Forschungsergebnisse von der Tierärztlichen Hochschule Hannover heizen die Diskussion um die Ausgabe von Medikamenten unter Veterinärmedizinern weiter an. „Unangemessener Einsatz antimikrobieller Wirkstoffe“, so der Vorwurf.
Seit Menschengedenken hat sich bei Pharmakotherapien eine Trennung von Verordnung und Abgabe bewährt. Veterinärmediziner dürfen allerdings dispensieren – was im Nutztierbereich zu heftigen Kontroversen geführt hat, vor allem bei Antibiotika. Das Geflecht aus medizinischen Bedenken und wirtschaftlichen Interessen wird sich über Nacht kaum in Wohlgefallen auflösen. Neue Hiobsbotschaften von der Tierärztlichen Hochschule Hannover: Antibiotikaresistente Bakterien sind in der Produktionskette weiter verbreitet als bislang angenommen. Kürzlich untersuchten Forscher 120 Hühner. In 88,6 Prozent der Karkassen, beziehungsweise in 72,5 Prozent der Blinddarmproben, fanden sie ESBL-produzierende Bakterien. Auch war jedes zweite Tier hinsichtlich AmpC positiv. Extended Spectrum Beta-Lactamasen (ESBL) und AmpC-Beta-Lactamase inaktivieren verschiedene Beta-Lactam-Antibiotika.
Kein Einzelfall – die zunehmende Verbreitung von Resistenzen gefährdet Mensch und Tier. Mitglieder des EU-Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit fordern schon länger wirksame Maßnahmen gegen mikrobielle Resistenzen: „Diese sich abzeichnende Krise ist das Ergebnis zweier grundlegender zusammenhängender Probleme: des unangemessenen Einsatzes antimikrobieller Wirkstoffe in der Human- und Tiermedizin und einer Innovationslücke von 40 Jahren bei der Entwicklung neuer antimikrobieller Wirkstoffe, die auf die niedrige Rendite von Investitionen in Forschung und Entwicklung zurückzuführen ist.“ Multiresistente Infektionen hätten 2007 in der EU, in Norwegen und in Island zu über 2,5 Millionen zusätzlichen Krankenhaustagen und zu 25.000 Todesfällen geführt. Als mögliche Sofortmaßnahme fordern Experten, das tierärztliche Dispensierrecht zu überprüfen. „Die Berechtigung, antimikrobielle Mittel zu verschreiben, wird von der Berechtigung zum Verkauf dieser Mittel getrennt, wodurch wirtschaftliche Anreize zur Verschreibung dieser Mittel entfallen“, heißt es vom Ausschuss. Politiker sehen Dänemark als großes Vorbild: Seit 1994 hat der nördliche Nachbar Deutschlands Verschreibung und Abgabe getrennt. Tierärzte dispensieren zwar weiterhin, müssen Präparate aber selbst über Apotheken beziehen – ohne jeglichen Gewinn.
Ökonomische Aspekte beschäftigen Verantwortliche in Deutschland ebenfalls. Dazu ein paar Zahlen des Bundesverbands für Tiergesundheit: Im letzten Jahr hatte der Tierarzneimittelmarkt ein Volumen von 739 Millionen Euro – in Summe 0,4 Prozent mehr als noch 2011. Dabei legten vor allem Antiparasitika (plus 5,3 Prozent), pharmazeutische Spezialitäten (plus 2,8 Prozent) und Biologika (plus 1,6 Prozent) zu, während Antibiotikaumsätze (minus 6,5 Prozent) die Gesamtbilanz trübten. Sollte es kein Dispensierrecht für Veterinärmediziner mehr geben, befürchtet der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) „stark steigende Preise“ für veterinärmedizinische Dienstleistungen. Der „extrem kurze Vertriebsweg Hersteller – Tierarzt – Tierhalter“ stelle niedrige Kosten für Medikamente sicher. Auch sieht der bpt jeden zweiten Arbeitsplatz in Gefahr, sollte es kein Dispensierecht mehr geben. Änderungen des Status quo bewertet die Bundestierärztekammer (BTK) als „ungerechtfertigte Eingriffe in die im Grundgesetz durch Artikel 12 Absatz 1 geschützte Berufsfreiheit“. Allerdings könne durch die Mischkalkulation medizinischer und pharmazeutischer Leistungen „ein Anreiz zur Gewinnmaximierung durch Erhöhung des Arzneimittelumsatzes bestehen“.
Tierarzneimittel stoßen bei Pharmazeuten jedenfalls auf Interesse. Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) befragte jetzt 315 Apothekenleiter – zwei Drittel offerieren schon heute rezeptfreie Präparate für Haus- und Heimtiere. Kollegen halten entsprechende Angebote nicht für sonderlich lukrativ, sehen darin aber Mittel und Wege zur Kundenbindung und zur Profilierung im Wettbewerb. „Inwieweit rezeptfreie Tierarzneimittel in eine Apotheke gehören, hängt von den Wünschen der Tierhalter, aber auch von der Toleranz der Apothekenkunden, die keine Tierprodukte in der Apotheke kaufen würden, ab“, kommentiert IFH-Experte Dr. Markus Preißner. Fällt das tierärztliche Dispensierrecht tatsächlich, wollen rund 50 Prozent ihr Angebot definitiv erweitern, weitere 30 Prozent tendieren zumindest in diese Richtung. Laut dem Hessischen Apothekerverband (HAV) seien „mittlerweile viele Apotheker auch Fachleute für Tierarznei- und Pflegemittel“. Das erfuhren Kunden im Zuge einer Werbekampagne. „Mit dieser Aktion wollen wir die Bevölkerung darüber informieren, dass wir auch beim Thema Tierarzneimittel fachmännisch beraten können und nicht immer ein Besuch beim Tierarzt notwendig ist“, sagt HAV-Vize Dr. Hans Rudolf Diefenbach. Veterinärmediziner reagierten verschnupft: Dr. Ingo Stammberger, Präsident der hessischen Tierärztekammer, sprach von „ausschließlich kommerziellen Interessen“, die „weder dem Tierwohl noch dem Verbraucherschutz“ zuträglich seien.
Sowohl der bpt als auch die BTK argumentieren mit zahlreichen Vorteilen des veterinärmedizinischen Dispensierrechts. Sie sprechen von sofortiger Hilfe bei Notfällen, einer engmaschigen Vernetzung von Diagnosestellung, Therapie und Erfolgskontrolle sowie einer durchgängigen Überwachung des Verkehrs mit Tierarzneimitteln. Christian Buse, Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken (BVDVA) bewertet die Sachlage anders: „Apotheker stellen die sachgerechte Arzneimittelabgabe für Menschen sicher und können diese Verantwortung auch für Tierarzneimittel noch stärker wahrnehmen als bisher.“ In der Humanmedizin habe es sich bewährt, dass der Arzt Arzneimittel verordnet und der Apotheker die Verordnung prüft und das Medikament an den Verbraucher abgibt. „Diese Vorgehensweise – flankiert durch eine engmaschige Kontrolle durch die Arzneimittelfachbehörden – sorgt für ein Maximum an Sicherheit und Transparenz“, so Buse weiter. Weniger kämpferisch gibt sich die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. In einer Stellungnahme bewertet sie das Dispensierrecht für Tierärzte als sinnvoll. Falls der Gesetzgeber die ausschließliche Abgabe über Apotheken verlange, sei man bereit, die Aufgabe zu übernehmen, hieß es weiter. Um gegen bakterielle Resistenzen vorzugehen, gibt es auch andere Mittel und Wege.
Als Option bleibt, den Einsatz von Antibiotika transparenter zu machen, etwa über das privatwirtschaftlich organisierte QS-System. Seit 2001 werden damit Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln überwacht. Weitere Vorschläge wären, bei tierärztlichen Leistungen alle Karten auf den Tisch zu legen – durch eine separate Aufschlüsselung veterinärmedizinischer Leistungen und Kosten für Arzneimittel. Darüber hinaus kritisieren Experten die Preisgestaltung selbst: Präparate zur Anwendung bei Tieren unterliegen § 10 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV): eine Höchstpreisregelung. Um vermeintliche Interessenskonflikte erst gar nicht entstehen zu lassen, hat sich der Gesetzgeber bei Humanarzneimitteln für Festpreise entschieden – sicher auch ein Denkanstoß für Tierarzneimittel. Bleibt noch das 16. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, vom Bundesrat nach längerer Vermittlungsphase am 5. Juli endlich verabschiedet. Tierhalter müssen künftig melden, wie oft sie in ihrem Betrieb antimikrobielle Wirkstoffe einsetzen. Darüber hinaus geben bundesweite Kennzahlen die Möglichkeit eines Benchmarkings. Und nicht zuletzt werden Überwachungsbehörden der Länder mit erweiterten Kontrollbefugnissen ausgestattet.