Tiefschlaf beschleunigt Lernprozesse und die Verarbeitung des tagsüber Erlebten. Forscher fanden nun heraus, dass sich die Gedächtnisbildung weiter verbessern lässt, wenn man Hirnwellen im Tiefschlaf durch akustische Signale stimuliert.
Die langsamen Hirnwellen tragen wesentlich dazu bei, dass sich im Tiefschlaf das Langzeitgedächtnis festigt: Sie reaktivieren Informationen, die tagsüber aufgenommen und vorläufig im Hippocampus gespeichert wurden, und übertragen diese in den Neokortex. Nun hat ein Forscherteam um Professor Jan Born, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen, ein Verfahren entwickelt, mit der sich die menschliche Hirnaktivität so beeinflussen lässt, dass sich die Gedächtnisleistung verbessert. Wie die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift Neuron bekannt gaben, steigerten diskrete Töne, die Testpersonen im Tiefschlaf vorgespielt wurden und die mit deren langsamen Hirnwellen synchronisiert waren, deutlich die Konsolidierung des Gedächtnisses. Im Rahmen der Studie testeten Born und seine Kollegen elf Personen im Schlaflabor. Die Probanden mussten sich abends 120 Wortpaare merken, die direkt im Anschluss an die Einprägphase und am nächsten Morgen abgefragt wurden. Sobald die Studienteilnehmer in der Nacht fest eingeschlafen waren, begann die akustische Stimulation. Über einen Kopfhörer hörten sie 210 Minuten lang immer wieder einen leisen Ton, der an den Rhythmus der langsamen Hirnwellen gekoppelt war, die per EEG detektiert und online analysiert wurden. „Wir präsentierten die akustischen Stimuli immer, während die langsame Hirnwelle ihren Höhepunkt erreichte“, sagt Born. „Die sofortige Analyse der Gehirnwellen ist essenziell, da Schwingungen in biologischen Geweben nicht völlig gleichmäßig oszillieren und deswegen die akustischen Signale immer wieder neu auf die langsamen Wellen ausgerichtet werden müssen.“
In einem Kontrollversuch maßen die Wissenschaftler ebenfalls die Frequenz und Amplitude der Gehirnschwingungen, verzichteten bei den Probanden aber auf das Vorspielen des akustischen Signals. „Waren die Testpersonen dem Geräusch ausgesetzt, konnten sie sich am Morgen besser an Wortpaare erinnern, die sie am Abend zuvor gelernt hatten, als ohne Stimulation“, sagt Born. Durchschnittlich wussten die Studienteilnehmer am nächsten Morgen rund 22 Wortpaare mehr als am Abend zuvor, wenn ihnen Geräusche während der Nacht vorgespielt wurden – im Gegensatz zum Kontrollexperiment, in dessen Verlauf sich die Testpersonen nur 13 Wortpaare mehr als am vorherigen Abend eingeprägt hatten. Aber auch die Gehirnwellen selbst veränderten sich durch die Geräuschstimulation: „Die langsamen Wellen haben nicht nur eine größere Amplitude sondern sie schwingen auch häufiger“, berichtet Born. „Es ist wie bei einer Schaukel, die auch länger in Bewegung bleibt, wenn man sie im richtigen Augenblick ein wenig anstößt.“ Er geht davon aus, dass vor allem die länger anhaltenden Schwingungen für die bessere Gedächtniskonsolidierung verantwortlich sind. In einem weiteren Experiment untersuchten Born und seine Kollegen, was passiert, wenn die Probanden während ihres Tiefschlafs Töne hörten, die nicht in Phase mit dem Rhythmus der Gehirnwellen waren. Diesmal konnten die Wissenschaftler keine Verbesserung der Gedächtnisleistung nachweisen: Die Studienteilnehmer prägten sich nicht mehr Wortpaare ein als in einem Kontrollversuch ohne Geräuschstimulation. Auch Anzahl und Amplitudengröße der Schwingungen zeigten keine wesentliche Veränderung. Born: „Die Stimulation durch Geräusche ist offensichtlich nur dann effektiv, wenn die Geräusche zeitgleich mit den langsamen Hirnstromwellen während des Tiefschlafs auftreten.“
Born zufolge kann das neue Verfahren wahrscheinlich auch zur Verbesserung des Schlafs eingesetzt werden. Allerdings, so der Wissenschaftler, müssten für eine Anwendung im klinischen Alltag tragbare Geräte entwickelt werden, mit deren Hilfe man Gehirnwellen online detektieren könnte. „Eventuell sind wir schon bald in der Lage, mit akustischer Stimulation nicht nur den Schlaf zu vertiefen, sondern auch andere Schlafprozesse anzuregen oder weitere Hirnfunktionen zu verstärken, die zum Beispiel im Wachzustand auftreten und für die Regelung der Aufmerksamkeit zuständig sind.“ Andere Experten sind nicht von einer raschen Anwendung der Methode überzeugt: „Auch wenn die akustische Stimulation eine auf jeden Fall sehr interessante Möglichkeit ist, den Schlaf direkt zu beeinflussen, ist die Anwendung zu Hause schwer umsetzbar und die erzielten Effekte auf Schlaf und Gedächtnis nicht riesig“, sagt Professor Manuel Schabus, Leiter des Labors für Schlaf-, Kognitions- und Bewusstseinsforschung im Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg. „Es gilt zu prüfen, ob es für den Alltag wirklich relevant ist, wenn jemand in den ersten beiden Stunden neun Prozent mehr Tiefschlaf aufweist.“
„Die spannende Methode der Tübinger Arbeitsgruppe bringt zwar die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet voran, ist aber wahrscheinlich nicht unbedingt geeignet, Schlafstörungen generell zu behandeln“, sagt Privatdozent Christoph Nissen, Leiter der Forschungsgruppe Schlaf und Plastizität in der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. „Vielleicht lassen sich aber damit die bei Insomnie oder Depressionen auftretenden Beeinträchtigungen des Gedächtnisses verbessern.“ Angesichts des fast vollständigen Fehlens von Nebenwirkungen, findet der Wissenschaftler, dass nicht invasive Verfahren wie die akustische Stimulation dennoch ein großes Potenzial bei der Therapie von Schlafstörungen haben, da die derzeit meistens eingesetzten Schlafmittel ein hohes Abhängigkeitsrisiko aufweisen und zudem die Gedächtnisbildung hemmen.