Ob ein Arzneistoff wirkt oder ob sich unerwünschte Effekte einstellen, hängt in vielen Fällen von der genetischen Ausstattung ab. Durch neue Tests sollen alle Patienten entsprechende Informationen bekommen, wären da nicht ethische und juristische Fallstricke.
Tod aus der Apotheke: In den letzten Jahren sind weltweit mehrere Kinder nach der Gabe codeinhaltiger Präparate verstorben – wohlgemerkt trotz ordnungsgemäßer Anwendung. Weder Ärzte noch Apotheker wussten, dass alle Betroffenen einen genetischen Polymorphismus aufwiesen. Sie verstoffwechselten das Pharmakon zu schnell. Aus wissenschaftlicher Sicht wären diese Ereignisse vermeidbar gewesen.
Derzeit stehen bei Genetikern vor allem Erbkrankheiten im Mittelpunkt des Interesses. Geht es nach Anbietern wie der Humatrix AG, könnten via „Stratipharm“ alle Patienten und alle Apotheker schon bald von innovativen Tests profitieren: Zeigen Pharmaka keinen Effekt oder kommt es zu auffallend starken Nebenwirkungen, sollten Kollegen ihre Patienten informieren, dass dahinter vielleicht genetische Gründe stecken. Für knapp 200 Euro untersuchen Labors 31 Abschnitte im Erbgut, die bei der Verstoffwechslung von Medikamenten eine Rolle spielen. Detaillierte Informationen kosten weitere 75 Euro je Wirkstoff. Ein Teil dieser Summe bleibt als Vergütung für Beratungsleistungen in der Apotheke. Kunden erhalten individuelle Zugangscodes, um selbst zu entscheiden, wer Fragmente ihres Erbguts sehen darf.
Mit diesen Daten können Apotheker Patienten gezielt beraten. Liegen Pharmaka als Prodrugs vor, muss sie der Körper erst metabolisieren, beispielsweise mit Cytochrom-P450-Isoenzymen, Dihydropyrimidin-Dehydrogenasen, N-Acetyltransferasen oder Thiopurin-Methyltransferasen. Tag für Tag gibt es neue Veröffentlichungen, und viele Informationen sind in der „Pharkakogenomics Knowledgebase“ zu finden. Haben Patienten je eine intakte Kopie des Gens auf beiden Chromosomen, sind sie Extensive Metabolizer und verstoffwechseln einen bestimmten Arzneistoff schnell. Bei Intermediate Metabolizers gibt es noch eine intakte Kopie, und bei Poor Metabolizers sind beide Kopien des Gens mutiert. Dementsprechend muss auch die Dosierung eines Arzneistoffs angepasst werden – im schlimmsten Fall ist das Pharmakon gänzlich ungeeignet. Da Aussagen für alle Patienten gelten, die ähnliche Muster im Erbgut haben, sprechen Genetiker von stratifizierten, nicht aber von personalisierten Ansätzen. Auch geht es nicht um erworbene Mutationen wie bei manchen Tumoren, die beispielsweise HER2 überexprimieren, sondern um das Genom selbst.
Mittlerweile ist Stada ebenfalls in diesen Bereich eingestiegen. Eine neue Produktlinie bietet Tests zur Therapiesicherheit von Clopidogrel an, das Pharmakon wird über CYP3A4 aktiviert. Bei Tamoxifen läuft nichts ohne CYP3A4 und CYP2D6. Sollten Patientinnen Kontrazeptiva einnehmen, fahnden Molekularbiologen nach Varianten des Blutgerinnungsfaktors V, um mögliche Thromboserisiken abzuschätzen. Bei Statinen kommen gleich mehrere Parameter zum Tragen: Je nach genetischer Ausstattung liegt das Enzym HMG-CoA-Reduktase in verschiedenen Konzentrationen vor. Auch sorgen Varianten von Transportproteinen zu unterschiedlichen Spiegeln des Arzneistoffs. Der Test soll dazu beitragen, Statine optimal zu dosieren. Darüber hinaus arbeitet Humatrix an Verfahren, um Wirkstoff- und Dosierungsempfehlungen für eine optimale Psychopharmakotherapie abzugeben. Viele dieser Arzneistoffe werden von Leberenzymen metabolisiert. Aus dem Erbgut lassen sich Abbauraten ermitteln. Viele Fragestellungen, ein Weg: Patienten erwerben Testkits in ihrer Apotheke und gehen zur Beratung inklusive Blutentnahme in ihre Praxis, während Apotheker den pharmakologischen Part übernehmen. Bei manchen Untersuchungen reichen schon Abstriche der Mundschleimhaut aus.
Genau hier liegt eine mögliche Schwachstelle: Das Gendiagnostikgesetz (GenDG) unterscheidet nicht zwischen pharmakologischen und medizinischen Untersuchungen. Obwohl Humatrix keine DNA-Abschnitte prüft, die mit Krankheiten assoziiert sind, gilt laut § 7 GenDG ein ärztlicher Vorbehalt: „Die genetische Analyse einer genetischen Probe darf nur im Rahmen einer genetischen Untersuchung von der verantwortlichen ärztlichen Person oder durch von dieser beauftragte Personen oder Einrichtungen vorgenommen werden.“ Der Laborleiter ist Humanmediziner – schön und gut. Mit Einverständnis seiner Patienten führt er nicht nur Untersuchungen durch, sondern stellt Resultate auch Apothekern zur Verfügung, um Patienten aufzuklären. „Eine genetische Beratung nach § 10 darf nur durch (...) Ärztinnen oder Ärzte, die sich für genetische Beratungen qualifiziert haben, vorgenommen werden“, heißt es weiter im GenDG. Besagter § 10 geht zwar auf diagnostische, genetische Untersuchungen ein, die Krankheiten nachweisen sollen. Ob Ärzte Apothekern dieses Feld kampflos überlassen, darf bezweifelt werden.
Bleiben noch monetäre Aspekte zu klären. Derzeit müssen Patienten für genetische Untersuchungen selbst aufkommen. Versorgungsforscher erwarten, dass Krankenkassen schon bald ihr Interesse bekunden, sollten gesundheitsökonomische Überlegungen den Tests ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis bescheinigen. Apotheken, die sich schon heute positionieren, haben gute Karten. Ohne eine Investition geht das nicht – die Rede ist von Zeit. Wer sich beim Humatrix-Portal anmeldet, muss Online-Seminare inklusive Lernkontrolle absolvieren. Bei Erfolg wird ein neuer Benutzer angelegt. Dieser Prozess dient nicht nur der Qualitätssicherung, sondern garantiert, dass es sich um pharmazeutisch exklusive Leistungen handelt. Da eine Auswertung nur über die Apotheke möglich ist, in der ein Test ursprünglich erworben wurde, trägt Stratipharm auch zur langfristigen Kundenbindung bei.
Eine klare Win-Win-Situation? Nicht unbedingt, auch kritische Stimmen melden sich zu Wort. Das beginnt mit der Frage, welchen Kunden entsprechende Tests angeboten werden sollten. Um seltene Effekte wie eine letale Wirkung von Codein zu vermeiden, müssten alle Personen gescreent werden, was aus Verbrauchersicht wenig erfreulich wäre. Andererseits sind Dosisanpassungen bei vielen Präparaten heute gang und gäbe, sollten diese nicht wirken oder sollten sich unerwünschte Effekte zeigen. Ärzte beziehungsweise Apotheker reagieren sofort, ohne ein genetisches Profil erstellen zu lassen. Sind molekularbiologische Daten aber bereits vorhanden, lassen sich Auswertungen quasi in Echtzeit durchführen.