Gewalterleben in der Kindheit ist ein starker Risikofaktor dafür, später selbst zum Opfer oder Täter zu werden. Um Frauen zu therapieren, haben sich psychodynamische Psychotherapien als sinnvoll herausgestellt.
Mädchen, die von ihren Eltern gedemütigt, vernachlässigt und missbraucht werden, haben eine unstillbare Sehnsucht nach Zuwendung und Liebe. Um ihren Zustand aushalten zu können, sehen die Kinder trotz der Ablehnung häufig das Gute in den Eltern. Aus ihrem emotionalen Hunger heraus entwickeln sie unrealistische Vorstellungen von übergroßer Liebe. Als Erwachsene suchen sie nach Partnern, die ihnen Aufregung versprechen. Viele Frauen geraten in missbrauchende Beziehungen und erleben Gewalt in der Partnerschaft. Je chronischer die Gewalterfahrungen, desto schwerwiegender sind die psychischen Folgen: 45–80% derjenigen, die Gewalt in der Partnerschaft erleben, leiden an einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Was Therapeuten bei der Therapie von Frauen aus gewaltsamen Beziehungen berücksichtigen sollten, fassten Anne Bogat et al., Universität Michigan, USA, zusammen.
In den USA zeichnen sich 10–15% der Paarbeziehungen durch Gewalt in der Partnerschaft (Intimate Partner Violence, IPV) aus. Auf dem Land und in Gruppen mit geringem Einkommen sind die IPV-Raten besonders hoch. Dabei kommen sowohl körperliche als auch psychische Gewalt vor. Einige Partnerinnen halten aus materieller Not in der gewaltsamen Beziehung fest. Doch auch finanziell unabhängige Frauen bleiben. Suchen Frauen nach Hilfe, ist der Schutz der Frau oberstes Gebot. Die vorübergehende Unterbringung in Schutzräumen, wie z. B. Frauenhäusern, kann sinnvoll sein, doch ist sie Studien zufolge nicht nachhaltig wirksam. Hilfreich können psychodynamische Psychotherapien sein, denn sie berücksichtigen auch die persönliche Geschichte der Frau, die sie häufig in eine gewaltsame Beziehung gebracht hat. Anne Bogat et al. interviewten 15 Frauen aus gewaltsamen Beziehungen; alle Frauen waren Teilnehmerinnen einer Langzeitstudie zu den Folgen der Gewalt in der Partnerschaft. Die Autoren stellten immer wieder fest, dass die Frauen gewaltsame Übergriffe in der Anamnese zunächst gar nicht erwähnten oder herunterspielten. Daher sei es empfehlenswert, immer wieder vorsichtig, aber genau nach gewaltsamen Auseinandersetzungen zu fragen. Nach McCloskey und Grigsby 2005 haben sich folgende Fragen bewährt:
Den meisten gewaltsamen Situationen ging ein Streit voraus. Emotionaler und körperlicher Missbrauch gehen dabei Hand in Hand. 8 von 15 Frauen berichteten davon, dass ihr Partner androhte, ihnen Schaden zuzufügen. Mit Drohungen kontrollieren die Partner das Verhalten der Frauen. Sie versuchen auch, die Frau von Freunden und der Familie zu isolieren. 14 der 15 befragten Frauen berichteten über körperlichen Missbrauch. Bogat et al. erklären, dass bei einem Drittel der gewalttätigen Paare gegenseitige Gewalt vorkommt. Die Gewalt sei in diesen Fällen häufig "mild bis moderat"; es handele sich zumeist um "situative Gewalt". Wird die Frau gewalttätig, so handelt es sich oft – aber nicht immer – um gewaltsamen Widerstand. In dieser Studie war dies bei 8 von 15 Frauen der Fall. In der Regel sind die körperlichen Verletzungen, die Frauen infolge der Gewalt ihres Mannes davontragen, weitaus schwerer als die Verletzungen des Mannes durch die Gewalt der Frau. Obwohl die Frauen immens leiden, ist es oft schwer, Veränderungen herbeizuführen. Die Frau hat unter Umständen relativ effektive Coping-Strategien entwickelt, um mit der Situation zurechtzukommen und redet die Gewalt klein. Manchmal hilft ihr die Gewalt auch, eigene Schuldgefühle zu minimieren. Frauen, die ihren Partner schließlich doch verlassen, sind oft weiterhin in Gefahr, Stalking und gewaltsame Übergriffe zu erleben. Besonders groß ist die Gefahr, wenn die Frau den Partner in der Schwangerschaft verlässt.
Aus ihren Interviews ermittelten Bogat et al., dass die drei häufigsten Gründe für einen Streit Eifersucht, Erziehungs- und Geldfragen waren. Fünf Frauen sagten aus, dass die Gewalt mit Alkoholmissbrauch verbunden war. Psychische Gewalt geht besonders häufig von antisozial und narzisstisch strukturierten Partnern aus. 10 der 15 befragten Frauen bemerkten, dass sie mit ihrem Verhalten der Gewalt Vorschub leisteten. Gleichzeitig glauben viele Frauen jedoch auch, dass sie die Gewalt des Partners stoppen könnten, wenn sie sich nur stark genug bemühten. Diese Vorstellung trägt zum Haftenbleiben in der Partnerschaft bei. Hier ist es wichtig, dass der Therapeut zusammen mit der Patientin die Kollusionen, also das unbewusste Zusammenspiel, identifiziert. Allerdings können die Auslöser der Gewalt nicht immer identifiziert werden – besonders bei antisozial strukturierten Männern kommt es immer wieder zu unvorhersehbarer Gewalt. Ziel der Therapie ist es, die Gewalt zu minimieren. Der Aufbau eines sozialen Netzes ist dabei unerlässlich. In der psychodynamischen Psychotherapie können außerdem die sogenannten "inneren Arbeitsmodelle" der Frau untersucht werden. Therapeut und Patientin arbeiten heraus, wann die Patientin Aggressionen in der therapeutischen Beziehung erwartet. Dabei kann die Frau neue, sichere Beziehungskonstrukte aufbauen. Die Therapie wird zu einem haltgebenden Raum, in dem die Frau eine neue Vorstellung von ruhigen Beziehungsformen entwickeln kann.