Immer seltener erkranken Menschen weltweit an Diphtherie. Zahlreiche Hersteller haben sich daher aus der Produktion des Antidots zurückgezogen. Müssen Ärzte dennoch Patienten behandeln, bleibt ihnen nur der Import von Präparaten, die in der EU nicht zugelassen sind.
In Deutschland erreichte die letzte große Diphtherie-Welle zwischen 1942 und 1945 ihren Höhepunkt. 1958 sank die Erkrankungszahl unter 10.000, 1964 unter 1.000. In den 50er-Jahren starben 4.302 Menschen, und in den 60er-Jahren noch 273 Menschen an Diphtherie. Aufgrund der hohen Impfquoten im Kindesalter werden seit 1984 nur noch Einzelfälle durch Meldung erfasst. Zwischen 2002 und 2011 waren insgesamt 21 Personen von der Infektionskrankheit betroffen. Ähnlich positive Trends meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO. Einem Bericht zufolge habe sich die Zahl infizierter Patienten von 100.000 auf rund 5.000 pro Jahr verringert. Wer erkrankt, erhält neben Antibiotika vor allem ein Antidot.
Für Ärzte und Apotheker wird es allerdings immer schwieriger, geeignete Präparate zu beschaffen. Viele Firmen haben ihre Produktion aufgrund der sinkenden Nachfrage eingestellt. Obwohl das Antidot auf der Liste unentbehrlichen Arzneimittel steht, gibt es in der EU derzeit keine zugelassenen Präparate. Apothekenleiter sind gemäß § 15 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) verpflichtet, Präparate kurzfristig zu beschaffen – etwa über Notfalldepots der Landesapothekerkammern. Woher diese die Präparate bekommen sollen, ist eine andere Frage. Das deutsche Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (Paul-Ehrlich-Institut) berichtet aktuell von Engpässen. Bereits im Oktober 2016 schlug eine WHO-Expertengruppe Alarm. Weltweit komme es immer häufiger zu Lieferengpässen. Einem spanischen Kinderarzt ist es beispielweise nicht zeitnah gelungen, seinen Patienten mit dem Diphtherie-Antitoxin zu versorgen. „Auch wenn die Erkrankung aufgrund der hohen Impfquote in Europa nur noch selten auftritt, muss weiterhin mit Einzelfällen gerechnet werden“, heißt es in einer Stellungnahme der Gesundheitsministerkonferenz (GMK). Man betrachte den derzeitigen Versorgungsmangel auf europäischer Ebene „mit großer Sorge“. Gleichzeitig werde die Bundesregierung gebeten, „kurzfristig auch auf europäischer Ebene Lösungswege zu entwickeln, um dem aktuellen Versorgungsmangel konkret begegnen zu können“. Seitdem ist nichts passiert. Damit bleiben nur noch Hersteller aus Nicht-EU-Ländern.
Momentan bieten vor allem Microgen aus Russland, IndiaMART InterMESH aus Indien oder das Institutio Butantan aus Brasilien das Toxin an. Ihre Präparate sind EU-weit aber nicht zugelassen. Rein juristisch haftet nicht der Importeur, sondern der Arzt und der Apotheker. Mediziner warten vergebens auf europaweite Lösungen.