Mannschaftsarzt oder Rennarzt in der Formel 1. Jetset-Leben, Doc der Sportstars plus regelmäßige Medienpräsenz. Das klingt verlockend und lässt viele von einer Sportmediziner-Laufbahn träumen. Doch ist wirklich alles Gold, was glänzt? Wir nehmen uns des Themas an.
Walter ist 24 Jahre alt und hat bezüglich seiner beruflichen Karriere schon eine genaue Vorstellung: "Ich will unbedingt Sportarzt werden und eine Profi-Mannschaft medizinisch betreuen, je bekannter desto besser. Ich spiele selbst Eishockey, habe Sportverletzungen am eigenen Leib erfahren und einige Male mit unserem Mannschaftsarzt über seinen Berufsalltag gesprochen. Er hat mir bewusst gemacht, wie wichtig auch der sportpsychologische Aspekt dieses Berufs ist - das finde ich toll. Außerdem ist man viel unterwegs.” Doch es stellt sich natürlich die Frage: Wie stellt man das überhaupt an, Mannschaftsarzt zu werden? Blicken wir auf den Werdegang zweier, international anerkannter Sportmediziner. Im Herbst 1928 wurde in Liverpool, Großbritannien, ein Mann namens Sidney Watkins geboren. Sein Vater, ursprünglich Kohlearbeiter, sattelte bald auf das Reparieren von Automotoren um, wobei ihm der junge Sidney immer wieder half - so wurde sein Interesse für den Motorsport geweckt, eine Glut, aus der im Laufe des Lebens eine Flamme werden sollte. Nach der Schulausbildung begann er sein Medizinstudium an der Universität seiner Heimatstadt. Mit 24 Jahren hatte er seinen Abschluss in der Tasche und absolvierte anschließend einen vierjährigen Einsatz beim Medizin-Korps der britischen Armee in Westafrika. Da er ein kluges Kerlchen war, kraxelte er rasch die Karriereleiter hoch - Facharztausbildung in Neurochirurgie an der University of Oxford, Weiterbildung in den USA, Leiter der neurochirurgischen Abteilung des London Hospitals. Parallel dazu verwirklichte er auch seine Passion für den Motorsport: Ende der fünfziger Jahre arbeitete er in seiner Freizeit als Streckenarzt an der Rennstrecke in Silverstone 1978 schließlich schlug ihm Bernie Ecclestone, seines Zeichens Formel 1-Zampano, vor, bei allen Formel 1-Rennen als Chefarzt der Rennserie dabei zu sein - natürlich nahm er dieses Angebot an. Es folgten 26 Jahre als Rennarzt im Formel 1-Zirkus, in denen Dr. Sidney Watkins zu einer Legende ikonisiert wurde. Passioniert bei der Arbeit, war er bis zuletzt hauptverantwortlich für die kontinuierliche Verbesserung der Sicherheitsbestimmungen in der Formel 1, unvergessliche Ereignisse zierten seinen Weg. Beispielsweise nahm er am jungen Mika Häkinnen 1995 eine Tracheotomie vor, den Tod seines guten Freundes Ayerton Senna an der Rennstrecke erlebte er hautnah. Wohlgemerkt übte er die ganze Zeit auch seine Tätigkeit am Department for Neurosurgery des London Hospitals aus. Am 12. September 2009 verstarb Watkins an Krebs, die Motorsportwelt verneigte sich ein letztes mal vor seinen Leistungen.
Julian studiert im 5. Jahr Medizin, sein Onkel ist Sportmanager und betreut zahlreiche, lokal bekannte Sportler. „Ich bin durch meine Familie bereits früh mit dem Spitzensport in Kontakt gekommen, spiele auch selbst Fußball. Auf dem Weg zum Profi-Sportler bleiben jedoch zu viele auf der Strecke, deswegen ist es nun mein Ziel, Sportarzt zu werden und eine Fußballmannschaft zu betreuen. Der direkte Kontakt zu Spitzensportlern, das Gefühl, in einem vollen Stadion auf der Trainerbank sitzen zu dürfen, das möchte ich erleben. Zudem habe ich ein profundes Interesse an Sportphysiologie.“ Erfolg im Leben, den hat Dr. Müller-Wohlfahrt wohl gepachtet. Seine Patientenkartei könnte getrost ein Panini-Sticker-Album füllen, es finden sich darin unter anderem die Tennislegende Boris Becker, Sprinter Usain Bolt oder der brasilianische Fußballer Ronaldo. Aufgewachsen in Leerhafe in Ostfriesland, studierte er in gleich drei Städten, Kiel, Innsbruck und Berlin, wo er auch seine Facharztausbildung in Orthopädie absolvierte. Im Zuge seiner ärztlichen Arbeit richtete sich sein Fokus immer mehr auf die Sportmedizin, selbst war er in jungen Jahren als Fünfkämpfer außerordentlich sportlich aktiv. Sein Mentor auf diesem Weg war unter anderem der renommierte Freiburger Sportmediziner Armin Klümper, dessen Credo, den Sportlern zwei aufmerksame Ohren und viel Zeit zu widmen, er übernahm. So fügte sich das Puzzlebild des strahlenden “Doctor Feelgood” Stück für Stück zusammen – Anfang der 1970er zunächst Mannschaftsarzt bei der Berliner Hertha, dann bei den Bayern, seit 1996 Mannschaftsarzt der deutschen Fußballnationalmannschaft, heute leitet er noch immer die medizinischen Abteilung des Rekordmeisters, besitzt eine stattliche Praxis in München, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern, schreibt Bücher – kurzum, auf seinem Metier ist er so etwas wie ein Guru.
Was muss ich nun können, um den Wunsch, Sportarzt zu werden, durchsetzen zu können? Selbstverständlich muss man zunächst einmal auf seinem Fachgebiet, in der Regel Unfallchirurgie oder Orthopädie, sehr gut sein. Der Königsweg beginnt also sehr gewöhnlich, mit einer normalen Facharztausbildung in einer Klinik. Die meisten Mannschaftsärzte sind übrigens keine Vollzeitangestellten der Clubs, sondern arbeiten unter der Woche weiterhin in der Klinik. Das persönliche Interesse für eine bestimmte Sportart sollte dann derart ausgeprägt sein, dass man in seiner (raren) Freizeit seine medizinischen Skills für diesen Sport einsetzt. Weiterhin muss das psychologische Gerüst eines Mannschaftsarztes stabil sein – man hat eine enge Verbindung zu den Sportlern, muss sich ins Team integrieren und seine Entscheidungen vor Medien verantworten können. Top-Arzt, Top-Teamplayer, Top-Psychologe, also.
Halt, halt, halt, so unvoreingenommen geht's dann auch nicht, denn das Sprichwort „wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“ gilt auch hier. „Mannschaftsarzt? Das stelle ich mir furchtbar vor. Ich möchte nicht wissen, wie schnell man da in einen Gewissenskonflikt kommt, Stichwort Doping. Außerdem ist man doch ständig unterwegs, kann viel schwerer eine Familie gründen“, meint Kerstin, ebenfalls eine angehende Ärztin. „Außerdem macht man Sportler wieder fit für eine Tätigkeit, von der man weiß, dass sie sich während dieser voraussichtlich wieder verletzen werden. Was soll das denn für einen Sinn haben?“ Denkt man an die beiden Wörter „Arzt“ und „Spitzensport“, drängt sich, auch nach jüngsten Skandalen, der Begriff „Doping“ geradezu auf. So viele Geschichten voll von Lügen, Intrigen und Skandalen wurden dahingehend schon geschrieben, dass man sich gar nicht mir darüber echauffiert - Resignation quasi, was wohl die schlimmstmögliche Reaktion ist. Nicht so lange her ist der „Dopingskandal Fuentes“, der größte seiner Art in der Geschichte des Radrennsports. Dr. Eufamiano Fuentes, ein Sportmediziner aus Gran Canaria, habe ein beinahe unüberschaubares Netz an Dopingstrukturen gehabt, die Elite des Sports sei bei ihm Kunde gewesen. Vor vier Monaten wurde Eufamiano Fuentes zu einem Jahr Haft auf Bewährung, 4.000 € Geldstrafe und 4 Jahren Berufsverbot verurteilt. Aktuell läuft eine Gerichtsverhandlung zu den Dopingvorwürfen gegen das ehemaligen Radrennteam Gerolsteiner. Ein Mannschaftsarzt sagte nun vor Gericht aus, der habe den Sportlern nur Placebos, keine Dopingmittel gegeben. Hmhmm.
Auch die Leichtathletik ist, was Doping angeht, ein gebranntes Kind - vor der Weltmeisterschaft in Moskau waren 290 Athleten wegen Dopings gesperrt, eine neue Meldung von gefallenen Helden holt beinahe keinen müden Hund mehr hinter dem Ofen hervor; sehr wohl aufregend wird's aber, wenn es um Doping in der heiligen Kuh der deutschen Sportarten geht, dem Fussball. Diesbezüglich wirbelte eine Studie über den Gebrauch von Dopingmitteln im Spitzensport in Westdeutschland in den letzten 60 Jahre ordentlich Staub auf: Der Fußball sei Teil eines ungeheuren, zentral gesteuerten Doping-Systems in der BRD gewesen. Bei der Weltmeisterschaft 1966 seien 3 Kicker positiv auf Ephedrin getestet worden: Teilweise wirken die Darstellungen von unterschiedlichsten Seiten surreal: Franz Beckenbauer erzählt von „Vitaminspritzen“, die ungefragt injiziert worden seien, der ehemalige Stürmer Dieter Schatzschneider von Amphetamintabletten, die durch Busse geflogen seien, in der Studie ist von „Kampfflieger-Schokolade“ die Rede. Erst kurz vor Erscheinen dieses Artikels wurde die Studie online veröffentlicht, die Inhalte werden Folgen haben, Namen werden darin jedoch keine genannt. Das könnte aber noch folgen, eventuell schon am 29. August wird es zu einer Sondersitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages kommen - der Anpfiff für eine Debatte über ein Anti-Doping-Gesetz im Profisport in Deutschland ist bereits erfolgt. Wie viele schmutzige Geheimnisse werden da wohl noch gelüftet werden?
Am Bröckeln ist anscheinend auch die heile Fassade des Doktor Müller-Wohlfahrt: Seine Firmen und seine 1.600 Quadratmeter Praxis im Münchner Stadtzentrum am Hof - laut Medienberichten beide in finanziellen Schwierigkeiten. Seine Behandlungsmethoden - nun ja, ein Evidenz-Fanatiker würde sicherlich vieles daran auszusetzen haben, den einige seiner Behandlungskonzepte finden sich in keiner größeren wissenschaftlichen Publikation. Er vertraut auf alternative Heilmethoden, infiltriert homöopathische Mittel in Sportlerbeine, kämpft unermüdlich gegen die sauren Radikale an. Ein von ihm angewandtes Verfahren ist die Infiltration von Actovegin, ein aus Kälberblut gewonnenes Hämodialysat, welches die Aufnahme von Sauerstoff und Glucose in das Zielgewebe fördert. Dies stellt einen leistungssteigernden Effekt dar, weshalb das Präparat von der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) unter genauer Beobachtung steht. Sein Vorbild, Professor Klümper, war Mitte der neunziger Jahre in einen Dopingskandal verwickelt, weswegen er sich nach Südafrike absetzte. Als „bunter Vogel“ werde Müller-Wohlfahrt in Fachkreisen angesehen, sein Konzept, seine Medizin sei eine „Suggestivmedizin“ – sie helfe dadurch, dass man daran glaube. Trotz allem – der Erfolg gibt ihm recht. Oder?
Die Befürchtung: Als Sportmediziner kann es also passieren, mit dem Thema Doping in Berührung zu kommen, eventuell Teil eines moralisch fragwürdigen Systems zu werden und Mittel gegen die eigene Überzeugung verabreichen zu müssen. Weiter gedacht, sollte man schon für sich abklären, ob man dieses Prinzip denn unterstützt: Man versucht, den Körper ständig am Limit zu halten, oftmals ohne die Langzeitfolgen absehen zu können und teilweise wissend, dass eine baldige neuerliche Verletzung unvermeidlich ist. Die Erkenntnis: Auch der vermeintlich wunderbare Traumberuf des Sportmediziners respektive Mannschaftsarztes bietet einige negative Aspekte, moralische Zwickmühlen, die Anforderungen sind hoch. Jedoch findet man sicherlich immer und überall ein oder mehrere Haar in der Suppe, wenn man lange genug danach sucht. Wichtig ist nur, das gesamte Bild zu sehen und sich bewusst zu sein, welchem Traum man da eigentlich hinterher läuft.