Tumoren des zentralen Nervensystems stellen Ärzte immer noch vor große Herausforderungen. Dabei helfen molekulare Marker, die richtige Therapieentscheidung zu treffen. Besonders schlecht sind die Prognosen bei hoch malignen Glioblastomen. Doch es gibt Hoffnung: Aus zahlreichen Labors kommen neue Strategien.
Rund 30 bis 50 Prozent aller Gehirntumoren sind Gliome, wobei deren Zellen histologisch oft Astrozyten ähneln. Hinsichtlich der Malignität ist die WHO-Klassifizierung hilfreich, einige Beispiele: Es gibt pilozytische Astrozytome (WHO-Grad I), diffuse Astrozytome (WHO-Grad II), anaplastische Astrozytome (WHO-Grad III) beziehungsweise Glioblastome (WHO-Grad IV). Daneben sind auch Ependymome oder Oligodendrogliome (je nach Zelldifferenzierung WHO-Grad II oder III) bekannt. Die Behandlungsstrategie orientiert sich in erster Linie an der Malignität.
Neurochirurgen aus Norwegen haben sich mit der Frage befasst, von welcher Behandlungsstrategie Patienten mit niedrig malignen Gliomen besonders profitieren. In der Praxis scheiden sich die Geister: Abwarten unter engmaschiger Kontrolle oder schnellstmögliche Resektion, falls gefahrlos möglich? Jetzt verglichen Forscher Patientendaten aus zwei Behandlungszentren, die entweder nach einer Biopsie die weitere Entwicklung beobachteten (66 Patienten) oder so früh wie möglich versuchten, Tumorgewebe zu entfernen (87 Patienten). Nach rund sieben Jahren lebten in der OP-Gruppe signifikant mehr Patienten als unter „watchful waiting“. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei 74 versus 60 Prozent.
Bei Gliomen höherer Malignität stellen sich weitere Fragen: Bestrahlung, beim Rezidiv dann zur Chemotherapie greifen – oder lieber in umgekehrter Reihenfolge? Zwölfjahresdaten der EORTC-26951- sowie der RTOG-9402-Studie bringen jetzt neue Erkenntnisse: Wissenschaftler empfehlen eine kombinierte Radiochemotherapie. Spätestens nach fünf bis sechs Jahren zeigen sich Effekte hinsichtlich der Überlebensraten – vor allem bei Patienten mit der Kodeletion 1p / 19q. Die Anomalie tritt schätzungsweise bei 90 Prozent aller Grad-II- und 50 Prozent aller Grad-III-Oligodendrogliome auf. Hier lag die mediane Überlebenszeit während eines 18-jährigen Follow-ups bei 14,7 Jahren (Radiochemotherapie) versus 7,3 Jahren (initiale Bestrahlung).
Bei Glioblastomen blieben bis dato kaum andere Optionen als (Teil-)Resektion und Radiochemotherapie. Hinsichtlich der Wahl zytotoxischer Arzneistoffe ist entscheidend, ob das Enzym O6-Methylguanin-DNA-Methyltransferase (MGMT) zur Hypermethylierung von Promotoren führt. Damit wird das MGMT-Gen ausgebremst, und DNA-Schäden lassen sich schlechter reparieren – gut für zytotoxische Arzneistoffe. Onkologen der Uni Heidelberg nahmen 373 Patienten in eine Studie auf. Als Behandlung erhielten sie randomisiert das alkylierende Zytostatikum Temozolomid oder Bestrahlungen. Wurde der MGMT-Status betrachtet, zeigten sich deutliche Unterschiede. Die MGMT-Promotor-Methylierung war mit einem längeren Gesamtüberleben verbunden, nämlich 11,9 versus 8,2 Monate. Entsprechende Patienten profitierten hinsichtlich ihres ereignisfreien Überlebens von Temozolomid (8,4 versus 4,6 Monate unter Bestrahlung). Ohne MGMT-Methylierung fiel das ereignisfreie Überleben mit 3,3 Monaten (Zytostatika) im Vergleich zu 4,6 Monaten (Radiatio) deutlich geringer aus. Damit sei die MGMT-Methylierung ein möglicher Biomarker, um therapeutische Entscheidungen zu treffen, welche Patienten von der Chemotherapie profitieren, schreiben die Autoren. Momentan gelten Alter und Allgemeinbefinden häufig als Kriterien, wie behandelt wird. Heilen lassen sich Glioblastome aber nicht.
Forscher versuchen deshalb, neue Zielstrukturen zu identifizieren und – darauf aufbauend – Wirkstoffe zu entwickeln. Ein aussichtsreicher Kandidat ist der Fas-Rezeptor, auch als CD95 (Cluster of differentiation 95) bekannt geworden. Dieser führt nach Bindung von Liganden normalerweise zur Apoptose – nur nicht bei Glioblastomen. Diese Tumoren erweisen sich als apoptoseresistent. Wissenschaftler fanden den zugehörigen Liganden CD95L vor allem dort, wo der Tumor in gesundes Hirngewebe einwächst. Ihr Fazit: Eine Aktivierung von CD95 führt letztlich zur Progression. Während Molekularbiologen früher daran arbeiteten, den vermeintlichen Todesrezeptor zu aktivieren, versuchen sie heute genau das Gegenteil, etwa mit APG101. Dieses humane Fusionsprotein bindet an CD95-Liganden und stoppt spezifische Signalwege im Tumor. Bei einer randomisierten, klinischen Phase-II-Studie mit 83 Patienten, die an fortgeschrittenen Glioblastomen erkrankt waren, erwies sich der Wirkstoff als vielversprechend. Primärer Endpunkt war, die Zahl von Patienten mit progressionsfreiem Überleben nach sechs Monaten um mehr als 100 Prozent zu steigern. Wie eine Datenanalyse zeigte, erreichten in der Kombinationsgruppe APG101 plus Radiatio 20,7 Prozent das Ziel, während es unter Bestrahlung allein nur 3,8 Prozent waren. Das progressionsfreie Überleben lag bei 19,7 versus 10,8 Wochen.
Weitere Arbeiten setzen auf ein bekanntes Prinzip: Um zu wachsen, benötigen Tumoren eigene Blutgefäße. Als wichtiges Signalmolekül haben Wissenschaftler schon vor Jahren den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) identifiziert. Resultate einer kürzlich veröffentlichten Phase-III-Studie zeigen, dass Patienten vom humanisierten, monoklonalen Antikörper Bevacizumab auch bei Glioblastomen profitieren. Zusätzlich erhielten sie Bestrahlungen sowie Temozolomid. Im Vergleich zur Gruppe mit Chemo- und Strahlentherapie allein verringerte sich das Risiko einer Progression um 36 Prozent, während sich das Gesamtüberleben nicht signifikant verbesserte. Endgültige Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr veröffentlicht werden. http://www.youtube.com/watch?v=i6g7XTBgy0Q
Seit einigen Jahren arbeiten Forscher zudem mit onkolytischen Viren. In Tumorgewebe eingebracht, führen sie beispielsweise zu einer starken Immunantwort, exprimieren zytotoxische Proteine oder aktivieren Tumorsuppressorgene. Bei Glioblastomen ist das Parvovirus H-1 besonders interessant, es löst bei Menschen keine Krankheitssymptome aus. Wurden Ratten infiziert, denen Forscher ein Glioblastom implantiert hatten, starben nur Tumorzellen ab, während gesundes Gehirngewebe intakt blieb. In vielen Fällen bildete sich die Geschwulst sogar vollständig zurück. Da Parvoviren ihr Erbgut nicht in das Genom von Säugetieren einbauen, besteht auch keine Gefahr, ungewollt wachstumsfördernde Gene zu aktivieren. Wissenschaftler untersuchen jetzt mit einer klinische Studie der Phase I/IIa Sicherheitsaspekte bei Patienten mit Glioblastom-Rezidiven, später folgen Untersuchungen zur Wirksamkeit. Ende 2011 bekamen erste Studienteilnehmer die virale Wunderwaffe verabreicht. Denkbar sind entweder systemische Gaben oder Applikationen direkt in das Tumorgewebe. Nach der Resektion bringen Neurochirurgen Parvoviren auch in die Kavität ein. Bis eine Zulassung erfolgt, werden aber noch Jahre vergehen.