Docosahexaenoidsäure (DHA) aus Fischöl ist günstig und rezeptfrei zu haben. Die Fettverbindung könnte bald Patienten mit neuropathischen Schmerzen helfen – ohne Abhängigkeitspotenzial und Nebenwirkungen.
Schmerzmedikamente können abhängig machen. Doch bisher gibt es dazu kaum Alternativen, die Patienten ohne dieses Risiko von ihren Schmerzen befreien könnten. Das könnte sich nun ändern. Wissenschaftler der Duke Universität in Durham und der Harvard Medical School in Boston, USA, haben eine Substanz aus Fischöl identifiziert, die neuropathische Schmerzen offenbar lindern und verhindern kann. Ein Derivat der mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäure Docosahexaenoidsäure (DHA) soll Patienten nach Verletzungen des sensorischen Systems entlasten, so die Studienautoren.
Das vielversprechende DHA-Derivat trägt den Namen Neuroprotectin D1, auch bekannt als Protectin D1 (NPD1=PD1), und ist ein bioaktives Lipid, das von Zellen im menschlichen Körper als Reaktion auf externe Stimuli produziert wird. NPD1=PD1 kommt in humanen Leukozyten vor und wurde ursprünglich entdeckt, weil die Fettverbindung Entzündungen im Bauchraum und im Gehirn zum Rückgang bringen kann. „Diese Verbindung leitet sich von Omega-3-Fettsäuren, die auch in Fischöl vorkommen, ab, ist aber tausendfach potenter als ihre Vorstufen, wenn es darum geht, Entzündungen einzudämmen“, so Studienleiter Prof. Ru-Rong Ji.
Ihre Untersuchungen mit NPD1=PD1 führten die Wissenschafter an Mäusen mit Nervenverletzungen durch, um postoperative Schmerzzustände durch verletzte Nerven zu simulieren. Das chemisch synthetisierte NPD1=PD1 wendeten sie dabei entweder lokal an oder injizierten es in die Mäuse, um zu untersuchen, ob die Fettverbindung die Symptome der Tiere beeinflussen konnte. Dabei machten sie eine bemerkenswerte Entdeckung: NPD1=PD1 konnte offenbar nicht nur die Schmerzen der Tiere lindern, sondern auch die Schwellung der Nerven nach der Verletzung reduzieren. Die schmerzlindernden Eigenschaften von NPD1=PD1 rühren von seiner Fähigkeit, die Produktion von Cytokinen und Chemokinen zu blockieren. Diese kleinen Signalmoleküle locken Makrophagen bei Entzündungen zu den Nervenzellen. Ohne Cytokine und Chemokine werden die Nervenzellen vor weiteren Schäden bewahrt. NPD1=PD1 verringert auch „feuernde“ Nervenzellverbände, sodass die Tiere ein geringeres Schmerzempfinden haben.
Prof. Ji sieht in seiner Entdeckung Potential für die Klinik: „Chronische Schmerzen, die von großen medizinischen Eingriffen wie Amputationen oder Brustoperationen herrühren, sind ein ernsthaftes Problem.“ Derzeit kommen bei neuropathischen Schmerzen Gabapentin, ein Arzneistoff aus der Gruppe der Antikonvulsiva, und verschiedene Opioide zum Einsatz. Diese können einerseits abhängig machen und andererseits die sensorischen Nerven zerstören.
NPD1=PD1 hingegen wirke bereits bei geringen Dosen gut gegen neuropathische Schmerzen und die behandelten Mäuse zeigten keine Anzeichen einer physischen Abhängigkeit oder erhöhten Toleranz gegenüber der Fettverbindung, so die Wissenschaftler. Auch Nebenwirkungen haben die Wissenschaftler bei den Tieren bisher nicht beobachtet. „Und das ist der große Vorteil dieser Klasse von endogenen Lipidmediatoren“, so Ji. Denn Ziel der Forscher ist es, chronischen Schmerzen mit sichereren Mitteln als bisher zu begegnen. „Bevor NPD1=PD1 als Arzneistoff verfügbar ist, könnten Patienten DHA einnehmen, das in NPD1=PD1 umgewandelt werden kann. Reines DHA erhält man kostengünstig in der Apotheke. Aspirin verstärkt die Umwandlung von DHA in NPD1=PD1 und könnte bis zur Verfügbarkeit des Arzneistoffs parallel zu DHA eingenommen werden“, schlägt Prof. Ji als Zwischenlösung vor. Bis dahin arbeiten die Wissenschaftler mit Hochdruck an der Zulassung von NPD1=PD1. „Wir hoffen, dass wir die NPD1=PD1 bald in einer klinischen Studie testen können“, so Ji.