Geringverdiener haben durch Mehrarbeit am Ende des Monats nicht unbedingt mehr Geld auf dem Konto. Hohe Steuern und andere Abzüge sorgen dafür, dass davon kaum etwas übrig bleibt. Viele Berufe im Gesundheitsbereich sind betroffen. Es ist Zeit für Reformen.
Angestellte, die eine abgeschlossene Berufsschulausbildung im medizinischen Bereich vorzuweisen haben, zählen nicht gerade zu den Top-Verdienern. Medizinische Fachangestellte steigen beispielsweise mit einem Gehalt von 1.725,22 Euro brutto pro Monat ein. Bei Zahnmedizinischen Fachangestellten sind es 1.844,50 Euro. Pharmazeutisch-Kaufmännische Angestellte kommen zu Anfang ihrer Berufslaufbahn auf monatlich 1.753,00 Euro. Aber auch mit einem Fachschulabschluss sieht es kaum besser aus, wie ein Blick auf die Gehälter der Pharmazeutisch-technischen Assistenten zeigt, ihr Einstiegsgehalt liegt bei 2.017,00 Euro im Monat, Medizinisch-technische Assistenten bekommen zunächst 2.372,68 Euro (TV-L, Entgeltgruppe 7). Neue Untersuchungen des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) zeigen, welchen Effekt Steuern und Sozialabgaben bei unterschiedlichem Einkommen haben. Gerecht geht allerdings anders: Gerade wenn es um Mehrarbeit und Gehaltszuwächse geht, gucken Geringverdiener in die Röhre.
Grundlage für die Berechnungen des ZEW ist die effektive Grenzbelastung ausgewählter Musterhaushalte. Diese gibt an, welcher Anteil eines zusätzlich verdienten Euros letztendlich auf dem eigenen Konto landet. Abzüge entstehen dabei durch Steuern oder Beiträge zur Sozialversicherung, aber auch durch den Wegfall von Sozialleistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag: Diese Grenzbelastung verläuft – anders als bei der Einkommensteuer – nicht progressiv, Gehaltszuwächse bei den besser Verdiendenden werden also tendenziell weniger belastet als die der Geringverdiener. Den Berechnungen zufolge bleibt in einem Singlehaushalt mit einem jährlichen Bruttoeinkommen von 17.000 Euro von einem zusätzlich verdienten Euro nichts übrig. Bei 75.000 Euro brutto pro Jahr können sich Arbeitnehmer hingegn über 56 Cent pro Euro freuen, bei 90.000 Euro sind es sogar 66 Cent. Auch bei Alleinerziehenden mit niedrigem Lohn fällt die Belastung recht hoch aus. Wer pro Jahr brutto auf 23.800 Euro oder weniger kommt, verliert mehr als 60 Prozent des Zugewinns. Erst ab rund 41.000 Euro sinken die diversen Abgaben auf 44 Prozent. „Mehr Arbeit und Lohn müssen sich für die Krankenschwester genauso auszahlen wie für den Unternehmensberater“, erklärt Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. „Dass sich mehr Erwerbsarbeit lohnt, ist eines der zentralen Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft.“
Den Studienautoren zufolge müsse das System aus Einkommensteuer, Sozialabgaben und Transferleistungen also besser aufeinander abgestimmt werden, um Anreize für mehr Erwerbsarbeit zu schaffen. Sie fordern, Transferleistungen zu harmonisieren. Außerdem sei es sinnvoll, dass Ehegattensplitting zu reformieren und stattdessen auf ein Realsplitting zu setzen. Mit einem solchen Ansatz würden die Ehepartner „im Grundsatz individuell besteuert“, heißt es in einer Mitteilung zur Studie. So würde ein Realsplitting „insbesondere für Frauen […] ihre Erwerbsbeteiligung erhöhen“, erklärt Manuela Barišić, Projektleiterin der Bertelsmann Stiftung.