Ein neues, baukastenartiges Impfstoffdesign vereinigt alle Vorteile bisher bekannter Impftechnologien und könnte die Impfstoffherstellung und -produktion revolutionieren. Davon könnten auch die Menschen in Entwicklungsländern profitieren.
Wissenschaftler des Boston Children's Hospital haben eine neue Methode zum Design von Impfstoffen entwickelt, die sämtliche Vorteile bisher bekannter Impftechnologien zu vereinigen scheint. Die sogennante MAPS-Methode (Multiple Antigen Presentation System) ermöglicht die schnelle Konstruktion neuer Impfstoffe, welche gleich mehrere Arme des Immunsystems gleichzeitig gegen ein oder mehrere Pathogene aktivieren. So scheint ein robuster Schutz mit einem geringeren Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen zu entstehen. In ihrer aktuellen Publikation in „Proceedings of the National Academy of Sciences“(PNAS) versprechen die Studienautoren, dass ihre Methode die Entwicklung neuer Impfstoffe beschleunigen wird, wenn es darum geht, die Menschheit vor besonders schwerwiegenden Krankheitserregern zu schützen. Wie kann das gelingen?
Grob betrachtet lassen sich die derzeit verfügbaren Impfstoffe in zwei Kategorien einteilen: Ganzzell-Impfstoffe, die auf abgeschwächten oder abgetöteten Bakterien oder Viren basieren und nicht-zelluläre oder Totimpfstoffe aus Bestandteilen von Viren, Bakterien oder Giftstoffen. Alle Impfstoffe lösen eine Immunantwort aus, verfügen aber über unterschiedliche Vor- und Nachteile. „Ganzzell-Impfstoffe lösen eine breite Spanne von Immunreaktionen aus, wie sie auch bei einer Infektion auftreten würden. So ist der Körper gut geschützt. Dieser Impfstofftyp ist aber schwer zu standardisieren und kann unerwünschte Nebenwirkungen auslösen“, so Richard Malley, einer der Studienautoren vom Boston Children's Hospital. „Nicht-zelluläre Impfstoffe führen in der Regel zunächst zu einer guten Immunität mit einem geringeren Nebenwirkungsrisiko. Die Immunantworten, die diese Impfstoffe auslösen, lassen jedoch mit zunehmender Zeit nach.“ Die Schwächen beider Impfstoffarten soll die neue Technik nun ausgleichen.
Die MAPS-Methode ist eine Art Baukastensystem, mit dem Impfstoffentwickler sich der Vorteile beider Methoden bedienen können. Dabei verbinden sie verschiedene Protein- und Polysaccharid-Antigene von einem oder mehreren Pathogenen, einem Bauwerk aus Legosteinen ähnlich. Der daraus resultierende Komplex, der aus einem Zuckergerüst übersät mit Proteinen besteht, kann sowohl eine Antikörperreaktion als auch eine T-Zell-Antwort stimulieren und das mit einer ähnlichen Intensität wie Ganzzell-Impfstoffe. Da die Zusammensetzung der MAPS-Impfstoffe jedoch genau definiert ist und auf isolierten Antigenen beruht, wie man sie auch in nicht-zellulären Impfstoffen vorfindet, ist das Risiko für unerwünschte Nebeneffekte stark reduziert.
In Tierversuchen haben sich MAPS-Impfstoffe bereits bewährt. Wenn zum Beispiel Mäusen ein derartiger Impfstoff injiziert wird, der Proteine des Tuberkuloseerregers Mycobacterium tuberculosis und Polysaccharide von Streptococcus pneumoniae, einem Erreger der Lungenentzündung, enthält, reagierten die Tiere mit starken Antikörper- und T-Zell-Antworten gegen den Tuberkuloseerreger. Mäuse, die hingegen nur mit Proteinen des Tuberkuloseerregers konfrontiert wurden, reagierten lediglich mit einer Antikörperreaktion. Eine T-Zell-Antwort blieb bei diesen Tieren aus. Bisher haben die Wissenschaftler keine unerwarteten Nebenwirkungen im Tierversuch feststellen können. Als nächstes stehen toxikologische Studien auf dem Programm.
Andere Versuche zeigten, dass 90 Prozent der Mäuse, denen ein MAPS-basierter Impfstoff mit mehreren Polysacchariden und Protein-Antigenen aus Pneumococcus verabreicht worden war, vor einer tödlichen Pneumokokkeninfektion geschützt waren, da die Tiere eine starke Antikörper- und T-Zell-Antwort gegen die Bakterien entwickelten. Nur 30 Prozent der Mäuse hingegen überlebten einen derartigen bakteriellen Angriff, wenn sie mit denselben Antigenen – allerdings in ungebundener Form – geimpft worden waren. „Die Immunogenität der MAPS-Konstrukte ist größer als die Summe ihrer Einzelteile – unter anderem deshalb, weil sie dem Wirt als ganzer Partikel präsentiert werden“, erklärt Malley den Effekt.
Anders als die meisten Konjugatimpfstoffe, die mit kovalenten Bindungen arbeiten, basiert das MAPS-System auf dem Zusammenspiel zweier Verbindungen – Biotin und Rhizavidin. Bei der Herstellung eines MAPS-Impfstoffes wird Biotin an ein oder mehrere Polysaccharide gebunden, Rhizavidin an Protein(e). Biotin und Rhizavidin haften dann durch eine nicht kovalente Bindung aneinander. Laut den Studienautoren ist der Konstruktionsprozess eines MAPS-Impfstoffes so effizient, dass er Zeit und Kosten der Impfstoffherstellung und –produktion erheblich reduziert.
Während die ursprünglichen Arbeiten von Malleys Team auf bakterielle Pathogene fokussierten, sind die Studienautoren davon überzeugt, dass die MAPS-Technologie die Entwicklung von Impfstoffen gegen zahlreiche Pathogene beeinflussen könnte – hauptsächlich die Impfstoffherstellung in Entwicklungsländern. „Technisch gesehen könnte man MAPS-Impfstoffe gegen Viren, Parasiten und sogar gegen Krebs konstruieren“, so Malley. „Mit dem Baukastensystem könnte man sogar Antigene verschiedener Pathogene in einem Impfstoff kombinieren, um so auch effektive Mehrfachimpfungen durchführen zu können.“ Die Wissenschaftler sind bereits in Gesprächen mit möglichen industriellen Partnern.