Etwa zwei Prozent aller Kinder kommen mit Fehlbildungen unbekannter Ursache zur Welt. Zellbiologen spekulieren, dass ein Niacinmangel im ersten Trimenon damit in Verbindung steht. Vor allem in Ländern mit einseitiger Ernährungsweise könnte eine Supplementation vorbeugend wirken.
In Europa und in den USA verwenden etliche Frauen mit Kinderwunsch Folsäure als Supplementation. Ein Mangel begünstigt Neuralrohrdefekte wie Spina bifida oder Anenzephalien. Australische Forscher um die Zellbiologin Sally L. Dunwoodie fanden jetzt Hinweise, dass ein niedriger Spiegel an Niacin ebenfalls mit Fehlbildungen in Verbindung stehen.
Dunwoodie untersuchte die sogenannte VACTERL-Assoziation. Das Akronym weist auf zentrale phänotypische Ausprägungen hin. Entsprechende Fehlbildungen äußern sich über vertebrale (V), anorektale (A), kardiale (cardial, C), tracheale (T), ösophageale (esophageal, E), renale (R) und orthopädische (limbs, L) Anomalien. Die Inzidenz liegt bei 1,6 Fällen auf 10.000 Geburten, Jungs (85 Prozent) sind häufiger betroffen als Mädchen. Bislang war unbekannt, wie es zur VACTERL-Assoziation kommt. Das Team vom Victor Chang Cardiac Research Institute in Sydney untersuchte vier verschiedene, nicht verwandte Familien, in denen das Krankheitsbild aufgetreten war. Dabei fand Dunwoodie Gendefekte, die zu nicht mehr funktionsfähigen Enzymen im Kynureninstoffwechsel führen. Zum Hintergrund: L-Kynurenin ist ein wichtiges Zwischenprodukt bei der Biosynthese von NAD und Niacin. Die jetzt identifizierten Gendefekte betrafen zwei wichtige Enzyme, nämlich die 3-Hydroxyanthranilsäure-3,4-Dioxygenase (HAAO) und die Kynureninase (KYNU). In der Folge kam es zu NAD-Defiziten. Tierexperimente zeigten, dass ein Mangel dieses Cofaktors aufgrund fehlender Biosynthese die VACTERL-Assoziation nach sich zog. Hochdosierte Gaben des Vitamins führten hingegen zu gesunden Nagern. Beim Menschen kann die Forscherin nur Assoziationen, aber keine Kausalitäten aufzeigen. Trotzdem hält sie das Thema für praxisrelevant.
Ein Mangel an Niacin ist in Deutschland selten. Über unsere Nahrung nehmen wir normalerweise ausreichende Mengen der Vorstufe Niacin (Vitamin B3) auf. In Mexiko ist hingegen die Mangelerkrankung Pellagra mit ihren typischen Symptomen Demenz, Dermatitis und Diarrhoe durchaus bekannt. Auch bei schwangeren Amerikanerinnen gibt es trotz der weit verbreiteten Supplementation Vitamindefizite im ersten Trimenon. Dunwoodies Hypothese lautet jetzt, dass extern zugeführtes Niacin in der Frühschwangerschaft zu weniger Fehlbildungen führen könnte. Ob sie tatsächlich Recht hat, lässt sich nur mit umfangreichen Feldstudien klären.