Wer unter einer Lebensmittelallergie leidet, muss verzichten, um symptomfrei zu bleiben. Bei Mäusen kann eine Behandlung mit abgeschwächten Viren die Entstehung einer Eiweißallergie verhindern – ein großer Schritt in Richtung „Impfung gegen Lebensmittelallergien“.
Belastbare epidemiologische Daten zur Verbreitung von Lebensmittelallergien gibt es bisher kaum. Da jedoch die Pollenallergien in den letzten Jahrzehnten in Ländern mit westlichem Lebensstil stark zugenommen haben, scheint das auch bei Lebensmittelallergien der Fall zu sein. Denn diese treten häufig im Zusammenhang mit Pollenallergien auf. Etwa fünf Prozent der Kinder und drei bis vier Prozent der Erwachsenen leiden in Europa an einer durch Lebensmittel ausgelösten Allergie.
Bisher müssen Betroffene die allergieauslösenden Lebensmittel vermeiden, um frei von Symptomen zu bleiben. Denn diese können, wenn beispielsweise ein anaphylaktischer Schock auftritt, sogar lebensbedrohlich sein. Eine Hyposensibilisierung mit Proteinextrakten wie bei Pollenallergien ist bei Lebensmittelallergien bisher nicht etabliert. Das könnte sich jedoch bald ändern, denn Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts entwickelten unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Vieths eine Methode zur Hyposensibilisierung mit einem abgewandelten Impfvirus.
Mit Hilfe des modifizierten Vacciniavirus Ankara (MVA) wird die genetische Information des Allergens, an das der Körper gewöhnt werden soll, in antigenpräsentierende Zellen des Körpers transportiert und erst dort in ein Protein übersetzt. Dabei kommt das Immunsystem erst bei der Präsentation von Allergenfragmenten auf der Oberfläche spezifischer Immunzellen in Kontakt mit dem Allergen. Schwere allergische Reaktionen wie bei der direkten Zufuhr des Allergens über die Nahrung sind hier nicht zu erwarten.
MVA gehört zur Familie der Pockenviren. „Allerdings nicht zu verwechseln mit dem Auslöser der Pocken beim Menschen, dafür ist das Variolavirus verantwortlich“, klärt Prof. Vieths auf. Im Gegensatz zum Pockenerreger kann sich MVA nach der Infektion einer Zelle nicht weiter vermehren. Die menschliche Zellmaschinerie liest das Viruserbgut ab und bildet die dort codierten Proteine – in diesem Fall die spezifischen Allergene. „Die virusinfizierten Zellen bauen diese Proteine zu Peptiden ab, die sie dem Immunsystem an ihrer Oberfläche präsentieren, damit die virusinfizierten Zellen vom Immunsystem getötet werden können“, erklärt Prof. Viehts. Mit dem MVA-System präsentieren die Forscher dem Körper das betreffende Allergen also, als wäre es ein Virusprotein. Das hat einen entscheidenden Vorteil, den Prof. Vieths folgendermaßen erklärt: „Eine Virusabwehr bewirkt im Körper eine sehr starke TH1-Zellantwort. Bei Allergien hingegen liegt eine dominante TH2-Antwort vor. Über MVA können wir dieser in Richtung nicht-allergische Immunantwort gegensteuern.“
Anders als bei der Hyposensibilisierung bei Pollenallergien kommen die Allergene dabei erst gar nicht mit den IgE-sensibilisierten Mastzellen, die die allergischen Reaktionen auslösen, in Berührung. „Dadurch erhoffen wir uns keine Nebenwirkungen“, so Prof. Vieths. MVA hat sich in vielen klinischen Prüfungen in der Infektionsmedizin bereits als sicher erwiesen, denn sobald die virusinfizierte Zelle abgetötet ist, ist auch das Virus nicht mehr im Körper vorhanden.
Dass MVA offenbar wirksam in der Behandlung einer Hühnereinweißallergie sein kann, konnten die Wissenschaftler um Prof. Vieths bereits im Tierversuch zeigen. Nach der Vakzinierung von Mäusen mit MVA, die das Gen für das Hühnereiweiß Ovalbumin enthielten, blieb die massive Zunahme allergieauslösender OVA-spezifischer IgE-Antikörper bei anschließender Exposition mit Hühnereiweiß aus. Bei nicht vorbehandelten Tieren stiegen die IgE-Antikörper durch die Gabe von Ovalbumin dagegen stark an. Auch die Dauer der Immunisierung scheint vielversprechend zu sein: „Bei einer Zweifachimpfung hält der immunisierende Effekt bei Mäusen über 24 Wochen an“, so Prof. Vieths. In Anbetracht der Lebensspanne einer Maus sei das eine ganz erhebliche Dauer. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Impfschutz beim Menschen wahrscheinlich mehrere Jahre anhalten würde.
Welche klinische Bedeutung haben diese Veränderungen? Hierzu haben Forscher um Dr. Masako Toda, Nachwuchsgruppenleiterin der Forschungsgruppe „Experimentelle Allergiemodelle“ im PEI, ein Allergiemodell bei Mäusen entwickelt. Die Sensibilisierung mit Ovalbumin führte bei den Mäusen zu klinischen Symptomen wie Durchfall, Abnahme des Körpergewichts und der Körpertemperatur. Die PEI-Forscher konnten zeigen, dass durch Impfung mit MVA-OVA das Auftreten der allergischen Symptome verhindert wird. Mehr noch: In Zusammenarbeit mit Forschern von der Universität Tokio, Japan, wiesen die Forscher nach, dass durch die Vakzinierung entzündliche Veränderungen der Darmschleimhaut ausblieben. Bei Untersuchung der lokalen Immunantwort im Dünndarm konnten die Forscher darüber hinaus über die veränderte Ausschüttung der Zytokine (u.a. Hemmung der Interleukin-4- und Stimulation der Interferon-gamma-Ausschüttung) nachweisen, dass die unerwünschte (allergische) Antwort der TH2-Helferzellen gehemmt und die gewünschte TH1-Helferzellantwort gefördert wurde. „Das ist das, was wir bei einer Allergiebehandlung sehen wollen, eine Suppression der IgE-Antwort und eine Erhöhung der TH1-Immunantwort“, erläutert Dr. Stephan Scheurer den Erfolg dieses Ansatzes. Er ist Leiter des Fachgebiets „Rekombinante Allergentherapeutika“ des PEI.
„Eine mögliche Anwendung unseres Systems bestünde in der prophylaktischen Impfung“, so Prof. Vieths. Das wäre beispielsweise für Kinder von hochallergischen Eltern interessant. Im Impfstoff müssten dann alle für Kinder wichtigen Allergene wie Milcheiweiß, Erdnüsse, Hühnereiweiß und Hausstaubmilben vereint werden. Als nächstes wollen sich die Wissenschaftler auch der Frage widmen, ob ein derartiger Kombinationsimpfstoff möglicherweise auch das allgemeine Allergierisiko erniedrigen könnte. „Denn es nützt wenig“, mahnt Prof. Viehts, „ein Kind vor einer Hühnereiallergie zu schützen, wenn es dann eine Weizenallergie entwickelt.“