28.500 Deutsche studieren in Österreich. Schöne grenznahe Städte, kein NC, keine Sprachbarriere - der Zustrom ist groß. Doch welche Auswirkungen hat diese Migration für das österreichische Gesundheitssystem und auf die Arbeitsbedingungen österreichischer Jungärzte?
„Ich sag dankeschön und auf Wiedersehen“ – das scheint das Mantra vieler ausländischer Medizinstudenten in Österreich zu sein – in Scharen strömen sie nach Abholung des Promotionsbescheids zurück in ihre Heimatländer oder weiter fort. Ursachen dafür gibt es viele, Folgen ebenso. Eine Bestandsaufnahme. „Ich gehe wieder nach München, dort lebt meine Familie, dort habe ich noch einen großen Freundeskreis und den Turnus möchte ich mir sparen“ erzählt mir Marta, ein halbes Jahr vor ihrem voraussichtlichen Studienabschluss an der medizinischen Universität Wien. Turnus – eine dreijährige postgraduelle Ausbildungszeit, gesetzliche Voraussetzung zur selbstständigen Arbeit als Allgemeinmediziner, Unikum in Österreich, Streitthema der (Ärzte-)Politik und – ein Hauptargument für viele, nach absolviertem Studium ins Ausland zu gehen. Eine Erhebung des Instituts für Höhere Studien aus dem Jahr 2011 hat ergeben, dass insgesamt nur jeder dritte ausländische Medizinstudent später einmal in Österreich seine Medizinerlaufbahn beginnen möchte. In welchem Studienabschnitt diese Umfrage durchgeführt wurde, ist leider nicht vermerkt. Auch muss man erwähnen, dass explizit nach Plänen gefragt wurde. Und bekanntlich kommt es ja oft anders, als man vorher dachte. Auch interessant wäre der Anteil österreichischer Medizinabsolventen, die die Weichen ihrer weiteren Berufslaufbahn ins Ausland stellen. Eine genaue Zahl gibt es auch hier nicht, aber aus Gesprächen mit Studienkollegen lässt sich ableiten, dass dies schon etwa 15 % sein werden. Was sind nun die Gründe für diese hohe Zahl an Heimkehrern und den geschätzt hohen Anteil an „Österreich-den-Rücken-Kehrern“? Hoamreara – mit diesem Ausdruck werden im österreichischen Dialekt „Heimwehgeplagte“ tituliert. Spielt dieses Motiv wirklich eine Rolle in der Entscheidungsfindung, wohin es nach dem Studium gehen soll? „Selbstverständlich reißt der Kontakt nach Hause nicht ganz ab – aber die Bänder, die verbinden, werden dünner, je seltener man heimkehrt. Wer im Ausland studiert, der lernt auch, selbstständig zu sein, eigene Ideen zu entwickeln und sich in einem fremden Umfeld durchzusetzen. Ja, ich gehe zurück nach Deutschland, aber wegen der Ausbildung, nicht wegen der Familie. Leider muss ich das schöne Wien verlassen“, so ein Kommilitone aus Freiburg. Aus seinen Worten hört man Selbstständigkeit und Durchsetzungskraft heraus, zwei gefragte Eigenschaften beim Weg hinaus aus dem Elfenbeinturm des (Medizin-)Studentenlebens hinein in den Berufsalltag, aber auch unterschwellige Kritik am österreichischen Ausbildungssystem. Denn wirklich ausladend ist wohl die verpflichtende dreijährige Turnusausbildung in Österreich. Die alte Litanei der schlechten Arbeitsbedingungen für Jungärzte hat sich weit über die österreichischen Grenzen hinaus herumgesprochen: Schlechte Ausbildung während der Turnuszeit, lange Arbeitszeiten, mittelmäßiges Gehalt. Es ist zwar möglich, in Österreich direkt eine Facharztstelle zu bekommen, aber nicht die Regel. Möglichkeiten bieten sich, wie auch in Deutschland, in ländlichen Gebieten. Aufgrund fehlender Attraktivität ist es hier äußerst schwer geworden, Ärzteposten aller Positionen neu zu besetzen. Mit einem abgeschlossenen Studium wird man, zumindest auf dem Land, mit offenen Händen empfangen.
Die aktuellen Entwicklungen haben dazu beigetragen, dass das österreichische Ausbildungssystem für Ärzte an allen Ecken und Enden bearbeitet wird – eine vierte (oder je nach Standpunkt fünfte) medizinische Fakultät am Standort Linz (neben den Studienorten Wien, Graz, Innsbruck und der Paracelsus Medizinische Privatuniversität in Salzburg) wird - trotz zahlreicher kritischer Stimmen - kommen, das Praktische Jahr wird in die Curricula der medizinischen Fakultäten integriert, damit einhergehend soll der Turnus abgeschafft und durch eine neunmonatige Basisausbildung ersetzt werden. Es scheint, als ob die Situation im österreichischen Gesundheitssystem nun alarmierend genug geworden ist, um die Politik zum Handeln zu zwingen. Wie lauten nun weitere Wunschvorstellungen, was geändert werden muss? Jedem Jungarzt könnte ein Oberarzt als fixe Ansprechperson zur Seite gestellt werden, sozusagen als Mentor, eine Win-Win-Situation, denn gerade durch teaching lernt man selbst. Mehr Schreibkräfte und Logistiker in den Stationsleitungen, so können Jungärzte zukünftig auch wirklich das anwenden, was sie in ihrem Medizinstudium gelernt haben. Die Verantwortlichkeiten für das Anhängen von Infusionen, Blutabnahmen und Kanülen werden komplett auf die Schwesternschaft übertragen, die wiederum Pflegetätigkeiten auf Pflegefachkräfte übertragen, von welchen im Umkehrschluss mehr ausgebildet werden müssten. Dies würde zu einer Optimierung der Verantwortlichkeiten führen. Doch wie so oft werden viele dieser Wunschvorstellungen finanziell nicht realisierbar sein. Apropos das liebe Geld. Lasst uns auch die die finanziellen Aspekte der Studentenmigrationen beleuchten: 106.788 Euro kostet den Staat Österreich ein Studiumsplatz durchschnittlich, diese Kosten trägt der österreichische Steuerzahler. Innerhalb der europäischen Union werden in allen Mitgliedsstaaten Inlands- wie Auslandsstudierende gleich behandelt, auf Österreich umgelegt bedeutet das ein Gratisstudium für alle (der Minimal-Hochschülerschaftsbeitrag von 18€ ist hier kaum der Rede wert). Das wäre auch für einen österreichischen Studenten in Deutschland der Fall. Doch bei Paarungen mit Ländern, in denen teils immense Studiengebühren erhoben werden, wie zum Beispiel Großbritannien (ca. 10.700 € pro Jahr), verschiebt sich das Bild. Da klafft doch schon eine große finanzielle Lücke.
Doch erweitern wir unseren Radius noch etwas und beziehen die 6 % zahlungspflichtigen Nicht-EU-Bürger mit ein, die in Österreich studieren. Hier werden die Differenzen teils horrend, als reißerisches Extremum sei hier ein Vergleich zwischen MedUni Wien mit 726,72 € Semester-Studienbeitrag versus New York University mit umgerechnet etwa 30.000 € genannt. Recht praxisrelevant sind diese Rechenbeispiele für die Studienrichtung Medizin nicht, sehr wohl aber für andere Studiengänge mit hohem internationalen Niveau, wie etwa Violine am Mozarteum in Salzburg. Auch in milderen Ausformungen entsteht jedenfalls für den österreichischen Staat eine finanzielle Schieflage, die umso mehr in den Abgrund führt, da die österreichischen Universitätsrektoren seit langem ein Klagelied über das liebe fehlende Geld anstimmen. Dieses Problem ist ein Mosaikstein im Gesamtbild der schwierigen Stiuation des Bildungssektors in Österreich. Und es geht immer ums liebe Geld. Ein weiteres Steinchen wären die Zulassungsbedingungen für das Medizinstudium in Österreich - eine Zerreißprobe für das nachbarschaftliche Verhältnis. Dem Ansturm höchst motivierter ausländischer Medizinstudenten, darunter viele NC-Flüchtlinge, schiebt die österreichische Legislative einen Riegel vor, 25 % dürfen es maximal sein. Das wird von der Europäischen Union zumindest bis 2016 geduldet. Es ist die Aufgabe Österreichs, bis dahin Argumente für deren Beibehaltung zu finden. Folgendes Argument für deren Beibehaltung klingt doch ganz einleuchtend: wenn die Quote aufgehoben wird, dann würde der österreichische Staat noch mehr deutsche (oder andere ausländische) Ärzte ausbilden – wie oben erwähnt in zwei Drittel der Fälle wohl ohne finanziellen Rückgewinn. Dieser Verlust, gekoppelt mit noch weniger Nachschub an Jungärzten, würde in einer ernstzunehmenden Gefährdung der Gesundheitsversorgung resultieren. Das Problem der „asymmetrischen Studentenmobilität“ ist auch in anderen EU-Ländern präsent, Österreich geht auf internationalem Parkett Bündnisse mit Leidensgenossen wie Schweden, Dänemark, Belgien und Tschechien ein, um seine Position zu stärken. Die Grundfrage: Wie benachteiligt man junge deutsche Bürger ohne junge österreichische Bürger zu sehr zu bevorzugen? EU-Bürger sind wir ja alle - ein Tanz auf Messers Schneide.
Es zwickt und zwackt also beinahe überall, das Ausbildungssystem für Mediziner, so wie es derzeit in Österreich ist, wird auf Dauer nicht funktionieren. Viele Steine sind nun ins Rollen gekommen, grundlegende Ausbildungskonzepte werden neu überarbeitet, es ist zu hoffen, dass die Maßnahmen auch greifen werden, damit die derzeit wirklich schlimme Situation besser wird.