Der Präsident der BÄK zweifelt in einem Interview die Sinnhaftigkeit des NCs als alleinigen Indikator für die Studienplatzvergabe an. Er fordert die umfassende Einführung von Assessment-Centern, auch, um dem Landarztmangel entgegenzuwirken. Ist das realistisch?
„Hätte ich mich nur ein Jahr später auf das Medizinstudium beworben, hätte ich keine Chance mehr auf einen Platz gehabt“, so Daniel, sehr erfolgreicher Absolvent des Hammerexamens im Frühjahrsturnus dieses Jahres. Kaum ein Studium in Deutschland ist so beliebt wie das Medizinstudium. Im Wintersemester 2012/13 bewarben sich durchschnittlich 4,8 Bewerber auf einen Studienplatz der Humanmedizin. Viele nehmen jahrelange Wartezeiten in Kauf, um doch noch den angestrebten Wunschberuf ergreifen zu können. Die Frage nach dem richtigen Auswahlverfahren stellt sich hier schon lange. Kann die Abiturnote wirklich etwas über den Studienerfolg und die späteren Merkmale und Qualitäten eines Arztes aussagen? Steckt in einem 1,0-Abiturienten wirklich ein besserer Arzt als in einem Kandidaten, der wegen seines 1,9-Abiturs leider keinen Studienplatz bekommen hat?
Da es für eine begrenzte Anzahl von Studienplätzen eine große Anzahl an Bewerben gibt, ist eine Auswahl nötig. Warum nicht einfach zufällig auswählen oder nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vorgehen? Ganz einfach: Weil bei der Auswahl der Medizinstudierenden eine Vielzahl von Interessen zusammen kommen, die berücksichtigt werden wollen. Die Ausbildung der Mediziner kostet den Deutschen Staat sehr viel Geld. Aus diesem Grund hat er ein großes Interesse, die Abbrecherquoten so niedrig wie möglich zu halten. Gleichzeitig wollen die Universitäten, dass ihre Studierenden mit möglichst guten Noten in den Staatsexamina abschließen, da das ihre Reputation, ihre Position in Uni-Rankings verbessert und damit letztendlich zu mehr Einnahmen und einer besseren Stellung im Konkurrenzkampf zwischen den Fakultäten führt. Als drittes Interessenfeld kommen heutzutage immer mehr die Ärztekammern ins Spiel. Sie versuchen eine bestimmte geographische Verteilung der Fachärzte zu erreichen und möchten möglichst viele Hausärzte, die später als Landarzt arbeiten, heranziehen. Den geringsten Einfluss auf das Verfahren haben aber die Patienten: Denn die wollen einfach möglichst gute und empathische Ärzte.
Gerade bei stetig steigenden NCs scheint sich aber immer deutlicher ein gewisser Effekt auf die Selektion des Studentenkollektivs zu zeigen. „Oft habe ich den Eindruck, vor allem weibliche Abiturienten mit Kunst- und Deutsch-Leistungskurs unter meinen Kommilitonen zu haben. Manchmal frage ich mich schon, ob das die besten Grundvoraussetzungen für ein naturwissenschaftlich fundiertes Studium sind“, erzählt Stefanie, die gerade vom Biochemiepraktikum kommt. „Aber auch wenn sie schon in der Schule einen naturwissenschaftlichen Hintergrund hatten, muss man doch ganz ehrlich sagen, dass vielen der Überfliegern bestimmte andere soziale Kompetenzen zu fehlen scheinen. Und da sind schon einige dabei, die ich mir nicht als meine späteren Ärzte vorstellen kann“, führt sie weiter aus.
Möchte man nun das ideale Auswahlverfahren konzipieren, werden natürlich zunächst die allgemeinen Prinzipien von Reliabilität, Validität und Objektivität verfolgt. Weiterhin ist der Kostenfaktor wichtig. Der Test darf nicht zu teuer sein. Und auch eine gewisse soziale Gerechtigkeit muss mit einbezogen werden. Das heißt bei Partnerschaft, Elternschaft oder Pflegeaufgaben kann unter Umständen eine Bevorzugung hinsichtlich des Studienortes ermöglicht werden. Nimmt man nun alle diese Faktoren in Betracht, sind eine Vielzahl von Auswahlverfahren denkbar: Numerus Clausus, Assessment-Center, Medizinertests, Motivationsschreiben, Auswahlgespräche, Landarztquote und viele mehr. Alle diese Optionen lassen sich auch miteinander kombinieren. So ist zum Beispiel eine Kombination aus Numerus Clausus und einem Bonussystem, bei welchem man Punkte für eine vorangegangene Ausbildung im medizinischen Bereich erhält, durchaus üblich.
Das Problem besteht nun darin, dass fast alle genannten Möglichkeiten bisher noch jeglicher wissenschaftlicher Evidenz entbehren. Niemand weiß wirklich genau, welches Verfahren das Beste und Aussagekräftigste bezüglich der gewünschten Faktoren ist. Einzig beim Numerus Clausus ist ein Zusammenhang zwischen Abiturnote und Studienerfolg belegt. Darüber hinaus gibt es auch Hinweise darauf, dass eine Kombination aus Abiturnote und Auswahlgesprächen zielführend sein könnte. Auch zeigen die Ergebnisse bei Medizinertests einen statistischen Zusammenhang mit dem späteren Studienerfolg. Allerdings ist fraglich, weshalb diese teuren Verfahren nötig sind, wenn die Aussage schon anhand des Numerus Clausus getroffen werden könnte.
Montgomerys Forderung nach Assessment-Centern klingt zunächst nachvollziehbar, will er doch möglichst viele Medizinstudenten gewinnen, die sich später auch in ländlichen Regionen niederlassen wollen. Der große Nachteil dieser Art von Auswahlverfahren ist aber sein großer Aufwand, die damit verbundenen hohen Kosten und das völlige Fehlen wissenschaftlicher Validität. Sind Assessment-Center wirklich der richtige Weg, um mehr Mediziner aufs Land zu bekommen? Diese Frage vermag zur Zeit niemand zu beantworten und es bleibt dahin gestellt, ob sich die finanzielle Investition in ein solches Verfahren lohnen würde.
Eine weitere Idee aus den Ärztekammern ist die bereits zuvor erwähnte sogenannte „Landarztquote“. Sie stellt ein Vergabeverfahren von Studienplätzen an Abiturienten dar, die sich zur späteren Tätigkeit in ländlichen Regionen verpflichten. Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. (bvmd) sieht das skeptisch. Sie glaubt, dass von Bewerbern zum Zeitpunkt Ihrer Bewerbung nicht erwartet werden könne, dass diese abschätzen könnten, welcher Richtung sie sich nach dem Studium zuwenden möchten. Sind Medizinstudierende vielleicht gar nicht die richtigen Adressaten für diese Bemühungen? Sollten nicht vielmehr Fachärzten oder Ärzten in fortgeschrittener Weiterbildung Anreize für die Niederlassung auf dem Lande geboten werden?
Die Diskussion zur Thematik wird sich weiter fortsetzen und voraussichtlich auch so bald kein Ende finden. Egal, welche Vorschläge gemacht werden, solange es keine neuen Erkenntnisse seitens der Lehrforschung gibt, wird sich am Ende die Auswahl nach Abiturnote auf Grund ihrer preiswerten Durchführbarkeit und der bestätigten Validität immer wieder als die praktikabelste Lösung herausstellen. Ihre Aussage über den späteren Studienerfolg scheint gewiss, aber ob NC und auch die Note im Hammerexamen wirklich ein ausreichender Prädiktor für die Auswahl eines „guten“ Arztes sind, wird wohl auch in nächster Zeit unbeantwortet bleiben. Der Numerus Clausus ist zwar wahrlich keine schöne Lösung, es gibt zurzeit aber auch keine bessere.