Eine Harvard-Studie schlägt Alarm: Frauen, die während der Perinatalphase an Orten mit hoher Luftverschmutzung leben, haben ein doppelt so hohes Risiko, dass bei ihrem Kind Autismus diagnostiziert wird.
Die bisher durchgeführten, kleineren Studien zeigten diesen Zusammenhang auf regionaler Ebene auf; die nun vorliegende Studie liefert Resultate für die gesamte USA. „Die starke Ähnlichkeit unserer Ergebnisse mit den bisher vorliegenden Studien erhöht die Beweiskraft der bisherigen Evidenz, dass Luftverschmutzung für Autismus bei Kindern verantwortlich sein könnte“, betont Andrea Roberts, Forschungsassistentin der Harvard University und Hauptautorin der Studie „Perinatal Air Pollutant Exposures and Autism Spectrum Disorder in the Children of Nurses’ Health Study II Participants“, die im US-Fachjournal „Environmental Health Perspectives“ veröffentlicht wurde.
Die neue Studie basiert auf der umfangreichen, im Jahr 1989 gestarteten „Nurses´ Health Study II“ mit Daten von 16.430 Kinderkrankenschwestern. Außerdem flossen auch offizielle Daten der US-Umweltbehörde (Environmental Protection Agency: EPA) aus allen US-Staaten in die Untersuchung mit ein. Darüber hinaus wurden Daten von 325 Kindern berücksichtigt, bei denen ab 1987 Autismus, Asperger-Syndrom oder andere Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) diagnostiziert wurden. Davon waren 279 männlich und 46 weiblich. Die Forscher teilten diese Kinder in fünf Gruppen ein, abhängig davon, wie hoch der Grad der Luftverschmutzung war, dem die Mütter während der Perinatalphase ausgesetzt waren, und verglichen diese mit einer Kontrollgruppe von 22.098 nicht autistischen Kindern, die zwischen 1987 und 2002 geboren wurden. Ebenfalls berücksichtigt wurden das Einkommen und der Ausbildungsgrad der Familien, weil diese Informationen auch mit der Luftverschmutzung in Zusammenhang gebracht werden können. Das Ergebnis: Mütter, die infolge von Dieselpartikeln und Quecksilber der stärksten Luftverschmutzung ausgesetzt waren, hatten demnach ein doppelt so hohes Risiko, dass ihr Kind an Autismus erkrankt, als Mütter, die in einer Region mit sauberer Luft lebten. Bei Exposition von Blei, Nickel, Mangan und Methylenchloriden war das Autismusrisiko um bis zu 50 Prozent erhöht. Insgesamt besteht bei 26 von 180 untersuchten Schadstoffen ein signifikanter Zusammenhang mit Autismusfällen. „Da eine so hohe Anzahl von Schadstoffen mit höherem Autismus-Risiko in Zusammenhang steht, können wir aus der Studie nicht ableiten, was die genauen Ursachen sind“, bedauert Roberts. „Auf jeden Fall sei das Studienergebnis bedenklich, denn 20 bis 60 Prozent der Frauen in unserer Studie lebten – abhängig vom jeweiligen Schadstoff – in einer Region mit erhöhtem Autismus-Risiko“, berichtet Roberts. Warum in der vorliegenden Studie Buben sechsmal häufiger von Autismus betroffen waren (279 versus 46 Mädchen), sei nicht bekannt. Der Anteil der weiblichen Autisten sei mit 14,2 Prozent zu gering gewesen, um daraus einen signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschied ableiten zu können, so die Studienautoren. Als weiteren Schritt empfehlen die Forscher, das Blut von Schwangeren und Kindern zu untersuchen, um genauer bestimmen zu können, welche Schadstoffe das Autismus-Risiko erhöhen. Allerdings können nicht alle Schadstoffe im Blut nachgewiesen werden, was eine genaue Messung schwierig macht.
Eine im Januar in „Jama Psychiatry“ veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie der University of Southern California zeigt, dass eine erhöhte Feinstaub- und Stickstoffdioxidbelastung während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr das Autismus-Risiko signifikant erhöht. Das Forscherteam um Prof. Dr. Heather Volk verglich insgesamt 279 autistische Kinder mit 245 Kindern ohne Entwicklungsstörung und untersuchte, welchen Schadstoffbelastungen durch verkehrsbedingte Umweltverschmutzung die Probanden ausgesetzt waren. „Wir haben die geschätzten und gemessenen Schadstoffbelastungen für die Kinder mit und ohne Autismus in einem logistischen Regressions-Modell miteinander verglichen“, berichten die Forscher. Beim Vergleich der Gruppe mit den geringsten Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastungen mit der Gruppe mit erhöhten Belastungen (Partikelgröße von 2,5–10 Mikrometer: PM 2,5 – PM10) zeigte sich, dass das Autismus-Risiko in der Gruppe mit der stärksten Luftbelastung während der Schwangerschaft um den Faktor zwei und im ersten Lebensjahr um den Faktor drei erhöht war. Zwar lasse sich eine eindeutige Beziehung zwischen den Schadstoffen und Autismus herstellen, es bleibe aber unklar, ob diese tatsächlich für das erhöhte Autismus-Risiko verantwortlich sei. Beispielsweise könnten auch sozioökonomische Faktoren oder die Ernährung eine Rolle spielen. „Weitere epidemiologische und toxikologische Untersuchungen sind notwendig, um einen kausalen Zusammenhang herstellen zu können“, so Volk abschließend.
Laut Deutschem Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus ist die autistische Störung (syn. frühkindlicher Autismus) eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in den ersten drei Lebensjahren beginnt. Die Symptome zeigen sich in drei Bereichen besonders deutlich: im sozialen Umgang mit Mitmenschen, in der Kommunikation und in sich stets wiederholenden Handlungen. Das Asperger-Syndrom unterscheidet sich vom frühkindlichen Autismus in erster Linie dadurch, dass oft keine Verzögerung bzw. kein Entwicklungsrückstand in der Sprache oder der kognitiven Entwicklung vorhanden ist. Dafür sind in der psychomotorischen Entwicklung und der sozialen Interaktion Auffälligkeiten festzustellen. Für Deutschland liegen keine genauen Zahlen vor, wie viele Menschen von Autismus betroffen sind. In den USA wird bei einem von 50 Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 17 Jahren Autismus diagnostiziert.