Im Zuge des Ärztemangels kommen zahlreiche ausländische Mediziner an deutsche Krankenhäuser. Unbestrittenen Kompetenzen stehen oft hohe Sprachbarrieren gegenüber. Mit welchen Mitteln kann man Kommunikationsproblemen vorbeugen und wie erleben Medizinstudenten die Situation?
Vor wenigen Jahren noch Einzelfälle, heute die Regel an deutschen Kliniken: Arztkollegen aus dem Ausland stopfen die Lücken, die der fortschreitende Ärztemangel mit sich bringt. So gibt es nach Angabe der Bundesärztekammer derzeit über 33.000 eingewanderte Mediziner, die ihren einheimischen Kollegen unter die Arme greifen. „In einigen Fächern, wie beispielsweise Neurochirurgie, hatten wir fast nur Dozenten mit starkem Akzent“, so Lena, Medizinstudentin im 5. Jahr. „Das Zuhören war schon recht anstrengend“, erzählt sie, „besonders, wenn die Dozenten nur schlechtes Englisch sprachen.“ Und Lena ist mit diesem Problem nicht alleine. Denn auch Patienten klagen immer häufiger über Kommunikationsbarrieren zu ausländischen Ärzten und leiden mitunter auch körperlich an den Folgen lückenhafter Verständigung. Schließlich sollten insbesondere Aufklärungsgespräche vor Operationen für den Patienten „verständlich“ geführt werden, da sie sonst sogar als rechtwidrig gelten können. Dass diese Vorschrift keinesfalls nur eine formelle Kleinigkeit darstellt, zeigen die Schätzungen der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Demnach sind rund 34.000 Behandlungsfehler pro Jahr auf schlichte Verständnisprobleme zurückzuführen.
Ein gutes Beispiel für mögliche folgenschwere Missverständnisse aufgrund von Sprachbarrieren lässt sich im Bereich der Neurologie finden. Wird ein Patient mit Verdacht auf einen Schlaganfall im Krankenhaus eingeliefert, geben die erste Anamnese und der persönliche Kontakt mit dem Patienten wichtige Hinweise hinsichtlich möglicher Verdachtsdiagnosen und der weiteren diagnostischen Maßnahmen, wie beispielsweise einer computertomographischen Untersuchung des Kopfes. So prüft der neurologische Aufnahmearzt u. a. die Artikulationsfähigkeit des Patienten, da eventuell vorhandene Wortfindungsstörungen oder auch eine verwaschene Sprache darauf hindeuten können, dass spezifische Areale im Gehirn nicht richtig arbeiten. Aber wie soll nun ein Arzt, der derweilen noch die deutsche Sprache erlernt, die entsprechenden Kenntnisse und Auffälligkeiten bei einem seiner Patienten erkennen können? Was ist bereits eine auffällige Störung, die auf einen Schlaganfall hindeutet, und was ist vielleicht nur ein regionaler Akzent? Oftmals eine schier unlösbare Aufgabe. „Bei Patienten, die mit der Verdachtsdiagnose Schlaganfall eingeliefert werden, ist es immer eine Herausforderung, über das Vorhandensein von Sprach- und Sprechstörungen zu urteilen“, erzählt ein neurologischer Assistenzarzt von seinen Erfahrungen in der Notaufnahme. „Obgleich Deutsch meine Muttersprache ist, hole ich oft einen erfahrenen Oberarzt hinzu und auch meine ausländischen Kollegen sind oftmals auf Hilfestellung im Anamnesegespräch angewiesen.
Um folgenschweren Missverständnissen vorzubeugen, suchen alle wichtigen Akteure des Gesundheitssystems, so z. B. die Bundesärztekammer und der Marburger Bund, händeringend nach einer Lösung. Ein aktuell diskutierter Lösungsansatz besteht in der flächendeckenden Einführung standardisierter Sprachtests für Mediziner aus dem Ausland, die hierzulande praktizieren möchten. Reichten bisher gute allgemeine Sprachkenntnisse, die B2-Niveau entsprechen, aus, sollen künftige Anforderungen und Tests auch die Fachsprache mit abdecken. Die Begründung für eine Überarbeitung der Zulassungskriterien liegt eigentlich auf der Hand: Wenn viele, nicht fachaffine Personen mit dem sogenannten „Ärztelatein“ zunehmend zu kämpfen haben und Studenten im Unterricht erlernen, ihr Fachwissen allgemeinverständlich zu formulieren, wie soll dann ein kaum Deutsch sprechender Arzt mit diesen Fachausdrücken zurechtkommen? Ohne Unterstützung von Kollegen und teils von Famulanten läuft da gar nichts: „Während meiner Famulatur in einer neurologischen Klinik habe ich einer neuen Assistentin aus Kroatien, die kaum Deutsch sprechen konnte, immer bei den Arztbriefen geholfen“, erinnert sich Kevin, der gerade im sechsten Jahr seine letzten Scheine absolviert. „Selbst bei den Untersuchungen habe ich ihr eine Menge abgenommen, da sie eigentlich kaum in der Lage war, eine Anamnese zu machen“, berichtet er weiter. „Statt selbst etwas zu lernen, musste ich quasi der Ärztin etwas beibringen“, so Kevin weiter. Um dies zu verhindern, werden mittlerweile zudem Integrations- und Online-Deutschkurse für Ärzte aus dem Ausland angeboten. Dies soll verhindern, dass der Start für immigrierte Mediziner ein allzu brutaler Sprung „ins kalte Wasser“ wird und auch den Patienten entsprechende Kommunikationsbarrieren erspart bleiben. Die teilnehmenden Mediziner lernen in fachgerechten Sprachkursen genau die Fähigkeiten, die sie im klinischen Alltag benötigen. Das Schreiben des Arztbriefes wäre hierfür ein passendes Beispiel.
Fernab der beschriebenen Hürden im deutschen Klinikalltag sind die eingewanderten Mediziner für das deutsche Gesundheitssystem natürlich eine Bereicherung. So berichtet mir eine befreundete Kinderärztin, die in einer Praxis mit hohem Migrantenanteil unter den Patienten arbeitet, von der großen Hilfe durch mehrsprachige, immigrierte Kollegen: „Da jede Anamnese mit einem Kleinkind bereits in deutscher Sprache eine echte Herausforderung sein kann, erleichtert es bei beispielsweise türkischsprachigen kleinen Patienten die Behandlung immer enorm, wenn mir meine türkische Kollegin zur Seite steht. So wird es auch leichter, den nicht immer Deutsch sprechenden Eltern die diagnostischen und therapeutischen Schritte zu erklären.“
Soweit zur derzeitigen Situation an deutschen Kliniken und aktuell diskutierten und geschaffenen Lösungsversuchen. Doch wie sieht es eigentlich aus, wenn man den Spieß einmal umdreht? Welche Erfahrungen sammeln Medizinstudierende im Rahmen von Auslandsaufenthalten mit dem Thema Sprachbarrieren? „Bei meinem Auslandsjahr in Kanada hatte ich mit der Sprache kaum Probleme, da dort alle Ärzte und Patienten Englisch sprechen“, so die Medizinstudentin. „Die ersten Wochen waren zwar gewöhnungsbedürftig, aber schon nach wenigen Arztbriefen und Anamnesegesprächen, konnte ich mein Wörterbuch zuhause lassen“. Neben Kanada kommt man auch in vielen anderen beliebten Zielstaaten deutscher Medizinstudenten mit gutem Englisch weiter. Und wenn auch das nicht hilft, gibt es meist spezielle Vorbereitungskurse oder auch Sprachkurse vor Ort. „Bevor ich nach Spanien gegangen bin, um dort eine Famulatur in der Gynäkologie zu machen, habe ich an meiner Uni einen speziellen Sprachkurs gemacht“, denkt Sebastian zurück, „ohne den hätte ich wohl kaum ein Wort verstanden“, gibt er zu. Und schon wären wir schon wieder mitten in der aktuellen deutschen Debatte: Neue Kriterien und Tests sind die eine Sache, verpflichtende Sprachkurse die andere. Vielleicht sollte man einfach mal beides verbinden? Weitere Informationen zum Thema findet Ihr hier: ARD-Reportage: Wenn der Arzt nicht Deutsch spricht Fachkräftemangel-Dokumentation mit Fokus auf den Gesundheitswesen