Kaum im Amt, gab der ABDA-Präsident Friedemann Schmidt bekannt, ein neues Leitbild für den Berufsstand zu entwickeln. Ziel ist, die Approbationsordnung zu entstauben und patientenorientierte Leistungen in den Fokus jeder öffentlichen Apotheke zu rücken. Das gefällt nicht allen Beteiligten.
Apotheker einst und jetzt: Über Jahrzehnte und Jahrhunderte verschoben sich Schwerpunkte von der Arzneimittelherstellung immer mehr in Richtung Abgabe, Beratung und Qualitätssicherung. Als nächsten, konsequenten Schritt sehen Experten weltweit die pharmazeutische Betreuung (Pharmaceutical Care), um ärztliche Therapien zu begleiten und gegebenenfalls zu optimieren. Wie dringend entsprechende Maßnahmenpakete notwendig wären, hat kürzlich der Barmer GEK Arzneimittelreport 2013 gezeigt: Jeder dritte Versicherte nimmt täglich mehr als fünf Wirkstoffe ein und ist von potenziellen Gefahren der Polypharmazie bedroht. Die Gesellschaft altert, und Apotheker rechnen schon heute mit einem immensen Mehraufwand. Um dies zu leisten, braucht Deutschland wesentlich mehr Approbierte.
Und Kollegen vor Ort werden auch nicht jünger: Beim niedersächsischen Apothekertag Anfang Juni gab Kammerpräsidentin Magdalene Linz eine zunehmenden Überalterung ihres Berufsstands zu Protokoll. Jeder dritte Inhaber sei bereits 60 Jahre und älter. „Die Apotheker bemühen sich, die Menschen in den dünn besiedelten Gebieten nicht zurückzulassen“, so Linz. Das wird immer schwerer, fehlen dem Berufsstand junge Approbierte. Deshalb warnte die Präsidentin in Richtung Leipzig eindringlich davor, weitere pharmazeutische Institute zu schließen. Die dortige Hochschule würde ihre Einrichtung lieber heute als morgen zusperren, scheiterte jedoch bislang am Disput zwischen Sachsens Ministerium für Wissenschaft und Kunst beziehungsweise für Soziales und Verbraucherschutz. So oder so käme das drohende Aus zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt – angesichts der demographischen Entwicklung erwartet Linz in den nächsten Jahren einen „partiell steigenden Bedarf“ an Apothekern. Doch nicht nur Zahlen entscheiden, sondern Inhalte.
Für Professor Dr. Hartmut Derendorf, University of Florida, ist klar, wohin die pharmazeutische Reise gehen muss. Er sprach in Hamburg über patientenorientierte Versorgungsmodelle, die bereits in vielen Ländern Teil des Studiums seien. Analytik oder organische Synthese hält er für überflüssig, vielmehr würden Studierende in den Staaten bereits ab dem ersten Semester patientenorientiert arbeiten. Deutschland hat noch viel aufzuholen, hier stehen angehende Apotheker Tag für Tag im Labor und absolvieren ihr zweites Staatexamen, ohne großartig mit künftigen Zielgruppen in Kontakt gekommen zu sein. Mit ihrer praxisnahen Ausbildung haben US-Apotheker jenseits der Offizin auch in Kliniken ihren festen Platz gefunden. Sie begleiten Ärzte auf ihrer Visite, optimieren Pharmakotherapien und sind Partner auf Augenhöhe, die niemand mehr missen möchte. Wie Derendorf berichtet, kommt im UF Health Shands Hospital auf 100 Patienten etwa ein Krankenhausapotheker – in Deutschland versorgt ein Kollege im Schnitt mehr als 300 Patienten. Das systematische Medikationstherapiemanagement rechnet sich ökonomisch und wird deshalb von einigen US-amerikanischen Versicherungen bei Polypharmazie auch zwingend vorgeschrieben, inklusive Honorar.
Bei Hochschullehrern stoßen Vorschläge, die Approbationsordnung entsprechend zu überarbeiten, auf ein geteiltes Echo. Professor Dr. Bernd Clement, Vorsitzender des Verbands der Pharmazeutischen Hochschullehrer, wies in Hamburg auf mögliche Gefahren hin. Er war an der Approbationsordnung 2001 maßgeblich beteiligt und befürchtet, erneut die Bachelor-Master- beziehungsweise Fachhochschuldiskussion anzustoßen. Darüber hinaus liebäugeln andere Berufsgruppen schon seit Jahren mit pharmazeutischen Themen: Chemiker sind bei pharmazeutischen Herstellern in den Bereichen Drug Design, Wirkstoff-Screening, Synthese und Analytik gern gesehen. Aus den Ingenieurwissenschaften wiederum kommt Konkurrenz bei der pharmazeutischen Technologie. Um hier mithalten zu können, sollten laut Clement „Breite und Vielfalt“ des Berufsbildes auch zukünftig nicht aufgegeben werden. Insofern widerspricht er Derendorfs Vorschlag, das neue Berufsbild nach amerikanischem Vorbild stark patientenorientiert auszurichten. Vielmehr setzt Clement auf Apotheker, die sich für Offizin, Industrie oder Hochschule qualifizieren. Spezialisierungen sollten deshalb nach dem zweiten Staatsexamen beziehungsweise nach der Approbation erfolgen, beispielsweise in Form des Fachapothekers für Allgemeinpharmazie. Langsam wächst auch das Interesse, wie ein Modellprojekt der Apothekerkammer Westfalen-Lippe zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zeigt: Kürzlich wurden 50 AMTS-Ausbildungsapotheken und 84 Kollegen ausgezeichnet, die sich nach erfolgreicher Weiterbildung „AMTS-Manager“ nennen dürfen.
Doch zurück in die Gegenwart: Laut Bundesverband der Pharmaziestudierenden (BPhD) arbeiten drei von vier Pharmazeuten später in öffentlichen Apotheken. Pharmakologie und klinische Pharmazie, also Fächer, die genau auf den späteren Beruf abzielen, werden wenig vorteilhaft nur in den letzten Fachsemestern unterrichtet. Bleibt als Option, entsprechende Inhalte stärker über Grund- und Hauptstudium zu verteilen – oder die Regelstudienzeit zu verlängern. Zumindest unter Pharmaziestudierenden herrscht darüber Uneinigkeit. Bleibt als großes Thema die hoch gepriesene klinische Pharmazie: Wie Daniel Mädler, damals noch BPhD-Präsident, Ende März berichtet hat, existiert nur an neun von 22 pharmazeutischen Instituten eine entsprechende Hochschulprofessur. Weitere fünf Unis haben das Gebiet an Pharmakologen übertragen – ansonsten besteht dringender Nachholbedarf. Darüber hinaus rät der BPhD, Soft Skills verbindlich in akademische Lehrpläne aufzunehmen. Momentan sind PhiPs davon abhängig, in ihrer Praktikumsapotheke das entscheidende Rüstzeug mit auf den Weg zu bekommen.
Sollte es tatsächlich gelingen, wie von der ABDA gefordert eine patientenorientierte Approbationsordnung zu entwickeln, sind längst nicht alle Punkte vom Tisch. Zusätzlich müssen mit dem GKV-Spitzenverband Vergütungsmodelle für aufwändige Beratungsgespräche entwickelt werden. Auch fehlen bislang funktionsfähige Infrastrukturen, Stichwort e-Rezept oder ABDA-KBV-Modell.