Die Fähigkeit, Milch zu verdauen, hat sich in Europa erst vor einigen tausend Jahren entwickelt – aber längst nicht bei allen Menschen. Der Großteil der Weltbevölkerung weist somit noch immer eine Laktosemalabsorption auf. Ein Forscher versucht nun erstmals, genauere Zahlen zu liefern.
Die Laktaseaktivität der Menschen sinkt nach der Muttermilchentwöhnung immer weiter ab. Individuen aus Kulturen, die seit Jahrtausenden Milchwirtschaft betreiben, konnten im Zuge der Evolution aber mittlerweile auch mit zunehmenden Alter eine höhere Laktasepersistenz erwerben. Der Großteil der Weltbevölkerung weist jedoch noch immer eine Laktosemalabsorption auf, kommen Beschwerden hinzu ist von einer Laktoseintoleranz die Rede. Genaue Zahlen gab es bislang nicht. Jetzt hat Christian Løvold Storhaug von der Universität Bergen wissenschaftliche Publikationen ausgewertet und seine Ergebnisse auf die Weltbevölkerung extrapoliert.
Storhaug wertete 2.665 Datensätze und 306 Studienpopulationen aus 116 Volltextartikeln aus. Daten zu 144 weiteren Populationen, die er aus Übersichtsartikeln generierte, flossen außerdem in seine Untersuchung ein. Insgesamt wertete der Gesundheitswissenschaftler also Informationen zu 62.910 Personen aus 89 Ländern aus. Von den 450 Studienpopulationen wurden 231 durch Genotypisierung, 83 durch Wasserstoff-Atemtests, 101 durch Lactosetoleranztests und 35 durch andere Methoden beurteilt. Wasserstoff-Atemtests sind eine Möglichkeit, die Laktaseaktivität indirekt nachzuweisen. Trinken Patienten mit Laktosemalabsorption gelöste Laktose, wird diese nicht im Dünndarm enzymatisch gespalten und resorbiert, sondern im Dickdarm entsteht durch den bakteriellen Stoffwechsel unter anderem Wasserstoff. Dieser gelangt über das Blut in die Lunge und wird abgeatmet. Da unsere ausgeatmete Luft normalerweise keinen Wasserstoff enthält, kann dies ein Zeichen für Laktosemalabsorption sein. Der Test ist jedoch abhängig vom jeweiligen Mikrobiom und kann auch versagen. Eine weitere Möglichkeit, Laktosemalabsorption nachzuweisen, ist der Blutzuckertest. Bei der enzymatischen Spaltung von Laktose entstehen Galaktose und Glukose. Kommt es durch die Gabe von Laktose zum Anstieg des Blutzuckers, ist Laktase vorhanden. Die molekulargenetische Untersuchung des Laktase-Gens (LCT) liefert Erkenntnisse über eine primäre Laktoseintoleranz, hat jedoch den Nachteil, bei erworbenen Intoleranzen zu versagen.
Es überrascht nicht, dass Storhaug je nach Methodik zu unterschiedlichen Prävalenzen kommt. Wertete er Studien mit Genotypisierungsdaten aus, ließ sich weltweit bei 74 Prozent aller Menschen eine Laktosemalabsorption finden. Bei Laktose-Bluttests waren es 55 Prozent und bei Wasserstoff-Atemtests 57 Prozent. Für die regionale Prävalenz hat der Wissenschaftler Daten aus unterschiedlichen Verfahren gemittelt. So kam er auf 64 Prozent in Asien, 47 Prozent in Osteuropa, Russland und in den ehemaligen Sowjetrepubliken, 38 Prozent in Lateinamerika, 70 Prozent im Mittleren Osten, 66 Prozent in Nordafrika, 42 Prozent in Nordamerika, 45 Prozent in Ozeanien, 63 Prozent in Afrika südlich der Sahara und 28 Prozent in Nord-, Süd- und Westeuropa. Die Arbeit zeigt offensichtlich Schwächen. Storhaug weist selbst auf starke Schwankungen bei der methodischen Qualität der eingeschlossenen Arbeiten hin. Einige der eingeschlossenen Arbeit verwendeten die Genotypisierung für ihre Datenerhebung. Hierbei wird beispielsweise kritisiert, dass nicht alle Studien alle relevanten Genvarianten der Laktasepersistenz miteinbezogen haben. Ein weiteres Problem: Die Genotypisierung erfasst keine Informationen bezüglich klinischer Symptome. Mangelhaft ist außerdem, dass die Sensitivität der Tests (Wasserstoff-Atemtest, Genotypisierung, Lactosetoleranztest und andere) sehr unterschiedlich ausfällt, so kann Storhaug praktisch keine eindeutige Aussage zu den Prävalenzen treffen. Quelle:
Country, regional, and global estimates for lactose malabsorption in adults: a systematic review and meta-analysis. Christian L. Storhaug et al., The Lancet Gastroenterology & Hepatology, doi: 10.1016/S2468-1253(17)30154-1; 2017