Einige Labore angesehener Forschungsinstitute haben mit bedrohlichen Vogelgrippeviren experimentiert und sie damit noch gefährlicher gemacht. Sollen Versuche mit solchen „Biowaffen“ erlaubt sein und veröffentlicht werden? Damit beschäftigte sich kürzlich auch der Deutsche Ethikrat.
„Das sind wahrscheinlich die gefährlichsten Viren, die wir produzieren können“ sagte Ron Fouchier vom Erasmus Medical Center in Rotterdam auf einer Pressekonferenz im November 2011. Sein Kollege Paul Keim von der nationalen Biosicherheitsbehörde der USA (NSABB) ergänzte: „Ich kann mir keinen anderen pathogenen Organismus vorstellen, der mir so unheimlich wie dieser ist.“ Die beiden Wissenschaftler sprachen von einem neuen Influenza-Virus, das im Labor entstanden war. Eine rekombinantes Vogelgrippevirus, das nun die Eigenschaft besaß, nicht nur von Huhn zu Huhn zu springen, sondern auch von Säugetier zu Säugetier. Die Versuchstiere in jenem holländischen Labor waren in diesem Fall Frettchen, ein gern benutzter Modell-Organismus für die Influenzaforschung - wegen seiner Ähnlichkeit zum Menschen. Die entsprechende Veröffentlichung in „Science“ erfolgte - ebenso wie die ganz ähnlichen Arbeiten einer japanischen Gruppe in „Nature“ - erst ein gutes halbes Jahr später.
Erst vor wenigen Wochen konnten Wissenschaftler in „Science“ nachlesen, auf welche Weise ein Zwitter zwischen „Schweinegrippe (H1N1)“- und den Vogelgrippe-Viren vom Typ H5N1 Meerschweinchen auf dem Luftweg anstecken kann. Nur ganz wenige Veränderungen reichen demnach aus, um die Vorliebe des H5N1-Virus vom Geflügel zum Meerschweinchen zu verändern. „Wenn diese Säuger-übertragbaren Viren auf natürliche Weise entstehen, dürfte eine Pandemie sehr wahrscheinlich sein“, so Hualan Chen, Leiter der Studie an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.
Sollten Wissenschaftler im Labor solch gefährliche Organismen produzieren oder lieber die Hände davon lassen? Diese Frage beschäftigte nicht nur amerikanische Sicherheitsbehörden oder Herausgeber wissenschaftlicher Fachzeitschriften, sondern inzwischen auch die Regierung hierzulande. Der Auftrag zur öffentlichen Diskussion über dieses Thema ging an den deutschen Ethikrat, der sich im Ende April mit dem Thema „Biosicherheit - Freiheit und Verantwortung in der Wissenschaft“ beschäftigte und Stellungnahmen einsammelte, nicht nur von Naturwissenschaftlern, sondern auch von Rechtswissenschaftler, Ethikern und Sicherheitsberatern der Politik. Der Virologe Hans Dieter Klenk von der Philipps Universität in Marburg: „Dass das Virus (H5N1) bisher nicht zu einer Pandemie führte, beruht in erster Linie darauf, dass es im Gegensatz zu humanen Influenzaviren nicht auf dem Luftweg von Mensch zu Mensch übertragen wird. Von zentraler Bedeutung für die Influenzavirusforschung der letzten Jahre war deswegen die Frage, ob und in welcher Weise H5N1-Viren diese Eigenschaft erwerben können.“
Schon im September 2011 kursierten in Virologenkreisen Berichte über Versuche an Frettchen in den Niederlanden. Ein eingereichtes Manuskript würde inzwischen von Sicherheitsbehörden überprüft. Nach einer vorläufigen Information für die Presse und Forderungen, einen Bauplan für ein vielleicht tödliches Agens geheim zu halten, beschloss die Forschergemeinde ein Moratorium. Niemand - zumindest nicht jene Labore, die mit öffentlichen Mitteln arbeiteten - sollte zunächst weiter mit diesen gefährlichen Viren experimentieren. Zuvor hatten WHO, NIH (National Institute of Health, USA), und die Royal Society in London über die Situation einer „akademischen Biowaffenproduktion“ beraten. Während sich die amerikanische Biosicherheitsbehörde gegen eine Veröffentlichung experimenteller Details aussprach, setzte sich dann aber doch die WHO durch und die vollständigen Berichte erschienen im Juni 2012 in den Fachzeitschriften. Ein halbes Jahr später, Anfang des Jahres 2013, verkündete eine Wissenschaftler-Versammlung auch das Ende des Moratoriums. Ein Beschluss, den nicht alle aus der Forschergemeinde begrüßten: Simon Wain-Hobson von der Stiftung für Vakzinforschung in Washington stellte die Frage, ob Menschen ein gefährliches Virus noch gefährlicher machen sollten. Eine ausreichende Diskussion über die Konsequenzen eines versehentlichen oder mutwilligen Laborausbruchs der Grippeviren fehle. Wären akademische Forschungslabors gegen Schadensersatzforderungen nach einer Epidemie (oder gar einer Pandemie) versichert? In der FAZ kam Peter Sandman zu Wort, amerikanischer Experte für Risikokommunikation. Er kritisierte wie Wain-Hobson die fehlende Diskussion mit externen Gruppen, die nicht aus der naturwissenschaftlichen Forschung kämen. Möglicherweise sei das Risiko eines Laborunfalls weit größer als öffentlich bekannt. Viele „Beinahe-Katastrophen“ würden geheim gehalten.
Dagegen verteidigte Anthony Fauci vom Institute of Allergy and Infectious Diseases der USA das Ende des Forschungs-Banns. Die entsprechenden Labore wollten keine „Geheim-Forschung“ betreiben. Ohne Forschungsverbot würden die Ergebnisse - auch potentiell gefährliche - zumindest im akademischen Bereich - der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dem schloss sich auch die Deutsche Gesellschaft für Virologie an. Der Nutzen der Experimente sei dabei größer als die möglichen Risiken - solange entsprechende Sicherheitsvorschriften eingehalten würden. So ist jetzt wohl leichter möglich, schon im Voraus Impfstoffe gegen die „ganz gefährlichen“ Varianten der Vogelgrippe zu entwickeln. Ausserdem wisse man jetzt viel besser, wonach man suchen müsse, wenn eine neue Pandemie drohe. Die muss nicht unbedingt durch Missbrauch oder Fehler im Labor entstehen. Colin Russell von der englischen University of Cambridge beschrieb in „Science“ vor etwa einem Jahr, dass zwei der notwendigen fünf Aminsäureaustausche für eine Mensch-Mensch-Übertragung häufig in Vogelgrippe-Wildtyp-Viren natürlicherweise vorkommen. Die restlichen drei Veränderungen könnten sich in einem einzigen Säugerorganismus abspielen. „eine potentiell ernsthafte Bedrohung“, so der Autor.
In Deutschland hat die Diskussion dazu geführt, dass Experimente mit gefährlichen Influenzaviren nur mehr in Labors mit der höchsten Sicherheitsstufe erlaubt seien. Im Ethikrat sprach sich der Virologe Klenk gegen Restriktionen bei Forschung und Veröffentlichung aus. Nur aufgrund einer Publikation könne man Forschungsergebnisse überprüfen. Auch Staatsrechtler Thomas Würtenberger von der Universität Freiburg plädierte für die Forschungsfreiheit als Grundlage medizinischen Fortschritts, die nur ein sehr seltenen Ausnahmefällen eingeschränkt werden solle. Ob jedoch durch eine reine Selbstregulierung der Wissenschaft durch Wissenschaftler ein Ziel „Freiheit in Verantwortung“ erreicht werde, stellte Philosoph Torsten Wilholt in Frage. Schließlich stellte Peer Stähler von der International Association Synthetic Biology (IASB) Kontrollmechanismen der Hersteller synthetischer DNA vor, um Missbrauch zu verhindern. Bei Bestellungen von Sequenzen aus gefährlichen Organismen werde der Auftraggeber genau geprüft. Im Zweifel könne die Synthesefirma die Sicherheitsbehörden informieren. Zu diesen Leitlinien haben sich die weltweit größten Hersteller synthetischer DNA verpflichtet. Ob sich auch kleinere Firmen daran halten, ist jedoch nicht bekannt und schwer überprüfbar. Bisher habe es, so Stähler, einen solchen Alarm jedoch noch nicht gegeben.
Auch jenseits der Influenza-Gefahr stellen sich Fragen für sogenannte „Gain-of-Function“-Experimente mit gefährlichen Mikroorganismen. An der Universität Würzburg arbeitet Jürgen Schneider-Schaulies und sein Team am Erreger der Hundestaupe, dem „Canine Distemper Virus“. Der Verwandte des humanen Masernvirus kann mit nur wenigen Veränderungen in seinem Genom zumindest in der Kulturschale auch in menschliche Zelllinien eindringen und sich dort vermehren. Hunde, die eine (humane) Masernimpfung erhalten, sind gegen Staupe geschützt. Trotz des breiten Wirtsspektrums - das Virus befällt auch Waschbären, Löwen und Affen - ist bisher keine Fall von Staupe im Menschen bekannt geworden. Möglicherweise, so mutmaßen die Würzburger Forscher, könnte das aber auch an der hohen Impfrate für Masern liegen. Würde es gelingen, die Masern wirklich wie angestrebt in den nächsten Jahren auszurotten, könnte der Impfschutz bald danach verloren gehen. Das Risiko einer Infektion mit Staupe wäre wohl um ein Vielfaches höher.
Bei einem Blick auf die Webseiten der WHO über aktuelle Ausbrüche schwerer Infektionskrankheiten fallen die Infektionen mit dem SARS-ähnlichen Coronavirus im mittleren Osten und die H7N9-Epidemie in China auf. Bei beiden Viren sind die Übertragungswege auf oder über den Menschen noch nicht klar. Sollte man Forschung verbieten, die bedrohliche Mikroorganismen auf „größtmögliche“ Gefahren hin untersucht? Oder sollten die Ergebnisse einer solchen Forschung nur für einen ausgewählten Zirkel zugänglich gemacht werden? Die Diskussion um die Gefahren, aber auch den Nutzen solcher Experimente darf nicht im Kreis der Wissenschaftler bleiben, die ein Interesse an barrierefreier Forschung haben und mögliche Sicherheitsrisiken bei ungenügender Kontrolle unter Umständen verharmlosen. Jedoch muss auch der Nutzen dieser Studien in einem angemessenen Verhältnis zum Sicherheitsaufwand stehen. Jeffrey Taubenberger, der das Erbgut der Spanischen Grippe entschlüsselte, meint zu den umstrittenen Experimenten von Ron Fouchier: „Das Wissen um die Pathogenität und Übertragbarkeit der Viren in Frettchen hilft nicht, das Verhalten der Erreger im Menschen vorauszusagen.“ Anthony Fauci und Francis Collins von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA geben zu: „Die öffentliche Diskussion hat erhebliche Lücken in unserem Wissen über Influenza schmerzhaft deutlich gemacht.“ Nur wer Schmerzen fühlt, reagiert aber auch sensibel auf das, was in und mit ihm passiert. Vielleicht ist dieses Gefühl viel wichtiger als Schnellschüsse mit Verboten. Ein transparenter und zugleich möglichst sicherer Umgang mit einem potentiellen Biowaffen-Arsenal sollte der Leitgedanke bei der Forschung mit pathogenen Mikroorganismen sein.