Nano - ein Wort, das Ihr bestimmt schon gehört habt. Ob winziger mp3-Player eines US-Großkonzerns oder hauchdünne Beschichtung auf der Kleidung. Auch die Medizin setzt auf Nanotechnologien. Wir zeigen Euch, wie Nanoteilchen zunehmend die Medizin erobern.
Sandra liegt ruhig atmend auf dem Rücken. Die junge Frau ist wach und wirkt ganz entspannt, als sie in einen großen weißen Kasten gefahren wird, der ihren Kopf komplett umschließt. Ein leises Summen ertönt – das Zeichen zum Therapiebeginn. In einer genau abgegrenzten Region ihres Gehirns beginnt nun die Temperatur bis auf 42 Grad zu steigen. Die Hitze sorgt dafür, dass an dieser Stelle entartetes Gewebe zugrunde geht. Sandras bösartiger Hirntumor soll so wegschmelzen, während gesunde Zellen geschont werden. Dies ist keine Vision mehr, sondern Wirklichkeit. Etwa eine Stunde dauert die Behandlung, die in der Berliner Charité durchgeführt wird. Zweimal pro Woche kommt Sandra in die Klinik, nach sechs Sitzungen ist die Behandlung abgeschlossen. Die Patienten bleiben dabei völlig ohne Schmerzen und verspüren zumeist nur ein leichtes Wärmegefühl. Eine neuartige Krebstherapie nutzt speziell fabrizierte Teilchen aus Eisenoxid, die so klein sind, dass 3.000 Stück nebeneinander nur knapp die Breite eines Haares erreichen. Die kleinen Krebskiller zählen zu einer noch jungen Forschungs- und Therapierichtung, von der Großes erwartet wird: der Nanomedizin. Sie arbeitet mit winzigen Strukturen, die im Bereich von ein bis hundert Nanometern liegen. Dieser Größenbereich eröffnet eine völlig neue Möglichkeit, ganz gezielt und kontrolliert in den menschlichen Organismus einzugreifen.
Aber was genau ist eigentlich nano? Nano ist an den griechischen Begriff „nanos“ angelehnt, welcher übersetzt soviel wie Zwerg bedeutet. Mit „nano“ gibt man den milliardsten Teil eines Meters an, ein Nanometer entspricht also 10-9 m = 0,00000001 m. So klein sind die Dimensionen, in denen sich die Nanomedizin bewegt. Zum Vergleich: der Durchmesser eines menschlichen Haares misst ca. 50.000 Nanometer und ist gerade noch sichtbar. Ein Nanometer verhält sich zu einem Meter wie der Durchmesser eines Tennisballs zu dem der Erde – winzig kleine Dimensionen also, die nur durch sehr aufwändige Verfahren wie Elektronen-, Rastertunnel- und Kraftmikroskopie dargestellt werden können. Als Geburtsstunde der Nanotechnologie gilt eine Rede von Richard P. Feynman aus dem Jahr 1959: „ Stellen Sie sich vor, wir könnten ein winzig kleines Ding herstellen, das genau das macht, was wir wollen...“. Feynman zeichnete damals die Vision einer Wissenschaft, die belebte und unbelebte Materie miteinander verbindet, indem sie sich dem Grund aller Vorgänge nähert – der atomaren Ebene. Heute hat die Nanotechnologie nicht nur in der Wirtschaft große Bedeutung erlangt, auch in der Medizin kommt sie immer häufiger zum Einsatz. Hier gibt es besonders große Erwartungen und Hoffnungen an die winzig kleinen Teilchen. Im Jahr 2006 waren bereits über 100 Medikamente und Geräte mit nanomedizinischer Anwendung auf dem Markt. Es gibt zahlreiche Bereiche, in denen Nanotechnologie zum Wohle des Menschen in Zukunft eingesetzt werden kann. Nanoskalige Medikamente sollen effektiver an den Zielort im Körper gelangen und dort zugleich stärker wirken. Nano-Transportsysteme sollen Arzneien und Diagnostika ähnlich einem Passagier im Taxi gezielt am Krankheitsherd abliefern. Nano-Diagnostika machen krankes Gewebe in bildgebenden Untersuchungsverfahren besser sichtbar. Kliniklabore schrumpfen zu nanostrukturierten Chips im Kreditkartenformat – tragbar und einfach zu bedienen. Implantate mit nanostrukturierter Oberfläche betten sich verträglicher ins Körpergewebe ein. Und und und. Laut dem Marktforschungsinstitut Lux Research birgt die Nanomedizin ein enormes Wertschöpfungspotential. Es soll bis 2015 auf 310 Milliarden Dollar ansteigen. Auch andere Marktforscher prognostizieren der Branche ein jährliches Wachstum von 20 %.
In der Pharmazie will man mithilfe der Nanotechnologie vor allem die Dosierbarkeit und Wirksamkeit von Medikamenten verbessern. Dazu versucht man, eine Art Nanokapsel zu bauen, die ihren Inhalt nur in Gegenwart bestimmter Auslösermoleküle an einem genau definierten Zielort freisetzt. Man forscht beispielsweise schon an Kohlenstoff-Nano-Kugeln, sogenannten Fullerenen oder Bucky Balls, die als Trägerstoff für Wirkstoffe dienen können. Diese Nanotaxis sind aus 60 Kohlenstoffatomen fußballförmig aufgebaut, die wie eine Hohlkugel in ihrem Inneren bestimmte Wirkstoffe einschließen können. Eingesetzt werden sie beispielsweise auch schon in manchen Anti-Aging-Cremes. Die spezielle Struktur der Kohlenstoffbälle weist eine hohe Anziehungskraft für freie Radikale auf – hochreaktive Verbindungen in den Hautzellen, die die Zellalterung vorantreiben. Werden die Radikale durch die Kohlenstoffkugeln abgefangen und gebunden, altert die Haut weniger schnell. Doch auch in der Krebstherapie erhofft man sich einen zukünftigen Einsatz der Fullerene. Sie sollen gezielt toxische Medikamente zu den Tumorzellen befördern und diese abtöten. Die Größe der etwa 200 nm großen Kohlenstoffkapseln spielt dabei eine entscheidende Rolle: Sie sind klein genug, um die porösen Blutgefäße der Tumore zu durchdringen, aber zu groß, um die Blutgefäße des gesunden Gewebes zu passieren. Die Oberflächen der Kapseln werden mit speziellen Molekülen bestückt, welche entartete Tumorzellen direkt erkennen können. Dies hat entscheidende Vorteile: Die giftigen Wirkstoffe der Chemotherapie können dadurch viel weniger Schaden im gesunden Gewebe anrichten, weil die Wirkstoffe innerhalb der Kapseln solange verborgen bleiben, bis sie das Krebsgewebe erreichen. Die vielen unangenehmen Nebenwirkungen der Chemotherapie lassen sich somit minimieren. Man benötigt auch geringere Dosierungen der jeweiligen Wirkstoffe, da diese viel zielgerichteter eingesetzt werden können. Natürlich lässt sich diese Technik des spezifischen Wirkstofftransports nicht nur in der Krebsmedizin anwenden. Da die Nanoteilchen so klein sind, dass sie – anders als viele herkömmliche Medikamente – die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme überwinden können, eignen sie sich zum Beispiel auch zur Therapie von neurologischen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson.
Doch Nanoteilchen eigenen nicht nur als Transportmittel für Medikamente. Auch die Beschichtung einer Oberfläche mit den winzigen Teilchen bringt Fortschritte in der Medizin. Nanobeschichtete Oberflächen können zum Beispiel bei der Bekämpfung resistenter Bakterienstämme in Krankenhäusern von Bedeutung sein. Hierfür könnte in Zukunft verstärkt Nano-Silber zur Anwendung kommen, mit dem medizintechnische Geräte, Krankenhausmobiliar, Wände oder Fußböden beschichtet werden sollen. Bereits heute werden Wundverbände mit Nano-Silber beschichtet, etwa bei der Behandlung von Verbrennungen. Die ultrafeinen Silberpartikelchen wirken antimikrobiell, indem sie den Stoffwechsel von Bakterien und Pilzen hemmen und diese dadurch abtöten. Da sie sich im Nano-Bereich befinden, können sie Zellwände und Zellmembranen der Schädlinge gut durchdringen und im Zellinneren ihre gefährliche Wirkung viel stärker entfalten als größere Silberteilchen. Als Nanobeschichtung eignet sich aber nicht nur Nano-Silber. Für Knochen- und Zahnimplantate nutzt ein deutsches Unternehmen bereits eine Paste aus nanokristallinem Hydroxylapatit für die Oberflächenbeschichtung. Die Implantate scheinen dadurch schneller zu härten, besser einzuwachsen und ihre Lebensdauer zu verlängern.
Ein sehr vielversprechendes Verfahren im Kampf gegen Krebs ist die nanomedizinbasierte Hyperthermie. "Die Hyperthermie wird zur vierten Säule der Krebstherapie werden – neben der Chirurgie, der Strahlentherapie und der Chemotherapie", proklamierte jüngst Michael Bamberg, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft. Einige Studien belegen bereits erste Erfolge: Brustkrebs, Sarkome, auch Hautkrebs, Hirntumore, Darm- und Gebärmutterhalskrebs drängt die gezielte Wärmebehandlung zurück. Die Wärmebildung macht den Krebs verwundbarer gegenüber den gängigen Waffen der Krebsmedizin. Die Reparaturmechanismen der Krebszellen werden ausgebremst und sie sterben leichter ab. Peter Wust, Krebsmediziner an der Berliner Charité, ist überzeugt, dass die Nanotherapie für bestimmte Patienten deutliche Verbesserungen bringt. Er warnt aber auch: „Trotz großer Erfolge steht der Durchbruch noch aus." Bisher sprechen nur Patienten auf die Therapie an, deren Tumore 1-2 cm messen. In größere Geschwüre lassen sich die Nanomagnete noch nicht in ausreichender Dichte einbringen. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Hyperthermie auch nur in Einzelfällen.
Eine weitere interessante Anwendungsmöglichkeit der Nanotechnologie offenbart sich im Bereich der Diagnostik. Mithilfe des sogenannten „Magnetic Particle Imaging“ (MPI) können Herz und Blutgefäße sozusagen „live“ bei der Arbeit gefilmt und genauestens studiert werden. Herzmuskelschwäche oder verkalkte Arterien könnten so schon bald non-invasiv und innerhalb kürzester Zeit vom Arzt aufgespürt werden. Zudem könnte man auch Tumorgewebe mit Erkennungsmolekülen aufspüren und genau lokalisieren. Auch beim MPI kommen magnetische Eisenoxid-Nanopartikel zum Einsatz, die dem Patienten als Kontrastmittel gespritzt werden. Das neue Bildgebungsverfahren funktioniert anders als die verbreitete Magnetresonanztomografie (MRT), obwohl beide Geräte ähnlich aussehen. Man arbeitet inzwischen auch daran, Nanotherapie und –diagnostik miteinander verschmelzen zu lassen. So könnten jene Partikel, die den Tumor anzeigen, das Geschwür dann nachträglich mittels Hyperthermie aufheizen und helfen, es zu besiegen. Die Kombination könnte sich in Zukunft als wahrer Krebskiller herausstellen.
An all den unterschiedlichen Einsatzorten könnten die kleinen Nano-Zwerge in Zukunft Großes bewegen. Doch klingt es nicht zu schön, um wahr zu sein? Jedes Medikament und jede Therapie hat bestimmte Risiken und Nebenwirkungen. Was für Gefahren birgt also die Nanomedizin? Nanopartikel sind im Alltag grundsätzlich nichts Neues, da sie in der Natur seit jeher durch verschiedene Verbrennungsprozesse in der Luft vorkommen und im Grunde alles auf Nano-Teilchen aufgebaut ist. Aber man sollte wissen, dass sich Nanomaterialien in ihren physikalisch-chemischen Eigenschaften wie zum Beispiel der Leitfähigkeit, Festigkeit oder Löslichkeit sehr häufig von größeren Teilchen des gleichen Stoffes unterscheiden. Da man die neuartigen Charakteristika der nanoskaligen Paritkel oft noch nicht kennt bzw. in ausreichendem Maße studiert hat, weiß man nicht, welche Auswirkungen sie auf den menschlichen Körper haben oder in Zukunft haben könnten. Somit ist bei neuen nanomedizinbasierten Diagnostika und Therapien immer eine gewisse Vorsicht und genaue Beobachtung geboten. Die Risikoforschung im Bereich der Nanotechnologien ist ein stark wachsendes Gebiet. Manche Kritiker behaupten, dass bestimmte Nanomaterialien Entzündungen und Krebs hervorrufen, Organe und das Erbgut schädigen oder sich im Körper anreichern könnten. Aufgrund ihrer kleinen Größe wären sie besonders mobil und könnten leicht in den Körper, in den Blutkreislauf und in die Organe gelangen. Sie könnten oft sogar körpereigene Schutzbarrieren wie die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Ihre große Oberfläche bewirkt eine hohe chemische Reaktivität, was zu einer hohen Giftigkeit führen könne.
Manche wissenschaftliche Studien unterstellen auch den in der Nanomedizin verwendeten Materialien eine potentiell gesundheitsgefährende Wirkung. Nano-Silber beispielsweise führte im Tierversuch bei Aufnahme über die Atemluft zu Schädigungen der Lunge. Bei Versuchen an Zellkulturen wirkten Nano-Silber-Partikel giftig auf Stammzellen von Mäusen sowie Gehirn- und Leberzellen von Ratten. Die toxische Wirkung ist wohl richtig, dennoch sollte man aber auch bedenken, dass das Nano-Silber in beschichteten Materialen fest gebunden ist und es wohl kaum zu einer freien Aufnahme über die Atemluft kommt. Die Gefahr bei der breiten Anwendung von Nano-Silber in Alltagsprodukten ist eher, dass gefährliche Erreger Resistenzen gegenüber Silber entwickeln und damit der Einsatz von Silber als natürliches Breitbandantibiotikum im medizinischen Bereich gefährdet wird. Dennoch: Um auf den Markt zu gelangen, müssen die nanomedizinischen Substanzen dieselben umfangreichen Sicherheitsprüfungen bestehen, wie herkömmliche Medikamente und Medizinprodukte auch.
Im Medizinstudium wird man heutzutage eher selten mit Nanomedizin konfrontiert. Wir haben zwei Medizinstudenten getroffen, die sich jetzt schon Gedanken über die junge Richtung der Medizin gemacht haben. Adrian Zerpich, der im vierten Semester in München studiert, ist momentan noch eher skeptisch gegenüber der Nanomedizin: „Das Blaue vom Himmel sollte man sicherlich nicht erwarten. Von heute auf morgen geht nichts. Ja, das Potential der Nanomedizin mit all ihren Anwendungsmöglichkeiten ist groß. Aber vieles wird wohl, wie es in der Medizin bei neuen Entwicklungen häufig der Fall ist, an der Rentabilität scheitern. Die meisten nanomedizinischen Projekte befinden sich noch im Stadium der Grundlagenforschung. Eine Hyperthermie-Behandlung, wie sie von Firmen durchführt wird, beläuft sich momentan auf Kosten bis zu 15.000 € pro Sitzung. Und solche Therapieformen werden nur in seltenen Fällen von Krankenkassen übernommen. Bis man wirkliche Erfolge der Nanomedizin sehen wird, werden bestimmt noch Jahre vergehen. Trotzdem ist das Gebiet sehr spannend und sollte definitiv weiterverfolgt werden.“ Elisa Rohbauer, die in Erlangen studiert, erzählt uns, dass an ihrer Uni Nanomedizin sogar als Wahlfach angeboten wird: “Prof. Dr. Christoph Alexiou, Leiter der Sektion für experimentelle Onkologie und Nanomedizin der HNO-Klinik, stellt dabei neue Ansätze in der Tumortherapie vor. Von dem, was ich bisher gelernt habe, stehen uns in der Nanomedizin wohl noch einige bedeutende Erfolge bevor. Eisenhaltige Nanopartikel und fokussierte Magnetfelder könnten in Zukunft die Behandlung von Krebspatienten deutlich verbessern und gleichzeitig die Nebenwirkungen der Chemotherapie eliminieren und somit auch Kosten im Gesundheitswesen reduzieren. Bis diese Technik zur Anwendung kommt, wird wohl noch einige Zeit vergehen, aber erste Tierversuche des Lehrstuhls zeigen bereits große Wirksamkeit. Ich habe vor, in diesem Gebiet meine Doktorarbeit zu schreiben. Man kann hier noch so viel entdecken und entwickeln. Die bisherigen Verfahren müssen verbessert und für die Anwendung am Menschen optimiert werden. Da steckt noch so viel Potential drin, man muss es nur ausschöpfen. Wie Prof. Alexiou immer sagt: man hofft auf die drei G’s in der Forschung: Glück, Geld und Geduld.“
In Wien kann man sogar seit letztem Jahr den Masterstudiengang NanoBiosciences & NanoMedicine belegen. Es werden revolutionäre Ansätze für Tumortherapie, „Drug-Delivery“ Systeme, Tissue Engineering, Bioverträglichkeit von Materialen, Sensorik und Anwendungen nanoanalytischer Methoden in der Diagnostik behandelt. Im Studiengang werden ebenso die Risiken der Nanotechnologie thematisiert und kritisch betrachtet. Man sollte über gute Englischkenntnisse, Forschergeist und Interesse an nanomedizinischen Themen verfügen. Die Einrichtung erster Studiengänge zur Nanomedizin zeigt zumindest, wie gefragt das Thema derzeit ist. Weiterführende Links: