Elektronische Innenohrprothesen, sogenannte Cochleaimplantate, sind eine große Hoffnung für Gehörlose und hochgradig schwerhörige Menschen. Sie führen allerdings nicht immer zum Erfolg. Eine bessere Abschätzung ihres Nutzens versprechen neue Forschungen.
Der Verlust des Taubheitsgens Cacnad bringt nicht nur die Funktion des Innenohrs zum Erliegen, sondern beeinträchtigt auch die zentralnervöse Verarbeitung von akustischer Information erheblich – das konnte die Arbeitsgruppe Neurogenetik an der Universität Oldenburg unter Leitung von Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang bereits vor einem Jahr nachweisen. Einen solchen Defekt können Hörhilfen noch nicht kompensieren. „Ob Störungen der zentralnervösen Hörbahn durch Taubheitsgene häufiger vorkommen als bislang angenommen, ist eine klinisch sehr relevante Frage. Um sie zu beantworten, haben wir zunächst das genetische Programm eines für die Hörbahn wichtigen Gehirnbereichs untersucht. Dieses haben wir dann mit dem des Innenohrs verglichen“, erläutert Nothwang. Die Hörforscher konnten eine wichtige Klasse von Genen identifizieren, die die Expression von Genen ermöglichen und beeinflussen.
Die Analysen ergaben, dass ein enger Zusammenhang zwischen dem genetischen Programm des Innenohrs und der Hörbahn besteht. „Besonders wichtig ist dabei der Befund, dass zahlreiche Gene, die mit Taubheit im Innenohr assoziiert sind, auch in der Hörbahn stark exprimiert sind und dort wahrscheinlich eine wichtige Funktion wahrnehmen“, erklärt Nothwang. Statistische Analysen, die die Hörforscher mit Hilfe der Arbeitsgruppe „Computerorientierte theoretische Physik“ durchführten, ergaben, dass Taubheitsgene in der Hörbahn im Vergleich zum Gesamthirn eine statistisch signifikant erhöhte Genexpression zeigten.
„Diese Ergebnisse stützen unsere Hypothese, dass Taubheitsgene auch für den zentralnervösen Hörprozess eine äußerst wichtige Funktion erfüllen“, so Nothwang. Von einem vertieften Einblick in die Funktionen von Taubheitsgenen verspricht sich Nothwang daher einen besseren Einsatz von Hörhilfen. Technologische Fortschritte in der humangenetischen Diagnose würden es in absehbarer Zeit ermöglichen, für Patienten mit Hörstörung die jeweils zugrunde liegende genetische Mutation zu identifizieren. In Verbindung mit Daten zur Funktion der einzelnen Gene könne dann abgeschätzt werden, welche Defizite in der Hörbahn vorlägen. Dies stelle einen wichtigen Schritt zu einer individuell zugeschnittenen Therapie dar, so der Wissenschaftler. Originalpublikation: Time-dependent gene expression analysis of the developing superior olivary complex Hans Nothwang et al.; Journal of Biological Chemistry, doi: 10.1074/jbc.M113.490508; 2013