Stillen bringt für die Entwicklung des Kindes eine Reihe kognitiver und gesundheitlicher Vorteile. Eine britische Studie zeigt nun, dass sich Stillkinder häufiger sozial und karrieremäßig gegenüber ihren Eltern verbessern als Flaschenkinder.
Sowohl die Nährstoffe der Muttermilch (beispielsweise langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren, Proteine, Milchzucker) als auch das Stillen an der Mutterbrust an sich stärken das Immunsystem und fördern die Gehirnentwicklung des heranwachsenden Säuglings. „Bisherige Studien haben einen positiven Zusammenhang zwischen dem Stillen und den geistigen Leistungen in Kindheit und Erwachsenenalter hergestellt“, erklärt Studienleiterin Professor Amanda Sacker vom Forschungszentrum für Epidemiologie und Gesundheitswesen des University College London. Darüberhinaus lieferten bisherige Studien Hinweise, dass Stillen auch die Persönlichkeit, die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die Problemlösungskompetenz als auch die Stressresistenz, wenn auch in geringerem Ausmaß, positiv beeinflusst. Wie sich das Stillen auf die berufliche Entwicklung und die soziale Mobilität auswirkt, wollten die Studienautoren anhand von Daten zweier Kohortenstudien mit mehr als 34.000 Personen der Geburtsjahrgänge 1958 und 1970 überprüfen. Die Studie „Breast feeding and intergenerational social mobility: what are the mechanisms?“ wurde in den „Archives of Disease in Childhood“ veröffentlicht.
Analysiert wurden die Daten von 17.413 Neugeborenen, die 1958 auf die Welt kamen und von 16.768 Neugeborenen des Jahrgangs 1970. Die Mütter wurden befragt, ob sie ihre Kinder kürzer oder länger als vier Wochen gestillt hatten oder gar nicht. Von den Säuglingen, die 1958 zur Welt kamen, wurden 68 Prozent gestillt, bei den 1970 Geborenen waren es nur mehr 36 Prozent. Darüber hinaus wurde der Beruf und die soziale Stellung der Eltern erhoben und mit denen ihrer erwachsenen Kinder im Alter von 33 Jahren (1. Kohorte) bzw. 34 Jahren (2. Kohorte) verglichen. Überdies wurden die Kinder regelmäßig ab der Volksschule alle paar Jahre auf ihre Intelligenz, Gesundheit und psychische Verfassung hin untersucht. Die Studienergebnisse zeigen, dass die Stillkinder häufiger einen sozialen Aufstieg gegenüber ihren Eltern verzeichneten und in geringerem Maße von einem sozialen Abstieg betroffen waren. Jeweils 24 Prozent aus beiden Kohorten verbesserten ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Position gegenüber ihren Eltern, während ihr Risiko sozial abzusteigen um 19 bzw. 21 Prozent geringer war, als für Kinder, die mit dem Fläschchen ernährt wurden. Der Zusammenhang sei umso auffälliger, weil er in beiden Jahrgängen nahezu gleich ausfiel, obwohl sich die Anzahl der Stillkinder beinahe halbiert habe. „Unsere Studie zeigt, dass Stillen die neurologische Entwicklung und dadurch die kognitive Leistungsfähigkeit verbessert , was zu einem zunehmenden sozialen Wohlstand führt und gleichzeitig einen sozialen Abstieg verhindert“, betont Sacker. Darüber hinaus leiden gestillte Kinder seltener unter emotionalen Belastungen wie Stress. Ob dies an den Inhaltsstoffen der Muttermilch liege oder am Mutter-Kindkontakt beim Stillen, konnte durch die vorliegende Studie nicht geklärt werden. „Unsere Studie zeigt jedenfalls, dass Stillen an der Mutterbrust den Kindern nicht nur gesundheitliche Vorteile bringt, sondern auch lebenslange soziale Vorteile schafft“, so Sacker abschließend.
Eine kürzlich im Fachjournal „NeuroImage“ veröffentlichte US-Studie untersuchte die Gehirnentwicklung von 133 Kindern im Alter zwischen zehn Monaten und vier Jahren mittels leiser Magnetresonanztomographen (MRT), um das Scannen im Schlaf zu ermöglichen. Die untersuchten Kinder stammten aus Familien mit vergleichbarem wirtschaftlichem und sozialen Background und waren gesund und nach einer normalen Gestationszeit geboren worden. Eine Gruppe von ausschließlich - mindestens drei Monate - an der Mutterbrust gestillten Kindern wurde mit teilweise bzw. ausschließlich mit der Flasche und Beikost aufgezogenen Kindern verglichen. Ein Forscherteam von der Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island unter der Leitung von Sean Deoni konnte nach Auswertung der MRT-Daten im „Advanced Baby Imaging Lab“ zeigen, dass die weiße Gehirnsubstanz im Alter von zwei Jahren bei den gestillten Kindern in einer Größenordnung von 20 bis 30 Prozent stärker entwickelt war als in den beiden Kontrollgruppen. Die Forscher verglichen auch die Gehirnentwicklung von Kindern, die länger als ein Jahr gestillt wurden, mit Kindern, die kürzer gestillt wurden. Erstere zeigten eine deutlich bessere Gehirnentwicklung in den Regionen, die für die motorischen Funktionen verantwortlich sind. „Ich denke, es ist erstaunlich, wie groß die Unterschiede zu so einem frühen Zeitpunkt bereits sind“, sagte Deoni. Die weiße Gehirnsubstanz besteht aus langen Nervenfasern, die für die Kommunikation und die Vernetzung verschiedener Hirnareale verantwortlich sind. Besonders diejenigen Hirnregionen, die für Sprache, emotionale Funktionen und Warnehmung verantwortlich sind, waren bei den gestillten Kindern deutlich besser entwickelt als bei den teilweise oder gänzlich mit der Flasche aufgezogenen Kindern. Weiterhin untersuchten die Forscher auch die Mikrostruktur der weißen Gehirnsubstanz und stellten fest, dass die darin enthaltene Myelinmenge bei den gestillten Kindern größer war als bei den beiden Vergleichsgruppen. Myelin ist ist eine lipidhaltige Substanz, welche die Nervenzellen umhüllt und für die Leitungsgeschwindigkeit der Nerven verantwortlich ist. Bei den drei- bis vierjährigen Kindern führten die Forscher zahlreiche kognitive Tests durch und konnten nachweisen, dass die gestillten Kinder bei der sprachlichen Entwicklung, der motorischen Leistungsfähigkeit und beim Sehen den beiden Kontrollgruppen überlegen waren. „Zusammenfassend könnte man sagen, dass Stillen in Kombination mit den bisher vorliegenden Erkenntnissen absolut vorteilhaft ist“, so Deoni.
Die Nationale Stillkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin wurde 1994 gegründet und setzt sich aus Wissenschaftlern, Kinderärzten und Geburtshelfern zusammen. Sie hat insgesamt 14 Empfehlungen für die Säuglingszeit formuliert: