Operationen für größere Brüste und flachen Bauch, aber auch kleinere Schamlippen haben Konjunktur. Die Branche der kosmetischen Chirurgie boomt und nährt sich an betuchten Klienten. Aber hat das noch etwas mit dem Ideal des Arztes als Heiler für Kranke zu tun?
Immer mehr Deutsche, die zwar nicht prominent sind, aber ein relativ gut gefülltes Portemonnaie besitzen, legen sich unter das Messer. Die Bundesrepublik liegt bei den Schönheits-Operationen international auf Rang acht hinter den Spitzenreitern USA, Brasilien und China. Die Schätzungen für die Arbeit plastischer Chirurgen und ihrer Kollegen liegen jedoch gegenwärtig immerhin zwischen 300.000 und rund einer Million Eingriffen an gesunden Menschen, die ihren Körper als nicht makellos empfinden und dagegen etwas tun möchten. Am häufigsten wird dabei der Busen verändert, Lider gestrafft und Fett abgesaugt. Zum Teil erfüllen die Ärzte aber auch Patientenwünsche, die etwas sonderbar erscheinen. Schon 2003 berichtete „Vogue“ über die Nachfrage von New Yorker Frauen, ihre Fußform passend zu modischen Stilettos und Flipflops modellieren zu lassen. „Schnibbeln macht happy“ titelte DocCheck vor einigen Monaten über Motive, aber auch die Zufriedenheit von Klienten der Körperform-Optimierer.
Einen besonders intensiven Aufschwung erlebt die Chirurgie am intimsten Teil des weiblichen Körpers, den Schamlippen. 5440 Operationen nahmen die Chirurgen der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) im Jahr 2011 vor. Umfragen unter den Patientinnen zeigen: nur etwa die Hälfte der Frauen klagte dabei über Beschwerden beim Fahrradfahren oder Intimverkehr. Die andere Hälfte war schlichtweg mit dem Aussehen nicht zufrieden und ließ sich deswegen die Schamlippen verkleinern. Eine weitere Untersuchung unter 33 gesunden Frauen mit dem Entschluss zur Korrektur beschrieb die äußere Anatomie ihrer Geschlechtsorgane bei fast allen Betroffenen als optisch im Normbereich. Auch nach der entsprechenden Aufklärung durch den Arzt blieb knapp die Hälfte der Frauen bei ihrem Vorhaben. Genaue Zahlen, wie oft und wo Schönheitschirurgen in Deutschland das Skalpell zücken oder Fett absaugen, gibt es nicht. Denn knapp ein halbes Dutzend Fachgesellschaften nehmen in Deutschland in Anspruch, die Ästhetische Medizin zu vertreten. Daher ist auch die Zahl der Komplikationen und unerwünschten Folgen solcher Operationen weitgehend unbekannt. Da sich jeder approbierte Arzt auch ohne besondere Qualifikation mit dem Titel „Schönheitschirurg“ schmücken kann, kommt es auch wohl häufiger als bei anderen Eingriffen zu Ergebnissen, die sich der Patient nicht so vorgestellt hat.
Was hat das alles noch mit dem Berufsethos des Arztes zu tun? Sollte die Medizin nicht für die Behandlung von Krankheiten und Behinderungen zuständig sein und nicht für die „Verformung“ gesunder Menschen nach deren Wünschen? Matthias Kettner von der Universität Witten/Herdecke prägte vor einigen Jahren den Begriff: „Wunscherfüllungsmedizin“, mit dem sich - besonders dank der steigenden Nachfrage der letzten Jahre - hervorragend verdienen lässt. Etliche Mediziner lockt das große Geld mehr als die zahlreichen Einschränkungen, unter denen Kassenärzte immer mehr leiden, zusätzlich zur wachsenden Arbeitsbelastung. Kein Wunder, dass etwa Uwe Herrboldt von „Medical One“ in Düsseldorf von seiner Tätigkeit im privatärztlichen Bereich schwärmt: Hier habe man die Möglichkeit, sich als Arzt auszuleben und mehr Zeit, sich dem Patienten zu widmen. Kritiker der reinen „Schönheitsmedizin“ - unabhängig vom Einsatz der plastischen Chirurgie nach Unfällen oder Behinderungen - werfen ihr jedoch vor, nicht selten „aus gesunden Menschen Kranke zu machen“, wie es Adrien Daigeler, Professor für plastische Chirurgie an der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Bergmannsheil in Bochum, formuliert.
Wird der Arzt dann jedoch nur mehr zum Service-Dienstleister für unzufriedene Menschen mit ausreichendem Gesundheitsbudget? Ein Service, für den ungeniert und aufwändig geworben wird? Dabei sitzen die Schönheitschirurgen nicht allein auf der Anklagebank. Immer öfter wollen Menschen eine Verbesserung ihrer körperlichen und geistigen Leistungen oder einfach ihr Alter mit Hilfe von Arzt und Apotheke zurückdrehen. Überzogene Schönheitsideale tauchen aber auch schon auf, wenn der jugendliche Körper noch gar nicht ausgereift ist. Daher appellierte die Bundesärztekammer zusammen mit Politik und Kirchen schon 2005 in einer „Koalition gegen den Schönheitswahn“ an die Medien, zumindest Jugendliche nicht als Zielgruppe anzusprechen. Die Zahl der Eingriffe ist im Vergleich zur gesamten Tätigkeit auf diesem Gebiet recht klein, zu einem Verbot kosmetischer Operationen ohne medizinische Indikation hat es bisher vor allem aus juristischen Gründen (Selbstbestimmungsrecht der Minderjährigen sowie die Rechte der Eltern) nicht gereicht.
Vor knapp einem Jahr veröffentlichte die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer ein Statement zu „ärztlichen Behandlungen ohne Krankheitsbezug“. Vor jeder Behandlung steht demnach eine eingehende Beratung. Dabei sollte es in erster Linie um das Wohl und erst danach um die Wunschvorstellungen des Patienten und schon gar nicht um kommerzielle Interessen des Arztes oder seines Arbeitgebers gehen. Das bedeutet, auch andere als die klinik-eigenen Behandlungsoptionen ins Auge zu fassen - oder auch die Möglichkeit, sich mit dem Ist-Zustand anzufreunden. Der Arzt sollte auch nur Behandlungen anbieten, für die er die notwendige Kompetenz besitzt. Generell wendet sich die Ethikkommission nicht gegen den Kommerz bei der Schönheitschirurgie - wohl wissend, dass der Patient vielleicht bei einer Ablehnung weitersucht und damit zuweilen in die Hände weniger qualifizierterer „Mediziner“ gerät. Allerdings darf gerade bei den häufig großzügig honorierten Leistungen der kosmetischen Chirurgie ohne Krankheitsbezug nicht der Eindruck entstehen, der behandelnde Arzt würde immer mehr zum Verkäufer denn zum fürsorglichen Therapeuten. Damit würde der wohl auch der Arztberuf als Ganzes weiter an Vertrauen verlieren. Vertrauen, das einige übereifrige IGeL-Verkäufer bereits aufs Spiel gesetzt haben. Um aber gerade auf diesem Gebiet auch an Ansehen zu gewinnen, müssten so bald wie möglich Qualitätsstandards und Verhaltensregeln an Stelle von Werbebotschaften treten. Fehlverhalten und Pfusch dürfe nicht ohne Folgen bleiben und kontrolliert und bestraft werden, am besten durch entsprechende Kammern der Selbstverwaltung.
So kam es im Jahr 2011 in Hamburg zu einem tödlichen Zwischenfall bei einer Brustvergrößerung. Es war die fünfte derartige Operation einer Pornodarstellerin, die damit Körbchengröße „G“ erreichen wollte. Die Anästhesistin wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, der Richter machte jedoch auch der Klinik schwere Vorwürfe: Wohl aus Gewinnstreben sei dort an Personal und Ausstattung gespart worden. Wenn etwa die Homepage der bereits anfangs erwähnten renommierten Klinikkette mit der Beteiligung am RTL-2 Schönheits-OP-Casting „Extrem Schön“ wirbt, weckt das wohl auch den Wunsch bei weniger begüterten Unzufriedenen nach mehr Attraktivität. Manche Beobachter sehen dabei schon den Spaltkeil der Gesellschaft auch im Bereich Gesundheit. Jene, die sich Attraktivität mit Hilfe von Ärzten leisten könnten und solche, denen das verwehrt bleibe. Und dann wären da noch jene, bei denen es vielleicht dann gerade noch zu einer Discount-Schönheits-OP reicht - ohne Qualitätsmanagement.
Spielt bei ästhetischen Eingriffen in den gesunden Körper das „nihil nocere“ noch eine wichtige Rolle im ärztlichen Handeln? „Operative Verfahren, die auf die Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit gerichtet sind“, gelten im engeren juristischen Sinn als Körperverletzung, die jedoch durch das Einverständnis der Patienten folgenlos bleiben, so deutet der Berliner Rechtsanwalt Carsten Zabel die ästhetische Chirurgie ohne Krankheitsbezug. Die Frage bleibt aber, ob die Unzufriedenheit von Menschen mit ihrem eigenen Körper zu einem ernsthaften Verlust an Lebensqualität führt - und damit vielleicht doch zu einem Bedarf an Korrektur durch gut ausgebildete Fachkräfte. Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen und bei jedem freiwilligen Patienten wohl etwas anders aussehen. Wer unglücklichen Menschen zu größerer Zufriedenheit verhilft und damit Geld verdient, kann immer noch ein guter und angesehener Arzt sein. Wer jedoch Menschen einredet, ohne makellosen Körper hätten sie Wettbewerbsnachteile bei Karriere und Partnerschaft, der sollte darüber nachdenken, ob aus dem Mediziner nicht ein reiner Geschäftsmann geworden ist.