Ulcus cruris und Dekubitus gehören zu den häufigsten chronischen Wunden alter Patienten, doch neue Erkenntnisse schaffen es nicht immer vom Lehrbuch in die Praxis. Immer noch wird gepudert, gesalbt, geföhnt. Zeit, mit Mythen, Riten und alten Zöpfen aufzuräumen.
Nach vorsichtigen Schätzungen entwickeln in Deutschland jährlich mehr als 500.000 Menschen einen Dekubitus. Bereits in Geschichtsschreibungen des alten Ägyptens wird auf die Behandlung eines Druckgeschwürs bei einer jungen Prinzessin hingewiesen. Sie hatte einen faustgroßen Dekubitus in Sakralbereich, der durch Hauttransplantationen „geheilt“ werden sollte. Das transplantierte Gewebe wurde jedoch abgestoßen und die Prinzessin verstarb.
Todesursache: Dekubitus. Das steht zwar nicht auf dem Totenschein, ist aber in Einzelfällen traurige Realität. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Hamburg untersuchte in einer Querschnittserhebung 10.222 Verstorbene auf Dekubitus und Druckstellen. Die erschreckenden Ergebnisse veranlassten Rechtsmediziner in Hannover und Berlin, ähnliche Erhebungen durchzuführen, die zu vergleichbaren oder noch schlimmeren Befunden führten. Nach diesen Untersuchungen scheint gesichert, dass rund 10 Prozent der verstorbenen Mitbürger Dekubitus wegen falscher Pflege, unzureichender Wundversorgung und Mangelernährung aufweisen. Das Interesse der Öffentlichkeit an der Dekubitusproblematik wird durch Presseberichte über Pflegeskandale geweckt. Dekubitus gilt in der gesundheitspolitischen Diskussion als Qualitätsindikator für die Pflege. Auch pflegenden Angehörigen ist meist bewusst, wie ein Druckgeschwür entsteht. Leider wird nicht selten mit den falschen Mitteln versucht, den Druck vom Patienten zu nehmen. Alte Hausmittel richten häufig mehr schaden an als sie nutzen. Der Arzt sollte sich für das Gespräch mit den Angehörigen Zeit nehmen und gekonnt kommunizieren. „Wissen Sie, wie man ein Druckgeschwür verhindert?“ ist eine falsch formulierte Frage, denn dem Angehörigen ist ja nicht bewusst, dass er Pflegefehler begeht.
Das individuelle Risiko, einen Dekubitus zu entwickeln, kann durch intrinsische Faktoren beeinflusst werden, die bei einer Risikoabschätzung zu berücksichtigen sind:
Folgende extrinsische Risikofaktoren tragen zur Gewebeschädigung bei und sollten zur Verhinderung einer Schädigung minimiert oder beseitigt werden: Druck, Scher- und Reibekräfte.
Die meisten Fehler in der Prophylaxe und der Therapie des Dekubitus entstehen nicht durch das Weglassen richtiger, sondern durch das Anwenden von falschen Therapien. Trockene Haut braucht Pflege, aber nicht alle Ölprodukte sind geeignet. Ölbäder sind sinnvoll, sollten aber als Emulsion vorliegen, damit sie sich mit Wasser mischen können. Reines (Baby)Öl ins Waschwasser ist nutzlos, da es auf der Wasseroberfläche schwimmt und nicht in die Haut einzieht. Emulsionen sind nur dann sinnvoll, wenn sie vom W/O-Typ (Wasser in Öl) sind. Bei O/W-Produkten überwiegt der Wasseranteil deutlich. Das Wasser dringt rasch in die oberste Hautschicht ein, lässt sie aufquellen und vergrößert die Oberfläche. Dadurch wird die Verdunstung der Feuchtigkeit gesteigert, die Haut trocknet aus. Deshalb sollten diese Produkte nur bei der Pflege fettiger Haut eingesetzt werden. Mehl auf Brandwunden war früher ein propagiertes Mittel und ist absolut obsolet. Den gleichen Stellenwert in der Dekubitusprophylaxe hat Franzbranntwein. Aber auch diese „Weisheit“ hält sich hartnäckig. Das Naturprodukt enthält große Mengen austrocknenden Alkohol und ist deshalb absolut ungeeignet. Besonders ältere Patienten schätzen aber den erfrischenden Effekt und den Latschenkieferduft und beharren auf die Anwendung. Sollte dies der Fall sein, muss mit pflegenden W/O-Emulsionen nachbehandelt werden. Genauso hartnäckig hält sich das Gerücht, Melkfett sei ein Geheimtipp. Was bäuerlich-natürlich klingt, mag für die Zitzen einer Kuh sinnvoll sein, nicht aber für die Pflege strapazierter und dekubitusgefährdeter Haut. Das Produkt besteht zu 99,5% aus dem Mineralölprodukt Vaseline, der Rest ist Konservierungsmittel. Das Fett dichtet die Hautporen ab und macht einen Wärmetausch unmöglich. Der Unsinn lässt sich nur noch durch die Zugabe von allergisierenden Korbblütlern wie Kamille oder Ringelblume steigern. Was für den Kinderpo sinnvoll ist, muss alte Haut nicht mögen. Zinkpaste deckt optisch ab und macht eine Hautinspektion unmöglich. Zinkoxid trocknet die Haut aus und steht deshalb auf der „out-Liste“.
Jahrelang wurde das „Eisen und Fönen“ praktiziert, denn diese Kalt-Warm-Wechselwirkung versprach, die Blutzirkulation im Gewebe zu verbessern. Untersuchungen belegen, dass dies ein Irrtum ist. Die Kälte des Eises schädigt die Haut, der Fön trocknet sie aus. Zur Kausaltherapie zählen stattdessen im Wesentlichen vollständige Druckentlastung, Ernährungsverbesserung, Schmerztherapie und die Verbesserung des Allgemeinzustandes. Insbesondere Mobilisation und reichliche Flüssigkeitszufuhr sind sinnvoll.
Folgende Hilfsmittel sollten gemäß den Dekubitusleitlinien nicht zur Druckreduzierung eingesetzt werden:
Ringkissen beeinträchtigen den Lymphabfluss und fördern deshalb eher die Dekubitusentstehung als dass sie sie verhindern. Wassergefüllte Unterlagen unter den Fersen sind nutzlos, da bei der kleinen Fersenoberfläche der Druck durch diese kleinflächigen Unterlagen nicht wirksam verteilt werden kann. Schafsfelle werden von manchen Patienten als angenehm empfunden; sie sind jedoch keine Druck mindernden oder Druck verteilenden Hilfsmittel. Wenn Schafsfelle zum Komfort der Patienten und nicht als Dekubitusprophylaxe eingesetzt werden, muss auf eine mögliche Infektionsgefahr und auf eine korrekte Reinigung der Felle geachtet werden.
Silberhaltige Aktivkohle-Auflagen eignen sich besonders für infizierte chronische Wunden. Wichtigster Bestandteil dieser Wundauflage ist ein auf einer Aktivkohle-Auflage homogen verteilter Film mit elementarem Silber. Die starke antiseptische Wirkung von Silber beruht auf der blockierenden Wirkung der in der feinen Oxidschicht des Silbers enthaltenen Silberionen auf die Thiol – Enzyme und Aminosäuren der Mikroorganismen. Deren Stoffwechsel wird blockiert und es kommt zur Abtötung der Keime. Das aufgetragene Silber ist fest mit der Oberfläche der Aktivkohle verbunden. Die Auflagen zeichnen sich durch eine hohe Adsorptionskraft für Exsudat und Mikroorganismen aus. Keime werden an der Oberfläche gebunden und abgetötet. Nachgewiesen werden konnte eine gute antimikrobizide Wirkung bei St. aureus, P. mirabilis, E. coli, E. cloacae, Ps. aeruginosa und B. fragilis.
Neben der Pharmakotherapie mit Dermatika ist die zweite Säule der Dekubitusprophylaxe die Anwendung von Lagerungshilfen. Gemeinsam mit drei Kooperationspartnern hat das Department für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke ein „mitdenkendes“ Antidekubitussystem entwickelt. Die Software erkennt die Lage des Patienten, stellt das System optimal ein und gibt den Pflegenden Hinweise, zu welchem Zeitpunkt ergänzende Maßnahmen zur Umlagerung erfolgen müssen. Die Hardware besteht aus 20 unabhängigen Luftkammern, in denen ein kontinuierlicher Luftstroms einen bestimmten Druck aufbaut. Dadurch wird eine Druckentlastung erreicht. Außerdem dokumentiert das System die örtliche Druckbelastung und die Restmobilität des Patienten. Wird der Druck zu hoch, schlägt das System Alarm. Die Entwicklung des Antidekubitussystems wurde im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert und als ZIM-Erfolgsprojekt ausgezeichnet
Das Sechs-Säulen-Konzept des Spitals in Basel hat sich als pragmatische Dekubitusprophylaxe bewährt. 1. Säule: konsequenten Druckentlastung (Patientenlagerung auf Low-Air-Loss-Betten) 2. Säule: frühzeitiges operatives Débridement und eine Behandlung eines bestehenden Infekts mit Antibiotika 3. Säule: Konditionierung der Wunde mit Feuchtverbänden oder VAC® 4. Säule: Quantifizierung und Korrektur einer Mangelernährung 5. Säule: Plastisch-chirurgische Deckung der Wunde 6. Säule: Postoperatives, konsequentes Entlastungs- bzw. Mobilisierungskonzept Dieses Behandlungskonzept von Rieger et al. hat sich am Universitätsspital Basel seit vielen Jahren bewährt. Hierdurch konnte in Kombination mit einer konsequenten Prävention die Dekubitusrate deutlich gesenkt, Dekubitalulzera geheilt und die Zahl der Rezidive vermindert werden.
Aktivkohleverbände bestehen aus einem Faserverbund von zuvor verkohlten Zelluloseprodukten, die Geruch absorbieren, bakterizid wirken und Endotoxine aufnehmen. Aktivkohleverbände können insbesondere bei bakteriell kontaminierten und stark sezernierenden Wunden verwendet werden. Alginate werden in Form von Calcium- oder Calcium-Natriumalginaten als Wundkompressen oder Wundtamponade verwendet. Sie haben eine Absorptionskapazität und bilden durch die Absorption von Wundsekret formstabiles Gel, welches ein feuchtes Wundmilieu erhält. Angewendet werden Alginate hauptsächlich bei Wunden mit starker Exsudation, sowie bei stark nässenden und tiefen Wunden. Werden Alginate als Tamponade verwendet, dienen Hydrokolloidverbände als Sekundärverbände. Aufgrund der hämostyptischen Wirkung sind Alginate auch für die Behandlung von blutenden Wunden geeignet. Hydrokolloide bestehen aus sehr quellfähigem Material, welches durch Wundexsudat ein Gel bildet, so ein feuchtes Wundmilieu aufrecht erhält und die Wunde luftdicht verschließt. Das Gel bindet auch Keime und abgelöste Wundpartikel. Das Gel verbleibt beim Verbandwechsel in der Wunde und muß mit Ringer- oder NaCl-Lösung ausgespült werden. Die Hydrokolloide unterstützen die natürliche Wundreinigung, die Epithelisierung und die Bildung von neuem Granulationsgewebe. Angewendet werden können Hydrokolloidverbände in allen Phasen der Wundheilung. Der Verband sollte den Wundrand um ca. 2 - 3 cm überlappen, um einerseits eine ausreichende Haftung zu gewährleisten und andererseits die umgebende gesunde Haut nicht zu mazerieren. Polyurethane besitzen eine hohe Saugkraft gegenüber Exsudat und nekrotischem Gewebe. Besonders bei schlecht heilenden Wunden werden sie eingesetzt, da der Schaumstoff in die Wunde einwachsen kann und beim Verbandwechsel durch das Abtragen der neuen Haut die Wundgranulation stimuliert werden kann. Hingegen werden die früher oft für die Wundgrundkonditionierung eingesetzten offenporigen Schaumstoffkompressen, in die Granulationsgewebe einwächst, aufgrund der schmerzhaften Verbandwechsel heute als obsolet gesehen. Hydropolymer-Verbände absorbieren das Wundsekret in ein strukturbeständiges Schwammgerüst, dadurch quillt das Material auf, allerdings ohne flüssig zu werden. Aus diesem Grund kann es beim Verbandwechsel ohne Rückstände von der Wunde entfernt werden. Anwendungsgebiete sind epithelisierende und granulierende Wunden mit geringer Wundsekretion. Hydrofaser-Verbände stechen durch ihr hohes Absorptionsvermögen hervor. Die Flüssigkeitsaufnahme erfolgt bei Hydrofasern bis zu dem 40-fachem des Eigengewichtes innerhalb weniger Minuten und ausschließlich vertikal, sodass Mazerationen im Wundrandbereich verhindert werden. Durch die Sekretaufnahme bildet sich ein formstabiles Gel, welches die Wunde feucht hält und ohne Rückstände entfernt werden kann. Angewendet werden Hydrofaser-Verbände bei stark sekretierenden Wunden. Silberverbände sind in Form von silberbeschichteten Wundauflagen heutzutage in breiter Anwendung. Allerdings ist die unkritische Applikation von silberbeschichteten Wundauflagen nicht empfehlenswert, denn eine Resistenzentwicklung und die Entstehung von Lücken im bakteriellen Spektrum sind bei prolongierter Anwendung unvermeidbar. Kurzfristig ist die Anwendung silberbeschichteter Wundauflagen bei kritisch infizierten Wunden zu empfehlen.