Pünktlich zum Wahlkampf starten Elternvereine eine bundesweite Petition. An seinem ersten Arbeitstag soll dem neuen Bundesgesundheitsminister ein Stapel Unterschriften überreicht werden, der ihm klar macht, wo im Gesundheitswesen die Hütte besonders brennt.
Den Namen „Ich bin keine Fallpauschale“ hätte sich eine professionelle PR-Agentur nicht besser ausdenken können. Doch es liegt sicherlich nicht nur am Namen, dass die Petition innerhalb weniger Tage schon mehrere tausend Unterzeichner gefunden hat. In den Krankenhäusern der Maximalversorgung wird die Luft zum Atmen zunehmend knapper. Weil das DRG-System mit Fallpauschalen arbeitet, die auf Durchschnittswerten der dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zuarbeitenden Kliniken beruhen, sind jene Krankenhäuser, die schwerstkranke Patienten annehmen oder sich gar darauf spezialisiert haben, strukturell im Nachteil.
Besonders gravierend ist die Situation in den Universitätskinderkliniken. Hier landen Kinder, die nirgendwo anders behandelt werden können und die teilweise monatelang, mitunter auch jahrelang stationär bleiben. Häufig sind das Kinder, die irgendwann eine Organtransplantation benötigen. Das sind nicht viele. Aber aufgrund der extrem aufwändigen Therapien, die bei schwerer Mukoviszidose, schwerer pulmonaler Hypertonie oder bei Komplikationen nach angeborenen Herzfehlern nötig sind, reichen einige wenige Kinder aus, um einer Klinik die Bilanz zu verhageln. Schon zwei „Langlieger“ können in einer sonst gut wirtschaftenden, kinderintensivmedizinischen Abteilung einen Quartalsverlust im hohen sechsstelligen Bereich verursachen. Zu spüren bekommen dieses Problem nicht nur die Klinikchefs, sondern auch die Elternvereine. „In Tübingen haben wir insgesamt 13 Eltern- und Fördervereine, die die Universitätskinderklinik teilweise seit Jahren finanziell unterstützen“, sagt Sigrid Kochendörfer, Mitglied im Vorstand des Tübinger Vereins. Unter dem gemeinsamen Dach dieses Vereins setzen sich die 13 Eltern- und Fördervereine für die Interessen schwer kranker Kinder und ihrer Familien ein. Mit der am 25. Juli gestarteten Kampagne „Ich bin keine Fallpauschale“ wollen die Tübinger jetzt die Politik und die breite Öffentlichkeit mobilisieren. „Wir haben alle Universitätskliniken angeschrieben und ihnen Informationsmaterial geschickt mit der Bitte, die Unterlagen weiterzugeben“, erläutert Kochendörfer das Vorgehen. „Unser Ziel ist, dem neuen Bundesgesundheitsminister die Unterschriftenliste an seinem ersten Arbeitstag vorzulegen.“
Dass mit der Finanzierung der Universitätskinderkliniken einiges im Argen liegt, merken die Eltern- und Fördervereine ganz unmittelbar, betont Kochendörfer. „Wir haben ein Spendenparlament, in dem jeder einen Antrag auf Projektfinanzierung stellen kann. Der wird dann gemeinsam besprochen. Was wir deutlich sehen ist, dass sich der Spendenzweck in den letzten Jahren verschoben hat. Immer häufiger müssen Personalstellen in der Pflege und der Medizin mitfinanziert werden, um zumindest teilweise die reguläre Krankenversorgung zu sichern. Das kann natürlich keine Dauerlösung sein.“ Stephanie Rich, die Kaufmännische Geschäftsführerin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Tübingen, bestätigt das gegenüber DocCheck: „Die Fördervereine unterstützen uns finanziell in wachsendem Umfang. Das betrifft viele Kliniken, aber in den Kinderkliniken ist das ausgeprägter. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Clown-Programme und um die Stationsausstattung, sondern zunehmend auch um Stellen.“ Kein Wunder also, dass von Seiten der Universitätskinderklinik Rückendeckung kommt: „Wir unterstützen diese Kampagne ausdrücklich, weil wir als Universitätskliniken bei diesen kleinen Patienten das letzte Glied in der Kette sind. Aus unserer Sicht muss das InEK bei Patienten, die monatelang bei uns liegen, anders kalkulieren. Wir erhalten bei diesen Kindern zwar Zuschläge, aber die sind bei weitem nicht kostendeckend.“
Um die Initiative „Ich bin keine Fallpauschale“ mit Daten zu unterfüttern, haben die Tübinger für die Jahre 2011 und 2012 Daten zur finanziellen Situation der Kinderklinik aufgelistet. So lagen die Kosten im Jahr 2011 bei jedem zwanzigsten von der Universitätskinderklink Tübingen abgerechneten „Fall“ um mindestens 50% über den InEK-Standardkosten. Das resultierte in einem negativen Deckungsbeitrag für diese insgesamt 536 Kinder von knapp 3,2 Millionen Euro. Im Jahr 2012 sah es kaum besser aus: Knapp 4,5% aller „Fälle“ lagen über den InEK-Kosten, ein negativer Deckungsbeitrag von 2,17 Millionen Euro für 489 „Fälle“.
Nun ist es nicht so, dass die Politik komplett die Augen schließen würde. Mitte Juni 2013 hat die Bundesregierung bekanntlich ein Hilfspaket für alle deutschen Krankenhäuser beschlossen, das für 2013 und 2014 einen Versorgungszuschlag vorsieht, als prozentualen Aufschlag auf die Fallpauschalen. Bis Ende 2014 soll außerdem ein Bericht vorgelegt werden, der analysieren soll, wie das Vergütungssystem in Bezug auf Extremkostenfälle weiterentwickelt werden kann. Mit der Tübinger Initiative soll der Druck im Wahljahr aufrechterhalten oder sogar erhöht werden. „Seitens der Politik ist es an der Zeit nach den Lippenbekenntnissen nun auch Taten folgen zu lassen“, betont Rich. „Wir müssen in der Krankenhausfinanzierung eine breite Diskussion in Gang bringen.“ Einer Abschaffung des DRG-Systems möchte Rich allerdings nicht das Wort reden: „Grundsätzlich finden wir das DRG-System gut. Wir wollen es nicht abschaffen, sondern weiterentwickeln. Es darf nicht sein, dass qualitativ hochwertige Versorgung finanziell bestraft wird. Was wir uns wünschen, ist eine leistungsgerechte, bedarfsorientierte Vergütung.“