Die Lösung des Ärztemangels kann doch nicht so schwer sein, oder? Wenn es in Deutschland zu wenige Ärzte gibt, wieso bildet man dann nicht einfach mehr aus? Wir zeigen, warum es immer mehr private Medizinausbildungsmodelle gibt und welche Probleme dies mit sich bringt.
„Ärztemangel“ ist ein Begriff mit dem die heutige Generation der Medizinstudenten aufgewachsen ist. Durch demographischen Wandel und medizinischen Fortschritt kommt es zu einem steigenden Bedarf an ärztlichem Personal, dem durch die seit Jahrzehnten gleich bleibenden Absolventenzahlen nicht nachzukommen ist. Die Folgen sind in den Kliniken durch eine hohe Arbeitsverdichtung und auf dem Lande durch eine strukturelle Unterversorgung am deutlichsten zu spüren.
Auch wegen der großen Beliebtheit von Medizinstudienplätzen scheint die naheliegendste Lösung des Problems eine Erhöhung der Anzahl eben dieser zu sein. Niemand versteht, warum es nicht dazu kommt und weshalb, sogar im krassen Gegensatz dazu, in Halle oder Lübeck sogar über die Schließung von medizinischen Fakultäten diskutiert wird. Betrachtet man die Situation nach den ökonomischen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage, ist die Schlussfolgerung eigentlich ganz einfach. Ein Medizinstudium ist sehr teuer, es gibt aber sowohl auf Patienten- als auch auf Studentenseite einen großen Bedarf: Könnten Privatunis eine Lösung sein?
In den USA gibt es knapp 140 Medical Schools. Nur etwas mehr als 80 davon sind staatlich, der Rest privat. In Deutschland gibt es 36 Fakultäten, privat ist davon bisher nur eine einzige: die der Universität Witten-Herdecke. Das Studium der Humanmedizin kostet dort 41.000 Euro, Zahnmedizin knapp 55.000 Euro, was im Vergleich zu den Studiengebühren in den USA lächerlich ist. Bei der einen wird es wohl zukünftig nicht bleiben. Universitäten im Ausland haben diesen Bedarf schon seit langem erkannt. Am bekanntesten dürfte dafür die medizinische Ausbildung in Ungarn sein. Aber auch in andere Länder der Europäischen Union zieht es junge Menschen mit finanzstarkem Background, die Medizin studieren wollen. Das führt soweit, dass die Semmelweis Universität in Budapest jetzt eine Dépendance in Hamburg eröffnet hat und Studenten des deutschsprachigen Studiengangs ihre klinische Ausbildung in der Hansestadt absolvieren können. Der Abschluss an der „Asklepios Medical School“, obwohl ungarisch, wird in Deutschland anerkannt, da durch ein EU-Abkommen jeder Abschluss in einem europäischen Land durch die anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden muss. Dass Asklepios durch die Zusammenarbeit mit der der ungarischen Universität den Nachwuchs für die eigene weltweit operierende Klinikkette akquiriert, scheint offensichtlich.
Die Universität Witten-Herdecke und die Asklepios Medical School der Semmelweis Universität zeigen die beiden Möglichkeiten der Gründung einer privaten Medizin-Uni in Deutschland. Die erste Möglichkeit ist die Entwicklung eines Konzepts in Übereinstimmung mit der deutschen Approbationsordnung und unter Einhaltung einer Vielzahl von Auflagen. Anschließend muss man dann das Ganze vom Wissenschaftsrat überprüfen lassen und beim Ministerium für Bildung und Wissenschaft des jeweiligen Bundeslandes anmelden. Wie das Akkreditierungsverfahren abläuft und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ist in einem eigens dafür veröffentlichen Handbuch nachzulesen. Alle fünf Jahre muss man sich auf selbem Wege reevaluieren lassen. Die Universität Witten-Herdecke hatte damit immer wieder Probleme, was vor allem an ihrer wackligen finanziellen Situation liegt. Im Jahr 2017 wird es dort wieder spannend, denn wenn die Reevaluation negativ ausfällt verlieren die Studenten ihre Studienplätze. Die zweite Alternative ist die Ausgründung einer Zweigstelle einer bereits existierenden Universität aus dem europäischen Ausland. Dort kann man dann zwar, obwohl die Ausbildung auf deutschem Boden durchgeführt wird, nur den Studienabschluss des jeweiligen Landes erwerben, der wird aber im Regelfall für die Berufsausübung in Deutschland anerkannt.
Für beide Möglichkeiten gibt es zur Zeit wieder Bestrebungen, neue Fakultäten zu gründen. Beide in Brandenburg, wo es bisher noch keinen Standort für eine medizinische Ausbildung gibt und der Arztmangel bereits besonders spürbar ist. Zum einen ist unter dem Namen „European University of Health“ in Zusammenarbeit verschiedener Investoren und dem Verbund christlicher Kliniken Brandenburgs der Aufbau einer Fakultät geplant, an dem ein Abschluss einer österreichischen Universität erlangt werden kann. Neben einem innovativen Lehrkonzept sollen auch in Sachen Bewerberauswahl neue Wege gegangen werden: „Wir wollen nicht die Einser-Studenten, die Medizin studieren sollen, sondern die, die soziales Engagement aufweisen und Arzt oder Ärztin werden wollen“, so Johannes Albes vom Immanuel Klinikum Bernau Herzzentrum Brandenburg. Erklärtes Ziel sei insbesondere die Ausbildung des Nachwuchses für die Region Brandenburg. Das zweite Beispiel ist die Medizinische Hochschule Brandenburg – Theodor Fontane, die zur Zeit in der Akkreditierungsphase steckt. Gerade aktuell wurde die Eröffnung, die eigentlich für dieses Jahr geplant war, auf Grund von Beanstandungen durch den Wissenschaftsrat auf 2014 verschoben. Mit „Willkommen in der Zukunft der Medizin“ und ebenfalls einem Ansatz, der auf die Ausbildung für die regionale Infrastruktur abzielt, wirbt die Internetseite. Auch hier soll es ein „NC-freies Wunschstudium ohne lange Wartezeiten“ geben. Über zu wenige Bewerber müssen sich beide Hochschulen wohl keine Sorgen machen.
Zwei neue Fakultäten sind natürlich begrüßenswert. Dennoch werden beide Initiativen von vielen Seiten kritisiert. In Deutschland wird weiterhin das Humboldt’sche Bildungsideal und das Menschenrecht auf Bildung für alle hochgehalten. Da davon auszugehen ist, dass zukünftig, durch hohe Studiengebühren, Studenten mit wohlhabendem Elternhaus beim Medizinstudium bevorzugt werden, stellen die kursierenden Pläne für private Medizinhochschulen für viele eine ernstzunehmende Gefahr dieses Ideals dar. Viele sehen die Ausbildung zum Arzt weiterhin als staatliche Angelegenheit an, die vorranging dem Wohl der Bevölkerung dienen solle und keinerlei ökonomischen Interessen unterliegen darf. Private Investoren sollten keine Ausbildung für Ihre Zwecke anbieten können. Also zum Beispiel die Ausbildung des Nachwuchses für eine bestimmte Klinikkette oder die pharmazeutische Industriesparte. Von studentischer Seite werden auch ganz vehement Pläne kritisiert, Studienplatzvergaben an die Verpflichtung zu koppeln, nach dem Studium in einer bestimmten Region tätig zu sein.
Um die medizinische Ausbildung auch weiterhin kontrollieren zu können, werden dem deutschen Staat wohl nur zwei Möglichkeiten bleiben: Entweder er investiert in die staatliche Ausbildung und schafft mehr Studienplätze oder er reguliert die privaten Studiengänge und sorgt für faire Finanzierungsmodelle für die Studenten. Sonst wird wohl auch zukünftig in der Ausbildung von einer „Zwei-Klassen-Medizin“ gesprochen werden.