Bei Menschen mit Down-Syndrom führen überschüssige Kopien des Chromosoms 21 zu gesundheitlichen Problemen. Während Gentests für große Aufmerksamkeit sorgten, gehen Forscher jetzt andere Wege. Im Labor gelang es, störendes Erbgut zum Schweigen zu bringen.
In Deutschland leben etwa 30.000 bis 50.000 Menschen mit Down-Syndrom. Meist handelt es sich um freie Trisomien 21, bei denen jede Zelle eine überschüssige Kopie des entsprechenden Chromosoms enthält. Durch überschüssiges Erbgut kommt es zu körperlichen Entwicklungsstörungen, Herzfehlern, gastrointestinalen Defekten, Sehstörungen, Fehlfunktionen der Schilddrüse und zu kognitiven Defiziten. Auch ist die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten erhöht. Besonders häufig tritt diese Chromosomenaberration bei Kindern auf, deren Mütter das 40. Lebensjahr überschritten haben.
Pränataldiagnostik hat aber ihre Schattenseiten: Jahr für Jahr kommt es bei Chorionzottenbiopsien oder Amniozentesen zu 600 bis 700 Aborten. Lifecodexx bietet deshalb einen PraenaTest® als nicht-invasive Möglichkeit zur Bestimmung der Trisomien 13, 18 und 21 an. Dabei werden Bruchstücke fetaler DNA im mütterlichen Blut untersucht. Wie der Hersteller im Juni berichtete, sind Tests bereits ab der neunten Schwangerschaftswoche möglich. Hubert Hüppe, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, hatte ein Verbot gefordert und sich auf Rechtsgutachten gestützt. Laut Paragraph 15 des Gendiagnostikgesetzes (GenDG) dienen pränatale Untersuchungen ausschließlich medizinischen Zwecken – sprich eine Behandlung muss möglich sein. Beim Down-Syndrom gibt es diese Option nicht. Deshalb stand als Vorwurf im Raum, Embryonen zu selektieren: Mehr als 90 Prozent aller werdenden Mütter entscheiden sich nach entsprechender Diagnose für einen Schwangerschaftsabbruch. Behörden in Baden-Württemberg, dort ist Lifecodexx angesiedelt, fanden weder im Medizinproduktegesetz sowie im Gendiagnostikgesetz Hinweise, warum die Markteinführung zu unterbinden wäre. Auch vom Deutschen Ethikrat kamen mehrheitlich positive Signale mit der Einschränkung, Patienten über Nutzen und Risiken entsprechender Tests aufzuklären.
Wissenschaftlich spricht ebenfalls viel für das neue Verfahren. Gynäkologen haben bei 1.005 werdenden Müttern bekannte Ersttrimester-Screenings mit der innovativen Diagnostik verglichen. Sie bestimmten als Laborparameter PAPP-A (pregnancy-associated plasma protein A) und β-hCG (humanes Choriongonadotropin) beziehungsweise die fetale Nackentransparenz. Gleichzeitig kam ein Bluttest auf fetale DNA zum Einsatz. Hier handelte es sich um Kits des US-amerikanischen Herstellers Ariosa Diagnostics. Ärzte erkannten mit beiden Verfahren 17 Trisomien. Beim DNA-Test berichten die Autoren von einem falsch positiven Resultat (0,1 Prozent), beim klassischen Screening waren es 33 (3,3 Prozent). Jetzt sollen Studien mit 20.000 Schwangeren folgen.
Diagnostische Innovationen sind nur ein Teil der Wahrheit. Jetzt haben sich Forscher des Max-Planck-Instituts für Biochemie mit molekularen Mechanismen befasst, um das Down-Syndrom besser zu verstehen. Menschliche DNA liegt gut organisiert in Form von Chromosomen vor. Laufen frühe Zellteilungen aus dem Ruder, kann es zu Trisomien kommen. Ein SMC-Kleisin-Proteinkomplex hilft, dies zu verhindern. Er besteht aus zwei Einheiten des entwicklungsbiologisch hoch konservierten Structural Maintenance of Chromosomes-Proteins (SMC) sowie Kleisin als Bindeglied. V-förmige Gebilde legen sich ringförmig um DNA-Moleküle und verbinden entferntere Bereiche gleicher Chromosomen. Dr. Stephan Gruber vom MPI für Biochemie bewertet die Strukturaufklärung von SMC-Kleisin als „wichtigen Meilenstein, um die komplizierte Organisation von Chromosomen zu verstehen“. Damit stellt unser Körper sicher, Reifeteilungen in Eizellen über Jahrzehnte hinweg ordnungsgemäß auszuführen. Erbdefekte wie Trisomie 21 deuten auf ein Versagen entsprechender Mechanismen hin. Als Risikofaktoren gelten primär das Alter der Mutter, aber auch höhere Dosen an ionisierender Strahlung, wie sie in der Gegend um Tschernobyl vorkamen.
Doch es gibt gute Nachrichten: Unser Körper hat Mechanismen entwickelt, um überschüssige Chromosomen auszuschalten – wenn auch nur in einem bestimmten Fall: Männliche Säugetiere haben ein X- und ein Y-Chromosom, weibliche jedoch zwei X-Chromosomen. Soweit, so bekannt. Um zu vermeiden, dass es bei der Konstellation „XX“ zu einem Überschuss an Genprodukten kommt, arbeitet die Natur mit cleveren Tricks: Sie verpackt ein X-Chromosom schon während der Embryonalentwicklung mit Heterochromatin. Das inaktivierte Stück Erbgut wird zum Barr-Körperchen. Zugehörige Genprodukte sind deshalb bei Frauen und bei Männern in ihrer Konzentration erstaunlich gleich. Gesteuert wird dieses Ausknipsen vom X-inactive specific transcript (XIST), einem Gen auf X-Chromosomen. Molekularbiologen erklären mit der X-Inaktivierung auch, warum manche Erbkrankheiten symptomarm verlaufen und oftmals sogar unentdeckt bleiben, etwa das Klinefelter-Syndrom bei Männern (Karyotyp 47, XXY) oder das Triple-X-Syndrom bei Frauen (47, XXX).
Jetzt übertrugen Forscher dieses Prinzip im Labor auf Trisomie 21. Dr. Jeanne Lawrence von der University of Massachusetts Medical School in Worcester hatte zusammen mit Kollegen folgende Idee: Sollte es gelingen, das XIST-Gen in Chromosom 21 zu bringen, wäre es mit dem Spuk schnell vorbei. „Bis dato waren unsere Möglichkeiten, eine chromosomale Anomalie durch Silencing zu beheben, nicht im Bereich des Möglichen“, sagt Lawrence. Mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS) aus Fibroblasten eines Menschen mit Down-Syndrom gelang schließlich der Durchbruch. Zinkfingernukleasen, also spezielle Restriktionsenzyme, ermöglichten es, XIST in das Chromosom 21 zu integrieren. Hinzu kam noch ein „genetischer Schalter“. Nach Gabe von Doxycyclin wurde XIST aktiv. Mikroskopisch entstand ein weiteres Barr-Körperchen, und das überschüssige Chromosom gab Ruhe. „Wir haben jetzt leistungsfähige Werkzeuge für die Untersuchung zellulärer Pathomechanismen und Stoffwechselwege gefunden“, sagt die Forscherin. http://www.youtube.com/watch?v=DoDffegMAps
Wie Jeanne Lawrence weiter herausfand, bilden Stammzellen mit abgeschaltetem XIST in vitro defekte Neuronen, während das aktivierte Gen zu intakten Nervenzellen führt – Prozesse, die normalerweise während der embryonalen Neurogenese ablaufen. Eingriffe müssten theoretisch in frühen Entwicklungsstadien erfolgen, was viele Humangenetiker als kritisch bewerten. Allerdings hofft Lawrence, molekulare Prozesse besser zu verstehen und mögliche Ansätze für Therapien zu entwickeln. So könnten modifizierte Stammzellen helfen, erkrankte Organsysteme bei Menschen mit dem Down-Syndrom zu regenerieren. Das kann noch dauern – erst einmal wollen Forscher ihre Entdeckung im Mausmodell untersuchen.