Medizinstudenten sind eine interessante Zielgruppe für Finanz- und Versicherungsdienstleister. Schon zu Studienbeginn kontaktieren sie uns. Was steckt hinter ihrer Freundlichkeit und all den kleinen Geschenken? Vom Fluch und Segen, einer umschwärmten Zielgruppe anzugehören.
Eigentlich wird man im Studienverlauf ganz langsam auf den Lauf der Dinge vorbereitet. Immer mal wieder - bei den verschiedensten Veranstaltungen - treten sie als Veranstalter oder Sponsoren in Erscheinung, fordern zur Teilnahme an Gewinnspielen auf, verschenken kleine Aufmerksamkeiten und sind auch sonst jederzeit „freundlich bemüht“. Oft kennt man die Ansprechpartner von Auslandsabenden, Informationsveranstaltungen der Fachschaften oder hat sie bereits in der Pause gesponserter Lehrveranstaltungen kennengelernt. Spätestens, wenn wir einen Auslandsaufenthalt planen und die Kliniken und Universitäten im jeweiligen Gastland Sicherheiten in Form von Versicherungen über bestimmte Summen verlangen, kommen wir um die Kontaktaufnahme mit einem Finanz- und Versicherungsdienstleister nicht herum.
Die gute Bekanntschaft zahlt sich auch durchaus aus. So werden, gerne auch über die großen medizinischen Berufsverbände vermittelt, überaus günstige Kranken- und Haftpflichtversicherungen für den Auslandsaufenthalt abgeschlossen und wir fühlen uns, trotz bezahlbarer Versicherungsbeiträge, mehr als sicher in der Fremde. Der Versicherungsmakler zeigt uns bei Gelegenheit auch noch andere Produkte, Leistungen und Programme - speziell für Medizinstudenten selbstredend - und legt uns nahe, dass man sich doch bei jeglichen weiteren Fragen und Problemen bezüglich Versicherung und Finanzprodukten jederzeit vertrauensvoll an ihn wenden könne. In der Zwischenzeit haben wir im Verlauf unseres sechsjährigen Studiums an zahlreichen Gewinnspielen teilgenommen, bei denen man Stethoskope oder mp3-Player gewinnen konnte oder haben unsere Adressen hinterlassen, um die aktuellen Pharma-Kitteltaschenbücher geschenkt zu bekommen. Zu diesem Zeitpunkt haben die Dienstleister unsere Kontaktdaten also schon mehrfach in ihren Datenbanken gespeichert und warten nur darauf, dass wir endlich Examen machen.
Denn dann geht es los im Kampf um den Abschluss und das Gewinnen neuer, potentiell lebenslanger Kunden. Nach dem Studium, wenn wir aus den Familienversicherungen unserer Eltern herausfallen und dem risikobehafteten Berufsleben im medzinischen Sektor gegenüberstehen, gibt es kein Halten mehr. Das Bestreiten des Arztberufes ohne ausreichende Haftpflicht-, Rechtsschutz- und Berufsunfähigkeitsversicherung ist heutzutage unvorstellbar. Auch kommen wir unter Umständen auf Grund unseres Verdienst das erste Mal in Verlegenheit, eine private Krankenversicherung abzuschließen. Außerdem muss sich natürlich auch über die Altersvorsorge Gedanken gemacht werden, sobald eigenes Geld verdient wird. Ein Bankkonto bei einem standeszugehörigen Finanzinstitut gehört ja auch irgendwie fast zum guten Ton. Darüber hinaus zeigt die Erfahrung, dass, nach Abschluss eines Produktes bei einem bestimmten Versicherungs- oder Finanzberater, dieser oft ein Leben lang oder zumindest über lange Zeit nicht gewechselt wird. Im Laufe der Berufslebens sind wir ja auch immer wieder auf verschiedene Dienstleistungen angewiesen. Lassen wir uns irgendwann nieder, sind ganz andere Versicherungen und meist auch Kredite nötig, bekommen wir Kinder, wollen wir unsere Altersvorsorge anpassen und so weiter. Der Zeitpunkt nach Abschluss des Studium stellt damit in vielerlei Hinsicht die Weichen für das restliche Leben, sowohl für uns, als auch für unseren Berater.
Besonders ersichtlich wird das, wenn man versteht, dass die Makler bei der Vermittlung der Produkte an der Gesamtabschlussumme beteiligt werden. In welcher Höhe, hängt von dem jeweiligen Produkt ab. Die genauen Zahlen werden nicht veröffentlich, aber es wird davon ausgegangen, dass bei Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen die Quoten im Durchschnitt bei 3-4 % liegen. Diese Quote wird auf die Gesamtsumme angewendet, die wir über die Jahre an Beiträgen an die Versicherung zahlen werden. Dass der Gewinn der Makler so bei einem Abschluss im vierstelligen Euro-Bereich liegt, kann sich jeder selbst ausrechnen. Richtig lukrativ wird es dann aber bei dem Abschluss privater Krankenversicherungen, weshalb hier der Gesetzgeber sogar eine Deckelung bei einer Prämie von neun Monatsbeiträgen für die Makler eingeführt hat. Durchschnittlich werden etwa sieben Monatsbeiträge an die Makler gezahlt, was immer noch ziemlich viel Geld ist, geht man davon aus, dass ein Monatsbeitrag im hohen dreistelligen Euro-Bereich liegt. Bedenklich ist auch die Tatsache, dass die Quoten zwischen den unterschiedlichen Versicherungsanbietern deutlich schwanken und sich daraus verschiedene Implikationen ergeben. Man kann davon ausgehen, dass eine Beratung nicht unbedingt nur im Sinne des Kunden und seines besonderen Risikoprofils erfolgt, sondern dass vielmehr die Höhe der Abschlussprämie für den Makler eine nicht untergeordnete Rolle spielt. Andererseits kommt man dadurch, dass der Versicherungsabschluss so lukrativ ist, als Kunde aber auch in eine gute Verhandlungsposition: “Ich habe mich frühzeitig um meine Versicherungen gekümmert und dann der Maklerin ganz dreist gesagt: Wenn ich bei dir abschließe, möchte ich ein bestimmtes Buch zur Examensvorbereitung von dir bekommen. Hat funktioniert!”, erzählt Matthias, Absolvent im Frühjahrsturnus 2013 des Hammerexamens.
Die Examenstage sind große Kampftage für die Agenturen. Nachdem die Prüflinge in der Nacht vor dem großen Tag kaum ein Auge zu bekommen haben, werden sie am Morgen vor dem Prüfungsort schon freudig von den Vertretern mehrerer Finanz- und Versicherungsdienstleister begrüßt. Es wird ausgiebig Glück gewünscht, gut zugeredet und Snack-Beutel und Stressbälle warten auf neue Besitzer. Aufgeregt und voll bepackt mit Geschenken dürfen die Prüflinge dann endlich das Hammerexamen bestreiten. Dieses Szenario wird sich an allen drei Tagen des schriftlichen Teils der Ärztlichen Prüfung wiederholen, bis dann am Nachmittag des dritten Tages mit Sekt, kühlen Getränken und, wer hätte es anders erwartet, einem Gewinnspiel aufgewartet wird. Wer jetzt denkt, er hätte es schon hinter sich, liegt falsch. Jetzt geht es eigentlich erst richtig los. Das jahrelange Sammeln von Anschriften, Telefonnummern und eMail-Adressen hat sich nämlich ausgezahlt. Kaum hat man die Prüfung physisch und psychisch verkraftet, klingelt pausenlos das Telefon. Die einem mittlerweile schon gut bekannten Berater laden zur Anfertigung kostenloser Bewerbungsfotos oder zu unverbindlichen Beratungsgesprächen in ihre Büros. Die vormals erwähnten Gewinnspielteilnahmen holen einen ein, denn jetzt steht das Telefon gar nicht mehr still.
Und natürlich geht die Rechnung auf. Irgendwann lassen wir uns breitschlagen und gehen hin. Hinzu kommt, dass wir in den letzten Monaten pausenlos über diverse Abschlüsse all unserer Kommilitonen unterrichtet wurden. Und wenn alle das machen, sollte es ja seine Richtigkeit haben. Desto älter man wird, desto schwieriger soll es ja auch sein, zu guten Konditionen aufgenommen zu werden. Fatal ist nur, dass man in der Lernzeit für die Beschäftigung mit dem praktisch unüberschaubaren Markt bei Leibe keinen Kopf hatte und in der freien Zeit bis zum Arbeitsbeginn kann man sich auch besseres vorstellen. „Das große Problem ist, dass man überhaupt nicht weiß, welche Versicherungen und Finanzprodukte wirklich nötig sind. Gerade als Laie ist es extrem schwierig einzuschätzen, wie sinnvoll das jeweilige Angebot wirklich ist, geschweige denn, ob die Versicherung im Schadensfall auch wirklich zahlen wird“, sagt Daniel, der kurz vor dem Antritt seiner ersten Assistenzarztstelle steht. „Der Markt ist extrem unübersichtlich und selbst bei den einzelnen Versicherungen gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten und Zusatzoptionen. Das führt soweit, dass man teilweise den Eindruck gewinnt, dass die Makler selbst den Überblick verloren haben. In dieser Situation würde man sich gerne auf einen Fachmann verlassen können.“ Letztendlich hat Daniel versucht, unabhängige Berater zu finden, war z. B. bei der Verbraucherzentrale vorstellig. „Wenn man sich selbst nicht auskennt, hilft aber im Endeffekt nur noch das Vertrauen in einen Berater weiter. Auch wenn das in dieser Branche ziemlich naiv erscheint.“ Er habe dann aus dem Bauch heraus entschieden und die einzige Frage, die sich ihm am Ende stellte, war, ob er sich das mit dem Medizinstudium nicht vielleicht anders hätte überlegen sollen. Vielleicht wäre er ganz einfach besser Versicherungsmakler geworden.