In der Altersforschung erlebt die Parabiose ein Comeback. Studien zeigten: Das Zusammennähen von zwei unterschiedlich alten Mäusen hat verjüngende Effekte auf den Organismus der älteren Maus. Eine neue Anti-Aging-Strategie? Einige Firmen bieten bereits Bluttransfusionen an.
Vor etwa 150 Jahren machte der französische Physiologe Paul Bert eine erstaunliche Entdeckung: Der Wissenschaftler hatte von zwei Ratten Hautstreifen entfernt und die Tiere an dieser Stelle anschließend zusammen genäht. Nach kurzer Zeit waren die Blutgefäße der zwei Nager verschmolzen. Es hatte sich ein Blutkreislauf gebildet. Indem er Flüssigkeiten in die Venen eines Tieres injizierte, konnte Bert zeigen, dass das Blut der einen Ratte auch durch die Adern des anderen Tieres floss. Für seine Arbeit erhielt er zwei Jahre später den Preis der Pariser Akademie der Wissenschaften. Parabiose wird dieses Phänomen genannt, bei der zwei Organismen miteinander verwachsen sind. Lebewesen können entweder von Geburt an miteinander verbunden sein, wie siamesische Zwillinge, oder sie können mithilfe eines chirurgischen Eingriffs aneinander genäht werden.
Alterserscheinungen wurden mithilfe parabiotischer Versuche erstmals 1956 untersucht. Hierfür hatte der Biochemiker und Gerontologe Clive McCay von der Cornell University in New York eine alte mit einer jungen Ratte zusammen genäht. Die Ratten blieben über mehrere Monate in dieser Form vereint – zum Vorteil des älteren Tieres, denn seine Knochendichte verbesserte sich. Ein paar Jahre später, im Jahr 1972, veröffentlichten Wissenschaftler von der University of California ebenfalls eine Studie zu dem Thema „junges Blut bei älteren Tieren“. Die amerikanischen Forscher hatten herausgefunden, dass ältere Ratten, die sich Blut mit jüngeren teilten, vier bis fünf Monate länger lebten als solche, die das nicht taten. Allerdings konnten diese Resultate bis heute nicht reproduziert werden. So faszinierend die Ergebnisse sind, für die Tiere waren diese Versuche jedoch alles andere als angenehm und gingen zudem mit einem hohen Sterberisiko einher: Ratten, die nicht aneinander gewöhnt waren, bissen sich gegenseitig tot. Zudem verstarben 11 der 69 Nager-Paare an der parabiotischen Krankheit, einer Krankheit, bei der vermutlich das Immunsystem des einen Tieres gegen das Blut des anderen ankämpft.
Ende der 70er Jahre ließ das Interesse an parabiotischen Versuchen nach. Doch heutzutage sind sie im Rahmen der Altersforschung wieder in den Medien. Denn in fast allen Bereichen des Körpers älterer Mäuse scheint „junges Blut“ einen verjüngenden Effekt zu haben, nicht nur auf die Knochendichte. 2005 publizierte ein Forscherteam um Thomas Rando, damals Assistenzprofessor an der Stanford University School of Medicine, wie sich das Blut junger Mäuse auf alternde Muskeln auswirkt. Für einen Zeitraum von sechs bis sieben Monaten, verband er hierfür zwei Mäuse, wobei die eine zwei bis drei Monate jung und die andere zwischen 19 und 26 Monate alt war. Nach fünf Wochen verletzte der Wissenschaftler bei jeder Maus die Muskeln an der Hinterpfote. Fünf Tage später war die Verletzung der älteren Tiere ebenso gut verheilt wie die der jüngeren. Wahrscheinlich, da die Stammzellen des älteren Tieres angeregt wurden, sich zu teilen. War die ältere Maus jedoch mit einem gleichaltrigen Nager verbunden, heilte die Verletzung weitaus schlechter – so wie es normal ist bei nicht-parabiotischen älteren Tieren. Ab diesem Zeitpunkt erschienen viele verschiedene Veröffentlichungen zu dem Thema. Junges Blut kann demnach beschädigtes Rückenmark reparieren, verdickte Herzmuskeln zurückbilden oder die Bildung neuer Neuronen im Gehirn und dem Geruchsystem unterstützen. Der Effekt funktioniert auch mit Plasma von Menschen. Im April dieses Jahres zeigte Tony Wyss-Coray von der Stanford University School of Medicine, dass sich die Erinnerungs- und Lernfähigkeit alter Mäuse durch menschliches Nabelschnurplasma verbessert. Hierfür hatte das Forscherteam den Tieren über zwei Wochen jeden vierten Tag das Plasma gespritzt.
Seit den 70er Jahren hat sich viel zum Wohle der Tiere verändert. Damit die Tiere weniger leiden müssen, werden Mäuse gleichen Geschlechts und gleicher Größe mindestens zwei Wochen vor dem chirurgischen Eingriff aneinander gewöhnt. Für die Operation werden sie narkotisiert. Um die Sterblichkeit der Versuchstiere zu senken, werden heutzutage nur genetisch gleiche Tiere verbunden. Denn diese scheinen nicht an der Parabiose-Krankheit zu erkranken. Antibiotikagaben verringern zudem das Infektionsrisiko. Nach dem chirurgischen Eingriff verhalten sich die verbundenen Tiere normal und sie lassen sich auch später wieder erfolgreich trennen.
Die Frage, wie genau das „junge Blut“ auf den älteren Organismus wirkt, ist bis heute unklar. Vermutet wird, dass bestimmte Bestandteile des Blutes sich positiv auf die älteren Stammzellen auswirken. Eine mögliche Erklärung für die positiven Effekte des jungen Bluts könnte das Protein GDF11 (Growth Differentation Factor 11) sein, dessen Konzentration im Blut immer mehr abnimmt, je älter man wird. Forscher der Havard University in Cambridge hatten das Protein älteren Mäusen mit Herzhypertrophie über vier Wochen verabreicht, woraufhin sich das vergrößerte Herz zurückbildete. Auch das Protein TIMP2 (Tissue Inhibitor Metalloprotease) steht unter dem Verdacht, sich positiv auszuwirken, indem es die Funktion des älteren Hippocampus verbessert, das Hormon Oxytocin soll Alterungsprozesse aufhalten. Beides findet sich vermehrt in jungem Blut. Doch nicht immer herrscht Einigkeit. Das Biotechnologie-Unternehmen Novartis beispielsweise konnte die positive Wirkung von GDF11 nicht reproduzieren. Das Problem sei, dass GDF11 dem Protein Myostatin ähnelt und die von den Havard-Wissenschaftlern verwendeten Nachweismethoden zwischen diesen beiden Substanzen nicht unterscheiden könne. Myostatin hemmt das Muskelwachstum und seine Konzentration im Blut nimmt im Alter zu. Tatsächlich würden auch die GDF11-Level im Alter ansteigen, was Novartis mit anderen Reagenzien nachgewiesen haben will. Das Forscherteam der Havard University erwiderte, dass womöglich mehrere Formen von GDF11 existieren und die von Novartis durchgeführten Tests aufgrund einiger Abweichungen nicht vergleichbar wären. Die Ursache für den verjüngenden Effekt der Parabiose könnte jedoch auch darin liegen, dass sich die verbundenen Tiere Organe teilen. Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, entwickelten Irina Conboy eine Vorrichtung, mit deren Hilfe sie das Blut von jungen und alten Mäusen austauschen konnte. Es zeigte sich, dass der hemmende Effekt des alten Blutes auf junge Mäuse deutlich ausgeprägter war, als der Nutzen des jungen Blutes auf alte Mäuse. Grund für die beobachteten positiven Effekte bei alten Mäusen könnten, so die Forscher, auch damit erklärt werden, dass das alte Blut verdünnt würde.
Obwohl der Wirkmechanismus des jungen Mäusebluts auf älteres Gewebe bisher ungeklärt ist, haben einige Firmen eigene Studien am Menschen gestartet. Im Gegensatz zu den Tierversuchen wird allerdings auf eine Parabiose verzichtet. Denn wer möchte sich schon freiwillig mit einem anderen Menschen zusammen nähen lassen? Stattdessen erhalten die Studienteilnehmern Blut, das jüngere Menschen gespendet haben. Eine dieser Firmen ist das Start-up Ambrosia aus Monterey in Kalifornien. Für die Studie sucht Firmengründer Jesse Karmazin derzeit noch Teilnehmer. Voraussetzung ist, dass man mindestens 35 Jahre alt, nicht schwanger und gesund ist. Wenn man dann noch das nötige Kleingeld übrig hat, nämlich 8.000 Dollar, steht der Verjüngungskur nichts mehr im Wege: Dann erhält man eine einmalige Plasmainfusion von einem Spender, der maximal 25 Jahre alt ist. Eine Kontrollgruppe gibt es nicht, niemand möchte 8.000 Dollar für ein Placebo ausgeben. Stattdessen wird das Blut der Teilnehmer vor und nach der Infusion auf verschiedene Biomarker untersucht. Gegenüber einem Fachmagazin versicherte der Firmengründer, dass die Teilnahmegebühr notwendig sei, um unter anderem die Kosten für das Plasma, die Genehmigung der Ethikkommission und die Labortests zu decken. Eine weitere Firma ist Alkahest. Das Privatunternehmen aus San Carlos in Kalifornien wurde von Wyss-Coray gegründet und startete zusammen mit der Stanford University im September eine randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie. 18 Alzheimer-Patienten über 50 Jahre erhalten vier Infusionen von jungen Spendern über vier Wochen. Primärer Endpunkt ist die Sicherheit. Zudem suchen die Wissenschaftler nach Veränderungen im Gehirn oder im Blut. Bis Ende des Jahres soll die Studie abgeschlossen sein. Auch ein Krankenhaus in Südkorea startete eine randomisierte placebokontrollierte klinische Studie. 64 Studienteilnehmer, die mindestens 55 Jahre alt sind, erhalten entweder frisches Nabelschnurblut, eingefrorenes Nabelschnurblut, eingefrorenes Plasma oder ein Placebo. Ziel der Studie ist neben der Überprüfung der Sicherheit auch die Untersuchung der Auswirkung des Blutes bzw. Plasmas auf Alterserscheinungen.
Derzeit existieren keine Daten, die eine lebensverlängernde Wirkung von Bluttransfusionen belegen. Behandlungen zur Lebensverlängerungen sind daher nicht sinnvoll. Hinzu kommt, dass Bluttransfusionen, obwohl sie schon zur Routine gehören, nicht auf die leichte Schulter genommen werden dürfen. Neben der Übertragung von Infektionen können – selbst bei einem gut passendem Spender – Immunreaktionen auftreten. Im Extremfall erleidet der Empfänger sogar einen anaphylaktischen Schock.