Steuerprüfer auf der Suche nach dicken Fischen: Im ganzen Bundesgebiet berichten Apotheken von elektronischen Betriebsprüfungen. Unklar ist, welche Daten Inhaber wirklich zur Verfügung stellen müssen. Dazu haben Gerichte äußerst konträre Ansichten – jetzt entscheidet der Bundesfinanzhof.
Vor mehr als zehn Jahren hat der Fiskus seine Abgabenordnung modifiziert. Apothekenleiter haben sich seither mit „Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen“ (GDPdU) und „Grundsätzen ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme“ (GoBS) zu befassen – eine schwere Kost.
Die GoBS erläutert, wie elektronische Dokumente lege artis zu behandeln sind. Kommerzielle Softwarepakete müssen sie sowohl Datensicherheit als auch Revisionssicherheit gewährleisten. Ein internes Kontrollsystem mit organisatorischen und technischen Maßnahmen zum Schutz der elektronischen Informationen darf ebenfalls nicht fehlen. Darüber hinaus definiert die GoBS Anforderungen zur ordnungsgemäßen Verfahrensdokumentation. Bei Vor-Ort-Terminen haben Prüfer laut GDPdU das Recht, Daten am System selbst unter die Lupe zu nehmen (direkter Lesezugriff, Z1). In manchen Fällen müssen Apotheker nach Anweisung gewisse Auswertroutinen fahren (mittelbarer Zugriff, Z2). Bleibt als dritte Möglichkeit, Daten über eine GDPdU-Schnittstelle zu exportieren, auf eine CD zu brennen und dem Prüfer zu übergeben (indirekter Zugriff, Z3). Beauftragte der Finanzämter arbeiten mit IDEA (Interactive Data Extraction and Analysis) – ursprünglich kanadischen EDV-Firmen entsprungen und mittlerweile stark weiterentwickelt. Mehr als ein Jahrzehnt, nachdem gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen wurden, nimmt die Zahl digitaler Prüfungen rapide zu. Waren Apotheken anfangs ein recht neues Terrain für Finanzämter, sind heute Stärken – aber auch Schwächen – diverser Warenwirtschaftssysteme bekannt. Prüfer tauschen sich online über Fahndungserfolge aus, um beim nächsten Apotheker schneller vermeintliche Ungereimtheiten zu entdecken.
Dahinter steckt der alte Verdacht, Warenwirtschaftssysteme würden kontinuierlich manipuliert, wie in der Gastronomie weit verbreitet: Auch in Apotheken zahlen Kunden häufig bar. Kleine Programme, sogenannte Zapper, editieren Datenbank-Einträge. Das Ergebnis: scheinbar niedrigere Umsätze und niedrigere Steuerlasten. Spuren bleiben aber trotzdem übrig – in Form alter Dateien. Vor mehr als einem Jahr häufen sich Verdachtsmomente gegen Mitarbeiter eines Softwarehauses, entsprechende Tools via USB-Stick bereitgestellt zu haben. Kurz darauf erschienen in der Fachliteratur erste Tipps zur möglichen Selbstanzeige von Apothekern. Das Thema hat an Brisanz verloren, seitdem Prüfer Verkaufsdaten, also die Kassenzeile, Einzeldaten sowie eine Bewegungsdatei, analysieren.
Ganz so einfach ist die Sache aber nicht: Mittlerweile streiten Juristen und Fiskalbehörden, welche Daten Apotheker wirklich übergeben müssen. Das Bundesministerium der Finanzen gibt Prüfern Rückendeckung: Jede Information, die Verkäufe betrifft, wird als steuerlich relevant eingestuft. Ausgehend vom Umsatzsteuergesetz und vom Handelsgesetzbuch bestehe eine Pflicht zur Aufbewahrung, heißt es offiziell. Weigern sich Kollegen, entsprechende Bits und Bytes zur Verfügung zu stellen, laufen sie Gefahr, dass ihre Steuerschuld über Richtwerte geschätzt wird. Es drohen hohe Nachzahlungen, Bußgelder und Folgeprüfungen. Steuerberater beurteilen die Sachlage anders. Sie sehen keine gesetzliche Verpflichtung, jeden noch so kleinen Verkauf zu dokumentieren – und damit auch keinen Grund, warum Prüfer entsprechende Daten abrufen sollten.
Im April hat das hessische Finanzgericht diese Sichtweise bekräftigt (Az. 4 K 422/12). Einzelaufzeichnungen von Barverkäufen müssten bei einer Betriebsprüfung nicht vorgelegt werden, heißt es im Urteil. Geklagt hatte ein Kollege aus Bensheim, der Daten aus seinem Warenwirtschaft zur Verfügung gestellt hatte, aber ohne Einzelaufzeichnungen aller Verkäufe. Richter fanden weder im Handelsgesetzbuch noch in der Abgabenordnung Hinweise, warum dies erforderlich sei. Auch im Computerzeitalter müssen Inhaber beim Barverkauf von Waren mit geringem Wert keine Einzelaufzeichnungen führen – ähnlich Betrieben der Kleingastronomie. Aus der Tatsache, dass die geforderten Informationen ohnehin erfasst werden, lässt sich kein fiskaler Anspruch ableiten. Das hatte der Bundesfinanzhof bereits im Jahr 2009 entschieden: „Führt der Steuerpflichtige Aufzeichnungen, zu denen er gesetzlich nicht verpflichtet ist, so sind die Aufzeichnungen dann nicht gemäß § 146 Abs. 6 AO für die Besteuerung von Bedeutung, wenn sie der Besteuerung nicht zugrunde zu legen sind.“
Das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt kam bei einem weiteren Verfahren zu gänzlich anderen Resultaten. Per Eilverfahren entschieden Richter, dass Inhaber bei einer Betriebsprüfung Daten der Kassenauftragszeile ihres Warenwirtschaftssystems herausrücken müssen (Az.: 1 V 580/12). Ausnahmen billigten sie zu, falls technische Gegebenheiten oder die Größe eines Betriebs Einzelaufzeichnungen unmöglich machen. Beide Punkte trafen auf die Apotheke jedoch nicht zu. Mitte Mai wurde diese Ansicht im Hauptsacheverfahren bestätigt (Az.: 1 K 396/12). Jetzt warten alle Beteiligten gespannt auf eine Revision vor dem Bundesfinanzhof. Im besten Fall wird die hessische Ansicht bestätigt – und Finanzämter haben keine Basis mehr, bei fehlenden Einzeldaten steuerliche Hinzuschätzungen vorzunehmen.
Bis dahin gehen aber noch einige Monate in das Land. Was können Inhaber momentan unternehmen? Fehlen Kasseneinzeldaten, so dürfen Fiskalbehörden nicht automatisch Steuerlasten schätzen, hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt erklärt. Anders sieht es aus, falls die EDV entsprechende Informationen erfasst, Kollegen aber keine Daten bereitstellen. Meist verhängt das Finanzamt dann Verzögerungsgelder. Bleibt nur, Einspruch einzulegen und eine Aussetzung der Vollziehung zu beantragen.