieren. Ich musste zunächst allgemeine Fragen zu meiner „Krankheit“ beantworten und habe anschließend zwei Fotos von den betroffenen Hautarealen hochgeladen. Die Antwort des virtuellen Arztes war schon am nächsten Tag da. Nachdem ich ihm noch ein paar Details über Auftreten, Lokalisation und Dauer der Akne beantwortet habe, kam auch prompt der Therapievorschlag Clindamycin-Gel oder Tetracyclin-Tabletten einzunehmen. Das Rezept wäre mir innerhalb von 2-3 Tagen zugeschickt worden oder alternativ hätte ich mir auch gleich die Medikamente nach Hause schicken lassen können. Das Ganze hätte dann 19 € Sprechstundengebühr plus die Kosten für die Medikamente gekostet. Ich habe mich dann aber gegen eine weitere Behandlung entschieden. Denn die Ärzte haben mich gar nicht über das Medikament mit möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt, wie ich das von meinem Hautarzt gewohnt war. Von den Tabletten wusste ich beispielsweise schon, dass ich schlimme Hautausschläge und Übelkeit bekomme und der „Online-Arzt“ hatte mich dazu nicht befragt. Wäre ich ein vollkommen unwissender Patient gewesen, hätte ich mit den Nebenwirkungen umgehen müssen. Außerdem fehlte mir die genaue Untersuchung. Mein Hautarzt schaut sich betroffene Hautareale immer explizit an, um andere Hautkrankheiten ausschließen zu können. Der virtuelle Arzt kann das ja gar nicht und verschreibt mir somit möglicherweise ein unwirksames oder im schlimmsten Fall sogar schädliches Medikament. Deswegen denke ich, aufgrund meiner Erfahrungen, dass es immer besser ist, zu einem richtigen Arzt zu gehen und sich nicht auf irgendein Internet-Angebot zu verlassen.“
Man kann also festhalten, dass man immer vorsichtig bei virtuellen Angeboten zu Diagnose und Therapie einer Krankheit sein sollte. „DrEd“ und Co. mögen zwar ihren Reiz haben, dadurch, dass sie günstiger und vor allem für vielbeschäftigte Menschen schnell zu erreichen sind. Oder auch dadurch, dass man mit peinlichen Leiden anonym Rezepte verschrieben bekommt. Die Mehrheit der Patienten sieht die virtuellen Docs deswegen als eine echte Bereicherung für ihr Leben. Man darf aber auch nicht das Risiko einer Fehldiagnose und –behandlung unterschätzen. Die telemedizinischen Behandlungsmöglichkeiten sind noch lange nicht so weit fortgeschritten, dass wir rein über das Internet eine adäquate Diagnose erstellen können. Die körperliche Untersuchung in der Arztpraxis, die kontrollierte Überprüfung der Vitalwerte und insbesondere die Anamnese von Angesicht zu Angesicht, von Arzt zu Patient, sowie die gesamte zwischenmenschliche Interaktion sind momentan noch unerlässlich, um den Patienten richtig behandeln zu können. Wir haben nunmal nur eine Gesundheit und die sollte uns einen richtigen Arztbesuch immer wert sein. Mehr zum Thema: Das Internet als verlängerter Arm des Arztes: Das Wunder der Telemedizin Stiftung Warentest: Medizinische Beratung im Internet * Name auf Wunsch der Interviewten geändert.