Ärzte aus den USA raten starken Rauchern zum regelmäßigen Lungenkrebs-Screening via CT. Die Empfehlung gilt wegen falsch positiver Befunde als äußerst umstritten und wird in Deutschland ebenfalls Diskussionen auslösen.
Bronchialkarzinome haben nur wenig von ihrem Schrecken verloren – Jahr für Jahr versterben allein in Deutschland 40.000 bis 50.000 Menschen an dieser Krankheit. Zwar macht der medizinische Fortschritt auch vor Lungenkrebs nicht Halt. Ärzte entdecken das Leiden jedoch häufig erst in fortgeschrittenen Stadien. Das soll sich laut Kollegen der U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) ändern. Das Gremium aus unabhängigen Ärzten diverser Fachrichtungen hat jetzt ein heißes Eisen angepackt.
Geht es nach der USPSTF, sollen Raucher zwischen 55 und 79 Jahren regelmäßig via Spiral-CT untersucht werden. Noch in 1996 war von einer Grad-D-Empfehlung die Rede, und in 2004 mangelte es an der nötigen Evidenz. Jetzt sprach sich das Gremium für jährliche Niedrigdosis-CT-Screenings als Grad-B-Empfehlung aus. Bis Ende August konnten Mediziner und Patienten dazu Kommentare abgeben. Sollte der Ratschlag tatsächlich umgesetzt werden, sind amerikanische Versicherungen verpflichtet, entsprechende Untersuchungen künftig in ihren Leistungskatalog aufzunehmen. Das betrifft Patienten, die mindestens 30 „Packungsjahre“ auf dem Buckel – besser gesagt auf der Lunge – haben. Als „Packungsjahr“ definiert die USPSTF den täglichen Konsum einer Schachtel Zigaretten über zwölf Monate. Diese gänzlich neue Sichtweise zur Prävention geht auf eine Studie aus dem Jahr 2011 zurück, bekannt als National Lung Screening Trial (NLST): Ärzte hatten damals 53.454 Risikopatienten auf Lungenkrebs untersucht, und zwar mit Niedrigdosis-CTs (26.722 Studienteilnehmer) oder mit Thorax-Röntgen (26.732 Menschen). Positive Testergebnisse gab es beim Low-Dose-CT in 24,2 Prozent und beim Thorax-Röntgen in 6,9 Prozent aller Fälle. Jedoch erwiesen sich 96.4 Prozent (CT) beziehungsweise 94.5 Prozent (Röntgen) der Resultate als falsch positiv. Trotzdem hatten Patienten einen deutlichen Benefit: Auf 100.000 Personenjahre normiert, verstarben 309 Menschen in der Röntgengruppe – im Vergleich zu 247 bei CTs. Screenings mit Low-Dose-Spiral-CTs verringerten die Zahl aller Todesfälle durch Lungenkrebs um 20 Prozent. Grund genug für die Koordinatoren, ihre Studie sogar vorzeitig zu beenden. Noch etwas Statistik: Um einen Patienten zu retten, müssen 320 Menschen untersucht werden. Bei der Sigmoidoskopie sind es 871.
Eine neue Auswertung von Timothy R. Church, Minneapolis, geht dem Spannungsfeld zwischen falsch positiven Resultaten und geringer Mortalität nach: Nach Spiral-CTs berichteten Ärzte von 7.191 positiven Ergebnissen (27,3 Prozent), in der Röntgengruppe waren es 2.387 (9,2 Prozent). Allerdings konnte ein Bronchialkarzinom nur bei 292 Teilnehmern (1,1 Prozent) der Low-Dose-CT-Gruppe beziehungsweise bei 190 Patienten (0,7 Prozent) der Röntgengruppe nachgewiesen werden. Studienteilnehmer profitierten jedoch von der hohen Sensitivität. Hier geben die Autoren für CT-Untersuchungen 93,8 Prozent und für Thorax-Röntgenuntersuchungen 73,5 Prozent an. Als Fazit heißt es im Artikel, NLST-Screening-Ergebnisse deuteten darauf hin, amerikanische Screening-Zentren könnten mit erfahrenen Mitarbeitern durch Thorax-CTs die Lungenkrebs-Mortalität verringern. Die Kehrseite: Nach falsch positiven Befunden wurden bei mehr als 5.700 Studienteilnehmern weitere Untersuchungen durchgeführt, etwa konventionelle CTs, PETs oder Biopsien. In der Röntgengruppe waren davon nur 2.010 Patienten betroffen. Allerdings fanden Ärzte mit Spiral-CTs häufiger frühe und damit besser therapierbare Tumorstadien als mit Röntgenuntersuchungen.
Jiemin Ma, Epidemiologe aus Atlanta, wollte wissen, welche Folgen auf das US-amerikanische Gesundheitssystem zukommen, sollten Screenings für Risikopatienten tatsächlich in den Leistungskatalog aller Krankenversicherungen aufgenommen werden. Für eine Computersimulation verwendete er unter anderem Daten aus dem US-Bevölkerungszensus, dem National Health Interview Survey und dem National Health and Nutrition Examination Survey. Basierend auf entsprechenden Informationen hätten 3,4 Millionen Frauen und 5,2 Millionen Männer Anspruch auf ein Screening pro Jahr. Im besten Falle könnten, so Ma, 12.000 Todesfälle vermieden werden. Sollten nur 70 Prozent der Zielgruppe Untersuchungen in Anspruch nehmen, ließen sich immerhin 8.600 Menschen retten. Dieser Prozentsatz kommt aus Daten von Mammographie-Screenings. Mas Veröffentlichung stößt nicht nur auf Wohlwollen: In einem Kommentar zur Simulationsstudie schreibt Larry Kessler, Seattle, entsprechende Zahlen allein reichten ihm nicht aus. Vielmehr wäre es an der Zeit, Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwägen. Bleibt noch der Kostenfaktor zu klären. Bernardo H. L. Goulart, Seattle, rechnet mit 240.000 US-Dollar, um einen Todesfall durch Lungenkrebs zu vermeiden. Die Aufwendungen pro qualitätskorrigiertem Lebensjahr (quality adjusted life year, QALY) liegen unter 10.000 US-Dollar.
Sollten flächendeckende Lungenkrebs-Screenings tatsächlich zur Realität werden, bedeutet das für Ärzte einen großen Aufwand hinsichtlich ihrer Diagnostik und Beratung – schließlich haben laut NLST-Daten 96 Prozent aller Patienten mit positivem Screening-Ergebnis keine maligne Erkrankung der Lunge. Weitere Untersuchungen belasten Betroffene psychisch und das Gesundheitssystem monetär. Es bleibt die Frage, ob diese Gelder nicht besser in Programme zur Aufklärung angelegt wären – Rauchstopp ist und bleibt die beste Prävention.