Der Sommer 2018 war tropisch heiß – und hochansteckend. Hitze begünstigte die Verbreitung von Erregern. Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Infektionskrankheiten? Prognosen zeigen: Ärzte sollten nicht nur mit altbekannten Gefahren wie Borreliose oder FSME rechnen.
Ungewöhnlich viele Menschen infizieren sich dieses Jahr in Europa mit dem West-Nil-Virus (WNV): Mehr als 800 Fälle wurden bisher in der EU registriert. In Deutschland konnte der Erreger Ende August erstmals bei einem Vogel nachgewiesen werden. Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) fanden in einer Voliere einen toten Bartkauz, der sich mit dem West-Nil-Virus infiziert hatte. „Wir haben bislang nur den einen Befund in Halle und müssen jetzt versuchen, die Eintragspforten und -wege zu rekonstruieren“ sagte Martin Groschup, Leiter des Instituts für neue und neuartige Tierseuchenerreger am FLI, zur DPA. Bislang kam das Virus, das durch Stechmücken von einem Wirt zum nächsten übertragen wird, vor allem in Afrika, Amerika und in Süd- und Südosteuropa vor. Bei den seltenen menschlichen Fällen von West-Nil-Fieber in Deutschland handelte es sich immer um aus dem Ausland eingeschleppte Fälle. Unbestritten ist, dass die Verbreitung des Virus mit veränderten Klimabedingungen zusammenhängt. Zwei Drittel der hundert wichtigsten humanpathogenen und der hundert wichtigsten zoopathogenen Erreger reagieren nachweislich auf Temperaturänderungen, so das Ergebnis einer 2017 veröffentlichten Studie. Es wurde außerdem festgestellt, dass Infektionen, die über Insekten wie Mücken und Zecken übertragen werden, in besonderem Maße von den steigenden Temperaturen „profitieren“. Für Ärzte stellt sich die Frage: Welche Erreger und Krankheiten kommen bei einer zu erwartenden Klimaerwärmung von 0,13° C pro Jahrzehnt auf sie zu?
Zecken, meist ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) gemeint, haben sich in letzter Zeit explosionsartig vermehrt. „In diesem Jahr ist das Risiko insgesamt besonders hoch“, sagt Gerhard Dobler vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF). „Wir werden die höchste Zahl an Zecken in den letzten zehn Jahren haben“, sagt er. Mittlerweile tauchen die Blutsauger immer öfter in den nördlichen Bundesländern auf, wobei Süddeutschland das Hauptrisikogebiet bleibt. Zecken-Hochrisikogebiete (rot) bzw. Einzelfunde (gelb) © www.zecken.de, Datenbasts: RKI Zecken übertragen die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), eine virale Hirnhautentzündung, die tödlich enden kann. RKI-Epidemiologen meldeten einen rapiden Anstieg von 129 Fällen (2015) auf 348 (2016) und weiter auf 485 (2017). Die Lyme-Borreliose, eine bakterielle Infektion, kommt noch hinzu, ist jedoch nicht meldepflichtig. Bei rechtzeitiger Diagnose können Antibiotika gegeben werden. Mehr Zecken bedeuten auch mehr Erkrankungen. Dobler hat deshalb ein Prognosemodell entwickelt. Es berücksichtigt neben Temperaturwerten auch die Zahl an Bucheckern pro Fläche. Wildtiere ernähren sich von den Samen und dienen Zecken als Wirt. Mit diesen Parametern kam der Forscher auf 187 (2017) beziehungsweise 443 Zecken pro 100 Quadratmeter (2018). Seine Voraussagen haben sich erfüllt. Auffällig ist aber nicht nur die Entwicklung des Gemeinen Holzbocks, sondern auch das Auftreten von tropischen Zecken in deutschen Wäldern. Mikrobiologen der Universität Hohenheim fanden im Sommer überraschenderweise sieben Zecken der eingeschleppten Gattung Hyalomma. Eine trug Bakterien der Gattung Rickettsia in sich. Diese führen zum Fleckfieber, das vor allem mit Antibiotika behandelt wird. Ursprünglich stammt diese Zecke aus Südeuropa, Afrika und Asien. Nun muss geklärt werden, ob sie sich hierzulande schon etabliert hat.
Bei West-Nil-, Zika-, oder Dengue-Viren geben Forscher erstmal Entwarnung. Die Viren benötigen mehrwöchige Wärmeperioden, um sich in Stechmücken zu vermehren. „Diese Bedingungen von durchschnittlich 25 bis 27 Grad finden wir hier in Deutschland in der Regel nicht vor“, erklärt Prof. Egbert Tannich vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in einer Stellungnahme. Krankheitsausbrüche würden hierzulande folglich über niedrige Temperaturen und über eine geringe Vektorenanzahl kontrolliert. Der Jahrhundertsommer 2018 kann vermutlich nicht als Maß aller Dinge betrachtet werden. Kommen zur Wärme noch Vektoren hinzu, entwickelt sich das West-Nil-Fieber jedoch zur Gefahr. Betroffen sind laut Daten des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) aktuell klimatisch begünstigte Länder wie Italien (327 Erkrankungen), Griechenland (168), Ungarn (134), Rumänien (117), Frankreich (16) und Kroatien (25). Auch angrenzende Länder wie Serbien (262), Israel (49) und der Kosovo (3) sind betroffen. Im gesamten Gebiet bringt das ECDC 71 Todesfälle mit der Erkrankung in Verbindung, nämlich in Serbien (26 Tote), in Griechenland (18), in Italien (13), in Rumänien (12), Ungarn (1) und im Kosovo (1). Insgesamt meldeten die EU-Mitgliedsstaaten in 2018 bisher 798 Infektionsfälle. Die Zahl der WNV-Fälle ist im Vergleich zu den Vorjahren im gleichem Zeitraum nicht nur höher, die Infektionen treten auch zu einem früheren Zeitpunkt auf, so die ECDC.
Noch vor 150 Jahren kam es in Deutschland zu Malaria-Infektionen. Ist es bald wieder soweit? Höhere Temperaturen begünstigen die Entwicklung von Stechmücken und Plasmodien. Im „Infektionsepidemiologischen Jahrbuch“ nennt das Robert Koch-Institut in 2014 genau 1.007 Fälle. In den Folgejahren (2015: 1.063 Fälle, 2016: 970 Fälle) kam es aber zu keinem klar ersichtlichen Trend. Die Infektionen wurden zu uns importiert, alle Patienten hielten sich vorher in bekannten Risikogebieten auf. Bislang gibt es in der Literatur keine Hinweise auf Infektionen in Deutschland. Andere potenzielle Gefahren sollten allerdings im Auge behalten werden.
Fütterung von Stechmücken im Labor mit Blut © BNIT Es gibt nämlich eine Ausnahme zur Wärme-Vektoren-Regel: das Chikungunya-Virus. Mehrfach traten Erkrankungen im kühleren Frankreich auf. Deshalb untersuchten Virologen den Temperaturzusammenhang. Im Hochsicherheitslabor fütterten sie Aedes albopictus-Stechmücken (Asiatische Tigermücken) aus Deutschland und Italien mit Chikungunya-Virus-haltigem Blut. Anschließend kamen die Stechmücken zwei Wochen in Klimakammern bei 18, 21 oder 24° C. „In Mücken aus der deutschen Population konnte sich das Virus auch bei einer Temperatur von 18 Grad sehr gut vermehren und nach zwei Wochen haben wir in über 50 Prozent der Tiere infektiöse Viren im Speichel nachgewiesen“, berichtet Tannich. Die Gefahren für Deutschland bewertet er statistisch allerdings als „gering“: Tigermücken seien bisher nur lokal begrenzt zu finden; zudem müssten diese erst einen erkrankten Patienten stechen, um sich selbst zu infizieren. Franz Rudel von der Veterinärmedizinischen Universität Wien warnt jedoch, heimische Stechmücken könnten ebenfalls Vektorkompetenzen erwerben und damit Krankheiten übertragen.
Neben Mücken oder Zecken spielt Wasser eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von Erregern. Ende Juli warnte das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGuS) Mecklenburg-Vorpommern seine Badegäste. Die Ostsee hatte sich auf 19 bis 22° C aufgewärmt, und Binnenseen erreichten sogar 22 bis 25° C. Aufgrund der Wärme traten vermehrt Vibrionen auf, die man eher aus tropischen Gewässern kennt. Sie gelangen durch Wunden in unseren Köper und führen bei geschwächten Personen zu schweren Infektionen. Tatsächlich starb ein 70-jähriger Mann mit chronischen Vorerkrankungen an den Folgen. Auch Zerkarien, das sind Larven von Saugwürmern (Trichobilharzia), trüben Badefreuden. Je wärmer es wird, desto größer ist auch die Gefahr für das Auftreten von Zerkarien im Wasser. Es kommt zur Dermatitis, wenn sich die Tiere in die Haut bohren. Gegen den starken Juckreiz helfen Antihistaminika. Apotheker empfehlen, bei bekannter Gefahr die Haut vorbeugend mit einer wasserfesten niclosamidhaltigen Creme zu schützen.
Mediziner sollten die Verbreitung neuer Erreger immer im Fokus haben, um bei einem Ausbruch entsprechend reagieren zu können. Die unterschiedlichen Erreger veranschaulichen mehr als eindringlich, welche Folgen der Klimawandel haben kann. Fest steht: Steigen die Temperaturen in unseren Breiten, wird auch die Saison für die Insekten länger. Außerdem können sich die Erreger durch die höheren Außentemperaturen schneller vermehren. Klimaschutz-Maßnahmen bis zum Jahr 2022 dringend erforderlich, wenn das 1,5° C-Ziel mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit noch erreicht werden soll. Wird noch bis 2035 abgewartet, sinkt die Wahrscheinlichkeit auf 67 Prozent. Welche Krankheiten sich wo zukünftig verbreiten werden, hängt vor allem vom Verlauf der globalen Erderwärmung ab. Eine genaue Prognose kann folglich nicht gegeben werden.